Ökokomödie "Atmen" an der Schaubühne: Theater als Tretmühle
Duncan Macmillans Stück „Atmen“ handelt von einem Paar aus dem Hipster-Milieu. Die Regisseurin Katie Mitchell macht aus der Ökokomödie an der Berliner Schaubühne nun ein Ereignis: Die Schauspieler erzeugen selbst den Strom, den sie für den Abend brauchen.
Eigentlich haben die hippen Endzwanziger in Duncan Macmillans Stück „Atmen“ jeden Aspekt ihres Kinderwunsches gründlich durchdacht. Sollte man – „guter Mensch“, der man ja zweifellos ist – die ihrem Niedergang entgegentrudelnde Erde tatsächlich mit neuem Leben strafen? Zumal mit einem, das im Alleingang einen größeren CO2-Fußabdruck hinterlassen würde als ein 2550 Mal verantwortungsfrei zwischen Berlin und New York hin und her jettendes Hedonistenpaar? Die potenzielle Mutter, eine Doktorandin, die mit derlei akademischen Untergangsvisionen bald ihr Geld verdienen wird, zieht in Katie Mitchells Inszenierung an der Berliner Schaubühne sorgenvoll die Stirn in Falten.
Gott sei Dank kommt ihrem Partner schnell die rettende Einsicht: Man muss die ganze Sache von der entgegengesetzten Seite aufzäumen. De facto habe diese prächtige, aufgeklärte, gut ausgebildete Schicht, der man selber angehört, nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, ihre Gene weiterzugeben. Die neunzigprozentige Chance, dass aus einer derart hochqualifizierten Verschmelzung ein kleiner Wissenschaftsmessias hervorgeht, dürfe der Welt doch auf gar keinen Fall vorenthalten werden. Und: Nein, wehrt der links sozialisierte Mann entschieden ab, mit selektivem Elitedenken habe das jetzt rein gar nichts zu tun.
Willkommen im nächsten Lifestyledrama der vorweihnachtlichen Berliner Bühnenlandschaft, diesmal aus dem ökologisch korrekten Selbstverwirklichungsmilieu Marke Prenzlauer Berg. Macmillans Stück ist ein 75-minütiges Dialogpingpong zwischen einer überreflektierten Jungakademikerin und einem Musiker aus der Frauenverstehergeneration, der sich leicht defensiv, dafür aber redlich müht, die mentale Kluft zu seiner Partnerin so gering wie möglich zu halten. Mit schwankendem Erfolg.
Selbstredend ist Macmillans Kinderwunschkonstruktion dabei nur das kleine Mittel zum größeren Dekonstruktionszweck. Der Prediger, so lautet die weithin anerkannte Einsicht, die hier noch einmal in aller Konkretion durchexerziert wird, hat es leichter als der Praktiker. So lässt die Frau bereits vor Schwangerschaftseintritt überraschend widerstandsfrei ihre Judith-Butler-Sozialisation fahren und verlangt von ihrem Freund, sich einen soliden Ernährerjob zu suchen, „auch, wenn das jetzt nicht besonders feministisch klingt“.
Darauf er, aus allen Wolken fallend: „Viele Musiker haben Kinder.“ Und sie, nachdrücklich: „Viele erfolgreiche Musiker!“ Mit diesen beiläufigen kleinen Ohrfeigen geht es mal mehr, mal weniger lustig weiter. Der Mann wird später im Gestus glaubwürdiger Frappiertheit feststellen, dass das sexuelle Treuegebot wesentlich leichter einzuhalten ist, solange die eigene Freundin den Attraktivitätsgrad der „Aushilfe im Büro“ übersteigt. Liegt sie dagegen infolge einer Fehlgeburt, die das Paar im ersten Zeugungsversuch erleidet, mit Depressionen im Bett, sieht die Sache anders aus. Kurzum: Es sind keine bahnbrechenden Neuigkeiten, die uns Macmillan hier liefert. Eher winkt der Abend so ausdrücklich mit der Wiedererkennungskeule wie mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl. Das tut er mal witzig, dann wieder hart am Klischee entlangschrammend.
Katie Mitchells Inszenierungsidee bekommt dem Text äußerst gut. Die britische Regisseurin, deren Markenzeichen bis dato live auf der Bühne verfertigte Videotheaterarbeiten waren, greift zu neuen Stilmitteln. Sie bringt den grünen Bewusstseinsabend „Atmen“ als ökologisch korrekte Hochleistungsveranstaltung auf die Schaubühne. Die beiden Darsteller Lucy Wirth und Christoph Gawenda sitzen über die gesamte Spieldauer auf Fahrrädern, mit denen sie selbst den für die Bühnenbeleuchtung benötigten Strom erstrampeln. Vier seitlich platzierte Ko-Radler erbringen die Leistung zum Betrieb von Soundanlage, Mikrofonen und Saallicht, so dass die für die Inszenierung benötigte Energie live erzeugt wird. Auch das Bühnenbild, zwei Podien, auf denen die Fahrräder stehen, sind über jeden ökologischen Zweifel erhaben: Pures Recyclingmaterial.
Mit dieser Strampelei, die den gleichzeitig äußerst nuanciert ihre Texte sprechenden Schauspielern sportliche Höchstleistungen abverlangt, gelingt Mitchell ein sinnfälliger Doppeleffekt. Über den buchstäblichen ökologischen Bewusstseinsstrom hinaus bildet die Tretmühle auch die rhetorischen Schleifen ziemlich gut ab, in denen der gemeine Ökoyuppie sich mit seinen Selbstverwirklichungs- und Selbstverlängerungsgedanken in die nächste Generation hinein so verfängt: Stets lustig dabei, sich vor lauter Theorie-Input und Überreflexion im Kreis zu drehen statt ausnahmsweise mal ergebnisorientiert voranzuschreiten.
Außerdem legt die Strampelei, die die Akteure über 75 Minuten natürlich erschöpft, sehr überzeugend die Einsicht nahe, dass diese gute alte Selbstverwirklichungsstreberei ein ziemlich ermüdendes Lebensmodell ist. Die nächste Lifestylelektion käme dann wahrscheinlich wieder von René Pollesch. Der fordert an der Volksbühne seit Jahren: Entfremdung genießen!
Wieder am 9., 19. & 20.12., 20.30 Uhr
Christine Wahl
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