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Devin Blackmon, Kordell “KD” Johnson aus „Dayveon“.
© Berlinale

Berlinale Forum: Aus der Schule direkt in den Knast

Afroamerikanische Lebenswirklichkeiten auf der Berlinale: Die US-Filme „Dayveon“ und „For Ahkeem“ behandeln das Sujet mit unterschiedlichen ästhetischen Strategien.

Der Ton im US-Independentkino wird markanter, nachdrücklicher, vielstimmiger. Es ist Barack Obama nicht gelungen, den virulenten Rassismus in den USA zu überwinden, während seiner Amtszeit nahm die Spaltung des Landes sogar zu. Viele Independentfilme, die seit einem guten Jahr in die amerikanischen Kinos kommen, entstanden unter dem Eindruck von Ferguson und der zunehmenden Polizeigewalt. Auch den „Black Lives Matter“-Initiatoren ist nach Ferguson Rassismus unterstellt worden. Mutwillig übersehen wird dabei die optimistische Botschaft der Bewegung: dass die Vielfalt afroamerikanischer Lebenswirklichkeit Nachhall in öffentlichen Darstellungen im Mainstream finden muss.

Im Forum laufen in diesem Jahr zwei US-amerikanische Independentfilme, die mit sehr unterschiedlichen ästhetischen Strategien einen Ausschnitt afroamerikanischer Realität abbilden. Sowohl in „Dayveon“ von Amman Abbasi als auch in Jeremy S. Levines and Landon Van Soests Langzeitdokumentarfilm „For Ahkeem“ stehen Jugendliche im Mittelpunkt, deren Lebensumstände einen Einblick in Milieus gewähren, die aus den gesellschaftlichen Zusammenhängen herausgefallen sind.

„Dayveon“ formal in vertrauten Gefilden

„Dayveon“ bewegt sich formal noch in vertrauten Gefilden. Produziert wurde der Film über den 13-jährigen „Day Day“ von James Schamus und David Gordon-Green, dessen Regiedebüt „George Washington“ (2000) Vorbildcharakter für das sozialrealistische Independentkino der letzten Jahre besitzt. Dayveon lebt nach dem Tod des Bruders, der bei einer Gangauseinandersetzung erschossen wurde, bei seiner Schwester und deren Freund. Der versucht den verschlossenen Jungen aus seiner Isolation herauszuholen, aber Dayveon würde sich lieber der Gang seines Bruders anschließen.

Im Vergleich mit dem Oscar-Favoriten „Moonlight“ werden die kleinen Schwächen von Abbasis Film, der dem afro-amerikanischen Männlichkeitsbild des „Black Cinema“ keine Alternative entgegenstellen kann, besonders augenfällig. „Dayveon“ malt die Armut und Perspektivlosigkeit in luziden Farben und satten Texturen aus. Dabei bleibt es, der Zugriff auf den Alltag seiner Figuren erfolgt auf rein ästhetischer Ebene, durch mitunter impressionistisch ausgestellte, visuelle Details.

Szene aus der Langzeitdoku „For Ahkeem“.
Szene aus der Langzeitdoku „For Ahkeem“.
© Berlinale

„For Ahkeem“ ist eine Doku mit erdrückender Evidenz

Die Fiktion kann gegen die erdrückende Evidenz des Dokumentarfilms nichts ausrichten. In „For Ahkeem“ begleiten Levine und Van Soest über einen Zeitraum von zwei Jahren die 17-jährige Daje aus St. Louis, die zu Beginn der Dreharbeiten vor einem Jugendrichter steht. Ein Schulverweis bringt sie auf die Abschussliste des US-Bildungssystems, zynisch „School-to-Prison-Pipeline“ genannt. Der Direktor der Sonderschule für soziale Härtefälle hält eine emotionale Ansprache, in der sein ganzer Frust über die vorgezeichnete Zukunft der schwarzen Kids zum Ausdruck kommt.

Dabei ist Daje ein aufgewecktes Mädchen. Sie möchte Journalistin werden, erweist sich aber als hilflos, aus den Mustern ihres sozialen Umfeldes auszubrechen. Ihr Freund kommt ins Gefängnis, sie wird schwanger, während sie um ihren Abschluss kämpft. Mitten im Film wird dann in Ferguson Michael Brown erschossen. Für Daje ist der Tod Browns trotz der geografischen Nähe nur ein Fernsehereignis. Sie hat in ihrem jungen Leben schon Mitschüler sterben sehen. Die Stärke des Films besteht darin, anhand eines einfühlsamen Jugendporträts die institutionellen Ausschlussverfahren zu erhellen. Der Begriff des strukturellen Rassismus ist in „For Ahkeem“ keine Worthülse, sondern bittere Realität.

„Dayveon“: 19.2., 17 Uhr (HKW); „For Ahkeem“: 14.2., 19.30 Uhr(CinemaxX 4); 15.2., 12.30 Uhr (Arsenal); 17.2, 22.15 Uhr (Cubix 9)

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