Premiere am Berliner Ensemble: Die Theaterdroge
Vexierwelt der Rollenspiele, Psychodramen, Rausch- und Reue-Halluzinationen. Duncan Macmillans „Menschen, Orte und Dinge“ am Berliner Ensemble.
Sie heißt Emma oder später auch Sarah und ganz am Anfang, behauptet sie, Nina zu sein. Und: „eine Möwe“. Was bei der deutschen Erstaufführung von Duncan Macmillans Drama „Menschen, Orte und Dinge“ im Kleinen Haus des Berliner Ensembles ohne Kenntnis des ursprünglichen Textes kaum jemand versteht.
Die junge Frau nämlich, die sich unter wechselnden Namen als Schauspielerin voller Drogen-, Tabletten- und Alkoholdröhnung geriert, spielt zunächst mit Originalzitaten das Mädchen Nina aus Anton Tschechows trauriger Schauspieler-Schriftsteller-Komödie „Die Möwe“. Auch Nina ist eine vom Leben, der Liebe und beruflichem Scheitern schwer Mitgenommene. Ohne den Trost jener Drogen, die Emma-Sarah-Nina, solange „die Welt im Arsch ist“, als das einzig Wahre begreift. Weil sie ihr ein paar Momente des Glücks mit Menschen, Orten, Dingen bescheren.
Texte des 1980 geborenen britischen Autors Macmillan wurden von seiner Landsfrau Katie Mitchell schon an der Berliner Schaubühne inszeniert („Forbidden Zone“), und mit seiner Bearbeitung von Friedrike Mayröckers „Reise in die Nacht“ waren Mitchell und er vor fünf Jahren zum Theatertreffen eingeladen. Auch sein neues Stück umschreibt eine Reise in die Nacht und am Ende, das bleibt etwas ungewiss, vielleicht einen neuen Tag. Für Sarah womöglich als drogenfreie Akteurin am Theater. Dazwischen liegt, zweieinviertel Spielstunden lang, als Hauptreisestation eine Entzugsklinik, mit irgendwie religiös angehauchter Therapie. Höhere Mächte sind da Gott und für eine junge Schauspielerin ebenso die meist männlichen Regiegötter. Einer spricht zum Schluss gar aus dem Off – doch das liegt eindeutig noch vor der MeToo-Debatte.
Mehr als nur Dekor
Macmillans Stück ist in der anklingenden Heilsbotschaft eher simpel, aber in seiner jede vermeintliche Gewissheit über Emma-Sarah immer wieder auflösenden und zugleich verwirrenden Dramaturgie nicht ohne Raffinesse. Alles, was Emma gegenüber einer Ärztin, Pflegern oder Mitpatienten von ihrem Vorleben erzählt (glücklose Kindheit, ein früh verlorener Bruder, pedantische Eltern usw.), könnte auch erfunden sein. Wir sind in einer Vexierwelt der Rollenspiele, Psychodramen, Rausch- und Reue-Halluzinationen. Ein Ritt über den Bodensee.
Eigentlich gibt es da über dreißig Rollen. Die 35-jährige in Berlin lebende und jetzt fester am Düsseldorfer Schauspielhaus engagierte Regisseurin Bernadette Sonnenbichler hat das Panoptikum auf zehn Personen, gespielt von acht Akteuren, klug zusammengestrichen. Nur die gekürzte Ouvertüre, die Möwe ohne „Möwe“, macht den Einstieg nicht so leicht. Vor allem in der ersten Stunde setzt die Aufführung sehr entschieden auf ihre formalen Effekte. Psychotische Zustände werden auf Wolfgang Menardis klinisch heller Kastenbühne mit ein paar Stühlen und vier schwarzweißen Waschbecken an den Wänden immer wieder durch gleichfalls schwarzweiße Videoprojektionen suggeriert. Und die sind für sich genommen eindrucksvoll.
Der deutsch-italienische Bildkünstler Stefano Di Buduo hat zur Technomusik von Christoph Cico Beck und Tad Klimp am Computer eine Art Symphonie der inneren Sinne entworfen. Von mehreren Beamern auf Wände und Boden geworfen, überziehen gleichfalls in Schwarzweiß pulsierende Muster die Szene: wie Gehirnströme, Blutbahnen, Wogen und Fluten oder als kunstvolle grafische Elemente. Das ist mehr als nur Dekor.
Vorspielen statt Darstellen
Doch müsste diesen eher abstrakten Assoziationen wohl etwas anderes als ein nur nochmals künstlicher Theaterton antworten. Man spürte in der (am Ende bejubelten) Premiere in Anwesenheit des Autors lange viel Druck. Sina Martens als junge Hauptdarstellerin spielt sich zunächst die Seele aus dem Leib. Buchstäblich. Zitternde Glieder, wehe Blicke, wütendes Aufbegehren im heiligen Zorn oder expressiver Schmerz – es sind körpervolle, aber seelenlose Gebärden. Alle, am meisten Josefin Platt als Ärztin, am wenigstens Patrick Güldenberg als Mitpatient und der alte Axel Werner als Sarahs Vater, alle sind sie erst mal ergriffen von einem ganz unpersönlichen Theaterton. Trotz ihrer Virtuosität hat so Sina Martens’ Spiel, meist frontal zum Publikum, auch etwas von Vorspielen. Statt Darstellen. Was Macmillans Psycho-Theater auf dem Theater allerdings mit provoziert.
Es ist die Falle des Stücks. Aus ihr finden Martens und das Ensemble erst allmählich heraus. Und dann blitzt auch mal etwas auf vom britischen Theaterhumor: dass man zum Beispiel „gute Drogen viel leichter kriegt als gute Rollen“.
Weitere Vorstellungen am 17.,18.,19., 20. und 24. Februar
Peter von Becker
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