Rundgang durchs BE mit Oliver Reese: Theater findet Stadt
Vor dem Neustart: Intendant Oliver Reese will am Berliner Ensemble Stücke mit Geschichten von heute und echten Figuren zeigen.
Auf dem Hof des Berliner Ensembles herrscht eine Atmosphäre wie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Auf den Bänken vor der temporären „Pop up Kantine“ schwatzen Schauspieler und andere Theaterbeschäftigte, im Hintergrund wird an der vormaligen Probebühne gebaut, die sich nun „Kleines Haus“ nennt. Die Stimmung: aufgeräumt, aufbruchsbereit. Man schaut auch nicht mehr unwillkürlich nach oben, um zu sehen, ob hinter zugezogenen Gardinen wohl der Hausherr auf Falschparker lauert. „Neu“ steht auf den Plakaten, die Oliver Reese am BE und überall in der Stadt hat aufhängen lassen – und dieses Programm zumindest ist schon aufgegangen, bevor sich in zwei Wochen der Vorhang unter seiner Leitung zum ersten Mal gehoben hat.
„Ich vollende hier mein persönliches Bermuda-Dreieck“, scherzt Reese im renovierten Rangfoyer, das jetzt wieder über ein Fenster mit Lichteinfall verfügt. Zuvor verdeckten stets Plakate den Blick auf den Bertolt-Brecht-Platz. Was er meint, ist die geografische Achse zwischen seinen früheren Wirkungsstätten, dem Gorki und dem Deutschen Theater sowie dem BE. Nach acht Jahren in Frankfurt ist Reese zurück, lässt endlich den ICE hinter sich, in dem er zuletzt als Theaterpendler Dauergast war, um seinen mittlerweile sechsten Neuanfang an einem Haus zu gestalten. Sich in fertige Strukturen zu begeben, das hat er nie erlebt. Nicht mal als Regieassistent am Münchner Residenztheater, wo damals Günther Beelitz als Intendant startete.
„Dieser Wechsel jetzt“, findet Reese, „ist allerdings besonders krass“. Fast zwei Jahrzehnte lang war das Brecht- Haus ein country for old men, das Peymann-Tabori- Karge-Langhoff-Wilson-Reich, mit dem 58-jährigen Leander Haußmann als Nachwuchskraft und einem Spielplan voller Klassiker. Jetzt ist Gegenteilzeit. „Die Regisseurinnen und Regisseure sind jünger, die Erzählweisen moderner, das Thema ist Gegenwart“, legt Reese vor. Wobei man betonen muss, dass er das nicht mit Triumphatorengeste sagt.
Reißzahn-Sprüche sind von Reese nicht zu hören
Der Neue verliert auch nur wenige (und wenn sachliche) Worte über seinen Amtsvorgänger. Umgekehrt war das ja durchaus anders. Er übernimmt fünf Inszenierungen vom alten BE, darunter den unverwüstlichen „Arturo Ui“. Tabula- Rasa-Furor sieht anders aus. Und er beklagt sich auch nicht darüber, dass er einen gewaltigen „Sanierungsstau“ am Haus vorgefunden hat, dessen Behebung während der Sommerschließzeit nicht zu stemmen war. Eine weitere Spielstätte, die „Werkraum“ heißen soll, wird erst 2018 Jahr fertig. „Was soll's“, sagt Reese. „Ärmel hochkrempeln und los geht's“.
Eine weitere Baustelle wäre die Verwaltungsstruktur des BE. Im Gegensatz zu anderen privatrechtlich organisierten Häusern wie etwa der Schaubühne, ist das Theater ja nicht Mitglied im Bühnenverein. Hätte man das jetzt ändern wollen, wären sämtliche bestehende Verträge nichtig geworden. „Ich werde mich genauso wenig selbst verlängern können, wie mein Vorgänger das konnte“, sagt Reese. „Wir sind Könige ohne Reich. Wobei ich mich nicht feudalistisch empfinde, sondern auf Augenhöhe mit den Künstlern, die hier arbeiten.“ Am Ende des Tages: abhängig von den Geldern der öffentlichen Hand.
Es gibt ja Übelmeinende, die sehen in Reese den Typus des glatten, auslastungsgeilen Manager-Intendanten. Klar, Reißzahn-Sprüche sind von ihm nicht zu hören. Lieber betont er, dass auch die Politik es momentan eher schwer habe – Stichwort Eurokrise, Fluchtkatastrophe – und deshalb die Haltung wenig bringe: „Wir sind die Guten und zeigen euch mal, dass ihr Arschgeigen seid“.
„Das Thema Gegenwart absolut ernst nehmen“
Die Theater-Irren und Polterer vom alten Schlag mögen mehr bizarren Unterhaltungswert besitzen. Für ihr Programm traf das allerdings schon lange nicht mehr zu. Und mit den Inhalten macht es sich Reese eben absolut nicht leicht. Wie man einen idealtypischen Stadttheaterspielplan gestaltet, schüttelt er locker aus dem Ärmel: „Zwei deutsche Klassiker, einen Shakespeare, einmal Antike, eine Romanbearbeitung, zwei Projekte, zwei Uraufführungen und einen Realisten. Fertig.“
Aber so leicht macht er's sich nicht. Der Mann sucht eben auch seine Reibungsfläche. Und die heißt: „Krise der deutschen Dramatik“. Reeses BE soll ein Haus für Autorinnen und Autoren sein, die möglichst noch leben. „Ich werde das Thema Gegenwart absolut ernst nehmen“, verspricht er. „Hier wird es in den kommenden fünf Jahren keinen ‚Don Carlos' geben.“ Er weiß aber auch, dass das ein schwieriges Unterfangen ist „in einer Zeit, in der Theaterstücke nicht mehr so viel gelten“. In Deutschland hat das postdramatische Fieber einfach zu gründlich gewütet. Und in den USA locken die Sender und Studios die guten Leute weg. Pulitzerpreisträger Tony Kushner („Engel in Amerika“), den Reese gerne beauftragt hätte, war einfach zu beschäftigt mit Drehbüchern für Brad Pitt und Steven Spielberg.
Sei's drum, 13 von 16 Autorinnen und Autoren in Reeses Eröffnungsspielzeit leben noch. Ausnahmen sind der obligatorische Brecht, dem der Intendant einen Stammplatz einräumen will – „aus Überzeugung, nicht, weil es in meinem Vertrag steht“. Und Albert Camus, mit dessen „Caligula“ Regisseur Antú Romero Nunes am 21. September den Aufschlag macht. Konstellationsbedingt muss die Gegenwart also ein bisschen warten. Aber sie kommt. Mit „Eine Frau“ vom Erfolgsautor Tracy Letts („Eine Familie“). Mit „Menschen, Orte und Dinge“ vom unbedingt zu entdeckenden Duncan MacMillan. Mit „Girls & Boys“ von Dennis Kelly. Um nur ein paar zu nennen.
Skandale sind vorerst nicht zu erwarten
Sorgen, dass andere Häuser in der Stadt ihm die Zeitgenossenschaft streitig machen könnten, hat Reese dabei nicht. „Ist doch gut, dass die Schaubühne Falk Richter und Marius von Mayenburg spielt, oder das Gorki Sybille Berg.“ Lobende Worte findet Reese ebenso für die Autorentheatertage der DT-Kollegen. Aber gut, was soll er auch sonst sagen.
Reeses Philosophie – heutige Geschichten mit echten Figuren und Dialogen von Könnern erzählen lassen – ist jedenfalls erst mal einnehmend. Schon weil diese Kunst, außer vielleicht bei Thomas Ostermeier, viel zu lange als oldschool galt. Und als unpolitisch sowieso. Politisch ist für Reese wiederum dezidiert nicht ein Parolen-Theater, „das sich einen Begriff nimmt, die Hosen runterlässt und den Leuten mit dem nackten Hintern ins Gesicht springt“. Entsprechend sind Skandale vorerst nicht zu erwarten. Ebenso wenig wie performative Ausflüge. „Mich drängt es weder nach Tempelhof noch auf den Helene-Weigel-Platz nach Weißensee“, versichert Reese. „Das Gebot der Stunde lautet, dem Theaterort BE eine neue Identität zu geben. Und ihn zum Vibrieren zu bringen.“
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