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Kreisverkehr. Richard Jacksons "5050 Stacked Paintings", zu sehen im Hamburger Bahnhof.
© Courtesy Richard Jackson and Hauser & Wirth / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof / Thomas Bruns

Flick-Schenkung im Hamburger Bahnhof: Töchter aus Elysium

„A Few Free Years“: Der Hamburger Bahnhof zeigt 120 Werke aus der Schenkung von Christian Friedrich Flick.

„A Few Free Years“ – das klingt verzagt. Ein paar freie Jahre, und dann ist es auch schon wieder vorüber? Wer das gleichnamige Werk von Jason Rhoades im Hamburger Bahnhof sieht, den überrascht, wie ungestüm sich die Installation des kalifornischen Künstlers in den Raum ausbreitet: Spielautomaten dröhnen in zwei zum engen Gang formatierten Reihen. Es blinkt und orgelt wie in jeder besseren Spielhölle, nur befand sich Rhoades’ Werk bei seiner Erstaufstellung 1998 im Himmelreich. Genauer: in der Wiener Secession unter Gustav Klimts berühmtem Beethovenfries, der die Künste als Erlöserin aller Unbill auf Erden preist. Im Hamburger Bahnhof erinnern klischierte Bilderlappen, Reproduktionen des Wiener Zyklus, die über rohem Gestänge hängen, an den ursprünglichen Ausstellungsort. Den Hohn auf die Freiheit, auf „Freude, schöner Götterfunken“, steigert dies noch einmal. In all seiner Opulenz ist Jason Rhoades, der 2006 mit gerade 41 Jahren verstarb, immer ein großer Ernüchterer gewesen.

„A Few Free Years“ lautet auch der Titel der Ausstellung der Schenkung der Friedrich Christian Flick Collection im Hamburger Bahnhof. Als Dank an den Sammler, der den Kuratoren der Neuen Nationalgalerie alle Freiheiten ließ. Nur für ein paar Jahre? Natürlich hofft die Stiftung Preußischer Kulturbesitz auch nach dem Ende des zuletzt 2011 für zehn Jahre fortgeschriebenen Leihvertrags auf eine Verlängerung für die über 1500 Werke. Und sie hofft auf weitere Schenkungen. Die 2008 und 2011 erfolgten Gaben, 268 Stücke insgesamt, gelten als größte Donation eines Privatsammlers nach 1945 an die Nationalgalerie. Manch nun in den Besitz der Nationalgalerie übergegangenes Werk kam nicht zuletzt auf Anregung der Kuratoren dauerhaft ins Haus.

Das Blut an den Bildern ist fast vergessen

Die Chancen auf eine Fortsetzung der freundschaftlichen Beziehungen stehen also nicht schlecht bei so viel gegenseitigem Einvernehmen. Während Marx und Marzona noch immer um sich buhlen lassen und massives Mitspracherecht beim künftigen Museum der Moderne am Kulturforum verlangen, damit ihre Kollektionen am neuen Standort entsprechend zur Geltung kommen, ließ Friedrich Christian Flick zu Beginn seiner Liaison mit den Staatlichen Museen die dem Hamburger Bahnhof benachbarten Speditionshallen umbauen sowie einen Übergang zur Historischen Halle herrichten. Diese Dreingabe dürfte nicht zuletzt zustande gekommen sein durch den anfänglich massiven Protest gegen den Leihvertrag mit dem Enkel des Großindustriellen und Waffenlieferanten Friedrich Flick, der sein Vermögen im „Dritten Reich“ mit Zwangsarbeitern machte. Der Ablasshandel in Form einer mäzenatischen Tat kam beiden Seiten zugute, Museum wie Sammler. Flick zahlte außerdem vor vier Jahren, wenn auch unter Druck, in den Zwangsarbeiterfonds ein.

Dass Blut an seinen Bildern klebt, davon spricht heute keiner mehr. Längst hat auch das Psychologisieren darüber aufgehört, was so einer wie Flick da sammelt und vor allem warum. Wie bei der ersten großen Präsentation seiner Leihgabe 2004, die den gesamten Hamburger Bahnhof füllte, springen wieder die lauten, die kerligen Werke ins Auge. Damals okkupierte Jason Rhoades die gesamte Historische Halle mit seiner Mega-Installation „Schöpfungsmythos“, heute gibt sich das Entree sehr viel zivilisierter. Nicht Überwältigungsmanöver, sondern eine Demonstration größter Arbeitsdisziplin empfängt den Besucher. Richard Jackson durfte das 1998 von Flick als Konzept angekaufte Werk „5050 Stacked Paintings“ nun endlich in Berlin realisieren. Monatelang bepinselte der amerikanische Maler im Hamburger Bahnhof Leinwand für Leinwand mit abwechselnd bunter Farbe, um sie kopfüber noch feucht aufeinanderzustapeln und daraus eine sukzessiv ansteigende gigantische Spirale zu bilden.

Malerei braucht noch immer den Menschen

Richard Jackson gibt hier demütig den Hand-Arbeiter. Ein zwischen zwei Leinwänden wie zufällig hängen gebliebener Arbeitshandschuh erinnert daran, dass Malerei noch immer den Menschen braucht, selbst wenn sie auf einem strengen Konzept basiert. Hinter seiner kolossalen Fleißarbeit lädt Paul McCarthy in ein „Saloon Theater“ ein, das der Besucher wie ein Cowboy durch schwingende Holztüren betritt, hinter denen Wildwest- und Peepshow eine abgründige Melange eingehen. Der US-Künstler, der in vielen seiner Filme selbst als anarchischer Clown auftritt, hält hier einer pervertierten Gesellschaft den Spiegel vor, an ihn wird als „Bad Boy“ der Kunst die Auslebung des Monströsen delegiert. Das Museum mutiert zur moralischen Anstalt, zum kathartischen Raum. Friedrich Christian Flick geht schon mal mutig voran.

Das Getöse nimmt mit den Rieck-Hallen ab, bis hin zu kaum vernehmbaren Tönen. Während sich der Künstler Absalon in einem Video zunächst noch die Seele aus dem Leibe schreit, dokumentiert Brian O’Doherty den Herzschlag Marcel Duchamps. In den hinteren Räumen sind wahre Trouvaillen zu entdecken, findet sich nach dem großen das kleine Glück, von dem Stiftungspräsident, Generaldirektor und Museumschef in ihrem Dank an den Sammler sprachen: frühe Werke von Luc Tuymans, die er noch nicht in Großformaten malte, erste Pavillon-Modelle von Dan Graham und Marcel Broodthaers Interview mit einer Katze, die jedes Mal verständig miaut, wenn er sie fragt „Ceci est une pipe? Ceci n’est pas une pipe?“

Mag die Präsentation der 120 Werke auch bieder sein: Motiv zu Motiv, die Mauer von Kippenberger zur Mauer von Schütte, Hardcore von Cindy Sherman zu den Pin-ups von Pettibon. Die Jahre der Freiheit mögen noch lange währen.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51, bis 13. 3.; Di, Mi, Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa / So 11 – 18 Uhr.

Nicola Kuhn

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