Gespräch mit Machern der Salzburger Festspiele: Die Geschichte vom Sommer
Der Intendant der Salzburger Festspiele Markus Hinterhäuser und die Festspielchefin Helga Rabl-Stadler im Gespräch über Kunst, Geld und Publikum.
Frau Rabl-Stadler, Herr Hinterhäuser, Sie präsentieren das Programm der kommenden Salzburger Festspiele nicht nur in Österreich, sondern auch in Moskau, Paris und London, in München, Berlin, Zürich und New York, in Seoul, Schanghai und Peking. Braucht das bekannteste Festival der Welt wirklich so viel Werbung?
RABL-STADLER: Wir machen diese road show vor allem für unser Publikum. In erster Linie sind das nämlich Präsentationen vor Freunden der Salzburger Festspiele. Wir haben ja im Sommer Gäste aus über 70 verschiedenen Ländern bei uns, darunter aus 35 nichteuropäischen Nationen. Mit denen wollen wir in Kontakt bleiben. Dass unser neuer Intendant Markus Hinterhäuser auch ausübender Künstler ist, nutzen wir allerdings dahingehend aus, dass wir beispielsweise unsere Präsentation in Seoul mit einem Auftritt von ihm kombinieren, wenn er dort Matthias Goernes Klavierpartner bei Schuberts „Winterreise“ ist.
Haben Sie sich eine Obergrenze für die Anzahl Ihrer Auftritte während Ihrer Intendantenzeit gesetzt?
HINTERHÄUSER: Ich war ja nie ein Vielspieler. Nachdem Matthias Goerne und ich bei den Wiener Festwochen die „Winterreise“ mit Filmen von William Kentridge herausgebracht hatten, kam eine Flut von Anfragen aus der ganzen Welt. So sehr ich das Konzertieren genieße: In dem Moment, wo ich das Gefühl habe, dass ich beides zeitlich nicht schaffe, werde ich die Bremse ziehen. Andererseits ist es für die Festspiele auch gut, wenn der Intendant beide Seiten kennt, also jemand ist, der nicht nur Künstler einlädt, sondern auch selber auf der Bühne steht.
Zum Festivalstart werden Sie mit Igor Levit Olivier Messiaens „Visions de l'amen“ für zwei Klaviere spielen.
HINTERHÄUSER: Igor Levit ist einer der interessantesten Pianisten der jüngeren Generation, und wir wollten schon lange gemeinsam ein Projekt verwirklichen. Messiaen passt programmatisch wunderbar in die Ouverture spirituelle …
… das ist die Eröffnungswoche mit Konzerten, die Ihr Vorvorgänger Alexander Pereira erfunden hat und die dem eigentlichen Premierenreigen vorgeschaltet ist.
HINTERHÄUSER: Die Idee, die Festspiele nachdenklich zu starten, hat mir sehr gefallen. Nach der erhellenden Auseinandersetzung mit den Weltreligionen in den vergangenen Jahren akzentuieren wir die Ouverture spirituelle jetzt neu. Wir haben ein Programm entwickelt, das ausgehend vom Eröffnungskonzert mit dem Oratorium von Messiaen das Thema Transfiguration behandelt. Wie auch in einer Opern-Ouvertüre wollen wir einige Themen anklingen lassen, die dann im Verlauf der Festspiele wichtig werden, im „lockigen Hauptgedanken“, wie Heinrich Heine sagen würde. Schostakowitsch und Gérard Grisey werden uns in der Ouverture spirituelle bereits begegnen, ebenso Claudio Monteverdi.
In den neuen Konzertreihen „Zeit mit …“ soll sich das Publikum intensiv mit zwei Komponisten des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen, mit Grisey und Schostakowitsch. Sich Zeit zu nehmen, ist ja sowieso der größte Luxus …
HINTERHÄUSER: Das haben Sie ganz richtig erfasst. Außerdem hoffen wir, damit endgültig den Moment zu erreichen, dass Musik des 20. Jahrhunderts ein selbstverständlicher Bestandteil der Salzburger Festspiele wird.
Mit Blick auf Ihr Publikum zitieren Sie gerne den Salzburger Gründervater Max Reinhardt: „Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum müssen die Besten sein, wenn das vollkommende Wunder entstehen soll“. Ist das bei einem weitgehend durch Eintrittsgelder finanzierten Festival nicht ein zu hoher Anspruch?
HINTERHÄUSER: Musik funktioniert immer nur im Dialog mit dem Zuhörer. Es gibt einen Idealzustand: wenn nämlich das Werk, der Raum, der Interpret und die Zuhörer zu einem einzigen Lauschen werden. Ich weiß aus meiner Erfahrung als Interpret sofort, ob eine Kontaktaufnahme entsteht, ob sich eine Spannung im Saal herstellen wird.
RABL-STADLER: Wir haben das Privileg, dass die Menschen zu den Festspielen kommen mit der Absicht, sich genau auf dieses Programm einzulassen. Darum ist das Publikum auch neugieriger als im Normalbetrieb der großen Metropolen.
Schaut man sich bei den Premieren in Salzburg um, sieht man dort aber nicht nur Leute, die allein darum gekommen sind, weil sie ganz Ohr sein wollen.
RABL-STADLER: Ich glaube, dass unser Publikum aus ideologischen Gründen unterschätzt wird. Da heißt es immer: Das sind die Reichen und die Schönen und darum auch die Schwerhörigen. Wir haben ganz andere Erfahrungen gemacht.
HINTERHÄUSER: Wir laden Menschen ein, zu uns zu kommen. Und wir werden einen Teufel tun, unsere Gäste nach Türsteherart zu klassifizieren. Was wir erfahren, ist eine große Zuneigung seitens des Publikums, auch von jenen, die vielleicht nicht so vorbereitet zu uns kommen. Weil sie merken, dass sie hier ernst genommen und gefordert werden. Wir sind ja kein Spezialistenfestival wie Donaueschingen. Wir verkaufen jeden Sommer zwischen 220 000 und 250 0000 Karten.
RABL-STADLER: Unsere Konzerte, in denen zeitgenössische Musik gespielt wird, sind immer gut besucht. Und das sind keine Veteranentreffen.
Moderne künstlerische Grammatiken
Frau Rabl-Stadler, Ihr Vertrag wurde gerade ein weiteres Mal bis zum Jahr 2020 verlängert. Ihr erklärtes Ziel ist es, Ihrem Intendanten den Rücken freizuhalten für die künstlerische Arbeit. Wie viel Zeit frisst denn die finanzielle Seite?
RABL-STADLER: Wenn Sie neun Millionen Euro als Sponsoren- oder mäzenatische Zuwendungen pro Jahr einwerben wollen, dann ist das ein 365-Tage-Job. Den kann man nur machen, wenn man ihn als einen Dienst an der interessantesten Sache der Welt sieht. Wenn das Programm nicht gut ist, finde ich auch keinen Sponsor. Der viel beschimpfte Bildungsbürger ist ganz wichtig für uns. Wir wollen keine Aneinanderreihung von Events, sondern Sinnzusammenhänge herstellen. Was mich besonders freut, ist, dass ich zunehmend mit privaten Mäzenen zusammenarbeiten kann, auch aus Europa, die uns unterstützen. Der Herr, der mir 30 000 Euro für ein bestimmtes Konzert gibt, ist dann am Abend auch der begeistertste Zuhörer. Man merkt bei den Aufführungen schon, ob da nur Eingeladene drin sitzen oder wirklich Beteiligte, die sich wahnsinnig freuen über das, was da aus ihrem Geld entstanden ist.
Fünf neue Opern wird es 2017 geben, Peter Sellars inszeniert Mozarts „Clemenza di Tito“, Andreas Kriegenburg Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, Simon Stone Reimanns „Lear“. Welcher Plan aber steckt dahinter, zwei bildende Künstler als Regisseure zu verpflichten?
HINTERHÄUSER: Salzburg war immer ein Festival, das sich modernen künstlerischen Grammatiken gegenüber offen gezeigt hat. Oskar Kokoschka hat hier gearbeitet, Alfred Hrdlicka, Immendorf, Balkenhol, Robert Longo, Daniel Richter, Jonathan Meese auch, übrigens lange bevor Bayreuth auf ihn gekommen ist. Mit William Kentridge wird ein echter Universalkünstler den „Wozzeck“ von Alban Berg inszenieren. Shirin Neshat würde ich nicht bitten, den „Rosenkavalier“ zu inszenieren. Aber „Aida“, da könnte etwas Interessantes herauskommen. Ihre Fotoarbeiten haben eine großartige melodramatische Qualität, jedes Bild ist vollkommen inszeniert. Wie sie Menschen zueinanderführt, mit Schatten umgeht, das ist absolut großartig. Für ihren ersten Kinofilm „Women without men“ hat sie 2009 gleich den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen, für die beste Regie.
Zum ersten Mal wird mit der neuen Schauspielchefin Bettina Hering eine Frau dem künstlerischen Leitungsteam angehören.
RABL-STADLER: Ja, das freut mich sehr. Genau genommen war allerdings Cecilia Bartoli die erste Frau, als sie 2012 die Leitung der Pfingstfestspiele übernahm.
HINTERHÄUSER: Das Schauspiel ist uns sehr wichtig bei den Festspielen, gleichzeitig gehört der Leiter dieser Sparte nicht dem Direktorium an. Das hat in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen geführt, bei Peter Stein etwa, aber auch bei Martin Kusej. Darum ist es wichtig, dass jemand die Sparte leitet, der einfühlsam damit umgeht.
RABL-STADLER: Bettina Hering hält es mit Max Reinhardt und bietet darum ein eklektizistisches Programm an. Das reicht von „Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann – der noch nie in Salzburg gespielt wurde! – über Andrea Breth, die Harold Pinters „Geburtstagsfeier“ inszenieren wird, bis hin zu einem partizipatorischen Projekt, bei dem das New Yorker Regiekollektiv „600 Highwaymen“ Horváths „Kasimir und Karoline“ mit Laien und Profischauspielern erarbeitet.
HINTERHÄUSER: Es gibt viele Verbindungslinien zwischen Musikprogramm und Schauspiel, im Sinne einer Salzburger Dramaturgie, wie sie immer eingefordert wird. Ich spreche allerdings statt von Dramaturgie lieber von „Erzählung“, das klingt weniger pädagogisch.
Das Publikum sieht allerdings von Ihrer Erzählung immer nur einen Ausschnitt.
HINTERHÄUSER: Wir strecken darum die Aufführungsserien vieler Produktionen bewusst über einen längeren Zeitraum, damit auch Leute, die nur ein paar Tage da sind, viele Facetten des Programms erleben können. Für mich aber, der dieses riesige Festival verantwortet, sind gedankliche Anker wichtig, an denen ich mich festhalten kann. Paul Valéry hat einmal gesagt: „Denken ist durchstreichen.“ Das gilt besonders für den Vorbereitungsprozess. Sich ergebnisoffen auf die Suche zu machen, Ideen auch wieder loszulassen, die sich als irrig erweisen, kurz, so lange erfinden und verwerfen, bis eine Form von gedanklicher Dichte entstanden ist. Bei so manchem Projekt ist das Ergebnis absolut offen, aber ich bin ja nicht angetreten, um das Erwartbare zur Maxime zu machen.
Das Gespräch führte Frederik Hanssen. Die Salzburger Festspiele finden vom 21. Juli bis 30. August 2017 statt..