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Alle meine Mitbewohner. Erik (Ulrich Thomsen, v. l.) und Anna (Trine Dyrholm, h. Mitte) sind die Gründer der Kommune.
© Prokino

"Kommune"-Regisseur Thomas Vinterberg: "Die freie Liebe war eine Uniform"

Zum Filmstart von "Die Kommune" spricht der dänische Regisseur Thomas Vinterberg über alternative Lebensformen und ihre Schattenseiten.

Herr Vinterberg, Sie haben selbst lange in einer Kommune gelebt ...
Ja, ich habe von meinem siebten bis zum 19. Lebensjahr in einer Kommune gelebt. Wenn die Leute danach fragen, ist das genauso, als würde man fragen: „Wie ist es, in einer Familie zu leben?“ Es kommt ganz auf die Familie beziehungsweise die Kommune an. Es gab verrückte Kommunen mit Pädophilen und einer Menge Drogen. Und es gab Kommunen wie meine, die sehr bürgerlich war, bodenständig, einfach wie eine erweiterte Familie. Ein paar Akademiker, Lehrer und Journalisten teilen sich ein Haus. Damals haben alle gern getrunken und waren sehr großzügig. Einer sagte „Lasst uns die Miete nach der Höhe des jeweiligen Einkommens berechnen“ – und das war der, der am meisten verdiente. Er musste dann dreimal so viel bezahlen wie die anderen. Zehn Jahre später ging mein Vater mit seinen früheren Mitbewohnern in eine Bar. Einer sagte: „Ich habe nur Mineralwasser getrunken und will nur meine Rechnung bezahlen.“ So ändern sich die Zeiten.

Wodurch unterscheiden sich heutige Wohngemeinschaften von den Kommunen der Siebziger?
Wohngemeinschaften sind heute viel vernünftiger. Da ziehen junge Leute zusammen, weil sie sich die Miete für eine eigene Wohnung nicht leisten können, und jeder hat sein eigenes Fach im Kühlschrank. Die WGs damals waren verrückter, naiver, unerhörter, aber auch liebenswürdiger.

Ist von den kommunitären Ideen denn gar nichts übrig geblieben?
Sie sind heute durch den Individualismus und das Recht auf Privatsphäre ersetzt worden, was ja auch sehr wichtige Werte sind. Aber ich sehe nicht, dass unsere heutige Gesellschaft noch vieles teilt. Klar, im Internet wird per Mausklick geteilt, aber das ist nichts Physisches. Außerdem glaube ich, dass die Menschen heute viel weniger Sex haben als damals, weil so viele alleine leben.

„Die Kommune“ erzählt, wie Anna (Trine Dyrholm) an ihre emotionalen Grenzen gerät, als die Geliebte ihres Mannes einzieht. Haben sich viele damals mit dem Gebot der freien Liebe übernommen?
Die Freiheit zur Untreue gehörte zur Uniform der siebziger Jahre. Heute wird Untreue wie ein Verbrechen behandelt, obwohl eigentlich alle fremdgehen. Das ist auch nicht besser. Das Problem ist die Uniform, die öffentliche Moral, die vorgibt, wie man sein Liebesleben zu gestalten hat. Die Regeln der Loyalität und Liebe zwischen zwei Menschen sollten diese allein nach ihren Bedürfnissen bestimmen. Eine Ehe, in der der Mann eigentlich homosexuell ist, aber trotzdem in der Ehe bleibt, weil er sich aufgrund der öffentlichen Moral nicht erlaubt, offen schwul zu sein, ist eine Tragödie. Aber eine Ehe, in der der Mann zu seinen homosexuellen Neigungen steht und seine Frau trotzdem liebt, ist machbar. Man kann in den verschiedensten Konstellationen glücklich miteinander werden, wenn man sich darüber einig ist. Und es wird in der Gesellschaft immer einen konstanten Prozess der Erforschung dessen geben, wie man sich selber, seine Geschlechterrolle oder die sexuelle Orientierung definiert.

Wäre der Film in Deutschland angesiedelt, würden am WG-Tisch ausufernde politische Diskussionen geführt. War das in Dänemark damals anders?
Ich habe das weggelassen, weil mich politische Diskussionen langweilen. Die Menschen bestehen aus dem, was sie der Welt zeigen wollen, und dem, was sie vor ihr verbergen. Mich interessiert Letzteres mehr. Ich wollte nicht die politische Agenda dieser Figuren vorführen, sondern hinter ihre Fassade blicken. Es gibt diese Klischees, die man erwartet, wenn man einen Film über eine Kommune sieht. Wir haben versucht, dem zu entgehen. Es gibt zwar eine Nacktszene, aber darüber hinaus gibt es keine Lagerfeuer, keine Joints, keine Fickzimmer, keine Frauen, die über ihre Menstruation diskutieren.

Regisseur Thomas Vinterberg
Regisseur Thomas Vinterberg
© picture alliance / dpa

Wie war die Rolle der Frauen damals in den Kommunen?
Sie hatten einen sehr starken Einfluss. Das ist vielleicht etwas, das aus dieser Zeit geblieben ist. Dänische Frauen sind heute stark und unabhängig. Weil sie ihre Freiheit ausleben und trotzdem einen Großteil der Verantwortung für die Familien tragen, sind sie allerdings auch sehr beschäftigt. Dänische Männer eher schwach. Das hat eine Geschlechterkonfusion zur Folge, die mir sehr viel lieber ist als die traditionellen Rollenbilder.

Die Siebziger waren auch eine Zeit der Rebellion. Rührt daher Ihr rebellischer Geist, mit dem Sie Ende der Neunziger gemeinsam mit Lars von Trier und anderen mit dem Dogma-Manifest gegen das etablierte Kino Stellung bezogen?
Ja, natürlich. Wir waren jung und naiv – aber auch sehr eitel – und wir rebellierten gegen die Mittelmäßigkeit des Filmemachens. Mit unserem Manifest und der freiwilligen Beschränkung sind wir ein Risiko eingegangen. Aber das verschwand, sobald die Dogma-Filme erfolgreich wurden. Das Dogma-Manifest wurde eine Rezeptur und verkam zur Mode. Der Begriff Dogma-Stil kam auf, was komisch war, weil wir ja eigentlich jeglichen Stil vermieden haben. Schon der Applaus in Cannes bei den Premieren von „Das Fest“ und „Die Idioten“ 1998 war der Anfang vom Ende der Dogma-Bewegung. Ein natürlicher Prozess: Jede neue Welle bricht sich irgendwann und verflacht.

Was ist für Sie aus dieser Zeit geblieben?
Der Ehrgeiz, Filme so wahrhaftig, aufrichtig, lebendig und konfrontativ wie möglich zu gestalten. Auch wenn ich heute vielleicht nicht mehr so fest zuschlage wie damals.

Und worin liegt in Ihren Augen das Geheimnis des dänischen Films, der ja nach wie vor zu den interessantesten im europäischen Kino zählt?
Das dänische Kino ist durch ein starkes Gruppengefühl geprägt. Wir halten zusammen, helfen einander, fordern einander heraus und sind sehr ehrlich zueinander. Wir sehen uns oft. Das verbindet uns. Außerdem ist Dänemark ein Land, in dem es viele dunkle Geschichten gibt, und wir haben keine Angst, diese dunklen Seiten des Lebens zu erkunden.

Das Gespräch führte Martin Schwickert.

Thomas Vinterberg, 1969 in Kopenhagen geboren, ist Mitbegründer der dänischen Dogma-Bewegung und Regisseur von international erfolgreichen Filmen wie „Das Fest“ und „Die Jagd“.

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