Sammlung Flick: Die Staatlichen Museen haben sich gründlich blamiert
Der Verlust der Sammlung Flick ist eine Warnung. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz muss sich dringend reformieren.
Schön wär’s gewesen, wenn jetzt zur Wiedereröffnung der Museen auch der Hamburger Bahnhof seine Tore aufgeschlossen hätte. Auch um Präsenz zu zeigen, seitdem bekannt ist, dass die Sammlung Flick im September 2021 abgezogen wird.
Doch erst einmal sind die Gemäldegalerie, die Alte Nationalgalerie und die Pergamon-Rotunde an der Reihe, der Einlass im Hamburger Bahnhof ließe sich durch die Corona-Vorkehrungen schlechter organisieren, heißt es.
Man nimmt es staunend zu Kenntnis, denn das Museum für Gegenwart mit Entree in der historischen Halle bietet genügend Platz, damit Wartende Abstand halten können.
Sei’s drum, die Medienkunst-Schau „Magical Soup“ mit Werken aus der Friedrich Christian Flick Collection, der Nationalgalerie und Leihgaben in den Rieck-Hallen, die gerade jetzt angezogen hätte, ist ohnehin auf das dritte Jahresquartal verschoben.
Trauerarbeit um die verlorene Sammlung sieht anders aus. Aber das passt ins Bild. Im Hamburger Bahnhof ist mal wieder der Zug abgefahren.
Bundesweit Verwunderung über Berlin
Wie ein Donnerschlag wirkte vor zwei Wochen die Meldung, dass Friedrich Christian Flick seine Sammlung im September 2001 in die Schweiz zurückholen will, wenn der Mietvertrag der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der CA Immo ausläuft und die 2004 für 8,25 Millionen Euro hergerichteten Rieck-Hallen abgerissen werden.
Dort soll sich dann die „Eurocity“ mit weiteren Hochhäusern ausbreiten können und dem Hamburger Bahnhof weiter zu Leibe rücken. Kunstquartier war gestern. Bundesweit schlug man sich vor den Kopf: Kann es wahr sein, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihre wichtigste Sammlung zeitgenössischer Kunst verliert, nur weil im Berliner Immobilien-Roulette keiner aufgepasst hat?
Willkommen in der Gegenwart möchte man den Verantwortlichen zurufen, wenn denn konkret Schuldige auszumachen wären. In der Tat, willkommen im Museum der Gegenwart. Diese bittere Erkenntnis nehmen wohl alle Beteiligten aus dem Desaster mit. Die Staatlichen Museen, der Bund, das Land – alle haben sich gründlich blamiert.
So soll Friedrich Christian Flick zuletzt nicht mehr zu erreichen gewesen sein, um ihn noch umzustimmen. Ob ihm die im letzten Moment entworfene kompakte Alternative auf einem den Staatlichen Museen verbliebenen Teilgrundstück der Rieck-Hallen nicht gefallen hat oder er einfach keine Lust mehr hatte, weil er zuvor zu lange auf eine Antwort warten musste, ist nicht überliefert. Sein Abgang aber ist ein Menetekel.
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Die Stadt ist längst in einer anderen Zeit angekommen, die Museumsleute konnten es gleich vor der Tür des Hamburger Bahnhofs studieren, wo in den letzten Jahren die Bürotürme in die Höhe schossen. Wer aber hat hier versäumt, mit dem Sammler zu reden, wer hätte den Begehrlichkeiten der Entwickler Paroli bieten können?
Vor allem: Warum wurde das Grundstück, auf dem sich die 250 Meter langen Hallen befinden, nicht rechtzeitig von der CA Immo zurückgekauft, die das Gesamtgelände im Herbst 2007 von der Deutschen Bahn erwarb? Oder war dies aussichtslos, weil sich die ehemaligen Lagerhallen quer durch das Terrain ziehen und als Störfaktor der weiteren Erschließung im Wege standen?
Ironie der Geschichte: Kurz zuvor waren mit Flick Verhandlungen über eine Verlängerung seines 2003 geschlossenen Leihvertrags aufgenommen worden, als hätte sich durch die neuen Besitzverhältnisse nichts geändert. Auch Flicks Schenkung 2008 dürfte unter Verkennung der Lage geschehen sein. Für ihn galt sie als Zeichen einer stärkeren Bindung an Berlin, nachdem er wohlmeinender als erwartet aufgenommen worden war.
Die Kritik am Geld aus Zwangsarbeit, das in die Sammlung eingeflossen sei, hatte sich angesichts der reichen Sammlung verflüchtigt. Die zunächst versprochenen Hinweise auf die früheren NS-Verstrickungen des Familienunternehmens fielen unter den Tisch.
Erst Jahre später gab Flick dem öffentlichen Druck nach, zahlte in den Zwangsarbeiterfond ein und gründete eine Stiftung. Die Staatlichen Museen hatten sich da längst arrangiert. Das nächste Dilemma: Der Grund, auf dem die Hallen standen, war bereits verkauft, als die Partner ihre weitere Zusammenarbeit besiegelten.
Diese Erfahrung wurde in den letzten Jahren an vielen Kunstorten in der Stadt gemacht: in Galerien, Off-Spaces, Atelierhäusern. Der Immobilienboom fegte mit rabiaten Mieterhöhungen, Luxussanierung oder gleich Abriss über sie hinweg.
Das typisch Berliner Provisorium der Neunziger und Nuller Jahre, das der Stadt eine überwältigende Kulturblüte bescherte, weil in Kellern, leeren Ladenlokalen, Fabriketagen einfach losgelegt werden konnte, gibt es nicht mehr. Wer bei wem den Mietvertrag unterschreibt, wenn es denn einen gab, war erst einmal sekundär. Schon lange weht ein anderer Wind, der nun offensichtlich auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre Museen erfasst hat.
Was sind ihre Instrumente, um in diesem Kampf zu bestehen? Welche Kompetenzen besitzen überhaupt ihre Direktoren, wenn sie mit Sammlern in Verhandlung treten?
Kunsthistoriker verhandeln mit Investoren
Dass Udo Kittelmann seinen Posten als Chef der Nationalgalerie im Herbst verlässt, während es das Museum des 20. Jahrhunderts einzurichten gilt, die Schlüsselübergabe für den sanierten Mies van der Rohe-Bau bevorsteht, der Hamburger Bahnhof ohne die Sammlung Flick neu zu ordnen ist, wirft kein gutes Licht auf die Situation an den Staatlichen Museen.
Höchste Zeit, dass sich bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Strukturen ändern. Wozu braucht es einen Generaldirektor, den man in dieser Eigenschaft nur repräsentieren sieht? Sind Kunsthistoriker für Verhandlungen mit Investoren, den CEOs von Immobilienfonds überhaupt die richtigen Gesprächspartner?
Mit größten Erwartungen werden deshalb im Juli die Ergebnisse der zweijährigen Evaluierung der Preußenstiftung durch den Wissenschaftsrat erwartet. Vor 60 Jahren zunächst provisorisch angelegt, hätte sie sich längst einer Neuordnung unterziehen müssen.
19 Häuser und ein Präsident, der von einer Baustelle zur nächsten eilt (Museumsinsel, Humboldt Forum, Kulturforum), das kann nicht gutgehen, wie die Pleite mit Flick offenbart. Den Hamburger Bahnhof schnell zu öffnen und die Nachfolge Udo Kittelmanns zu regeln, wäre der naheliegende nächste Schritt.