Schauspielerin Trine Dyrholm: Die freie Radikale
Mit ihrer Hauptrolle im WG-Film „Kollektivet“ gilt Trine Dyrholm als Bären-Kandidatin. Im Gespräch plädiert sie für Aufgeschlossenheit und erklärt, dass äußere Stärke oft nur ein Panzer ist.
Nein, sie spricht kein Deutsch. Aber sie kann gut Zeilen auswendig lernen. Zeilen wie „Friends sind Teil der Russian Cyber-Mafia“, die Trine Dyrholm grinsend und mit unüberhörbar skandinavischem Akzent in einem Restaurant am Potsdamer Platz zitiert. Sie stammen aus dem deutschen Cyber-Thriller „Who Am I – Kein System ist sicher“, in dem die dänische Schauspielerin als Europol-Ermittlerin aufgetreten ist. Sie hat auch schon in Ulrich Köhlers Deserteurs-Drama „Bungalow“ und im Natascha-Kampusch-Entführungs-Krimi „3096 Tage“ gespielt. Die Texte lernt sie dann phonetisch, am Klang, nicht am Sinn orientiert, ähnlich wie die Beatles, als sie aus ihrer Hit-Single „She Loves You“ die deutsche Version „Sie liebt dich“ machten.
Trine Dyrholm, die 1972 in Odense auf der Insel Fünen geboren wurde, ist ein Star des europäischen Kinos. In Susanne Biers Komödie „Love Is All You Need“ fand sie unter süditalienischer Sonne mit Pierce Brosnan zusammen, in „The Cut“, Fatih Akins auf Englisch gedrehtem Film über den Völkermord an den Armeniern, spielte sie die Chefin eines Waisenhauses. Ihr Gesicht mit der weißblonden, optimistisch nach oben geföhnten Kurzhaarfrisur kennen viele. Den Namen hingegen nur wenige. In Thomas Vinterbergs dänischem Wettbewerbsbeitrag „Kollektivet“ ist Dyrholm als Fernsehjournalistin zu sehen, die von ihrem Mann für eine Studentin verlassen wird, die wie ihre 20 Jahre jüngere Zweitversion wirkt. Erschwerend kommt hinzu, dass das Ehepaar gerade in einer geerbten Villa eine Wohngemeinschaft gegründet hat, wo die Bewohner bei Hausversammlungen Auskunft über ihre Befindlichkeiten geben müssen.
Sind wir nicht alle schwach und verletzlich?
Anna, so Dyrholms Rollenname, entgleitet langsam ihr Leben, sie geht durch alle Seelenzustände der Verzweiflung. Höhepunkt ist ein Nervenzusammenbruch der Nachrichtensprecherin vor laufender Kamera. Aus der toughen Karrierefrau, die auf der Straße um Autogramme gebeten wird, ist ein wimmerndes Nichts geworden. „Sind wir das nicht alle, schwach und verletzlich im Inneren?“, fragt Dyrholm. „Äußere Stärke ist oft nur ein Panzer.“ Wegen ihrer atemberaubenden Darstellung einer Taumelnden hat sie gute Chancen auf den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin.
„Kollektivet“ ist im Kern autobiografisch, der Regisseur Vinterberg wuchs von seinem siebten Lebensjahr an in einer Kommune auf. Das hat er seiner Hauptdarstellerin voraus, die mit ihrer Schwester in den sogenannten wohlbehüteten Verhältnissen eines süddänischen Lehrerhaushalts groß geworden ist. „Die politischen Kämpfe der Zeit habe ich aber mitbekommen“, erzählt sie. „Meine Mutter war sehr engagiert und nahm mich mit zu Demonstrationen gegen Atomkraft und für den Frieden.“
Als Trine Dyrholm mit 17 Jahren nach Kopenhagen ging, um ihren ersten Spielfilm „Springflo“ zu drehen, kam sie für ein halbes Jahr in der Wohngemeinschaft ihrer Cousins unter. „Von den radikalen politischen Ideen der siebziger Jahre war damals zwar schon nicht mehr viel übrig, aber ich fand es wahnsinnig interessant und befreiend“, erinnert sie sich. „Das Grundprinzip, alles zu teilen, finde ich immer noch richtig – auch wenn man nicht unbedingt, wie im Film, den Ehepartner miteinander teilen muss.
Das Aufblühen der Kommunen bedeutete vor allem Befreiung
Thomas Vinterberg konstatierte bei der Pressekonferenz, dass die Figuren seines Filmes am Ende aller ihrer Kämpfe, Trennungen und wechselseitigen Beleidigungen „doch eine Familie“ blieben. Man könnte präzisieren: eine dysfunktionale Familie. Aber ist das nicht die nostalgische Verklärung einer Ära, in der es oft mehr um Selbstverwirklichung als um Solidarität ging? Nein, findet Trine Dyrholm. „Das Lebensexperiment der Kommunen war anfangs ungemein modern und aufregend“, sagt sie. „Man muss bedenken, dass die meisten Menschen, die sich auf dieses Experiment einließen, in den engen Verhältnissen der fünfziger Jahre aufgewachsen waren, wo viele Verbote herrschten und die Rollenverteilung zementiert war, wie Männer und Frauen zu sein hatten.“
So steht das Aufblühen der Kommunen in den siebziger Jahren vor allem für eines: Befreiung. „Davon profitieren wir bis heute“, findet Dyrholm. „Etwa, was die Selbstbestimmung der Frauen betrifft.“ Allerdings hat sie bei der Vorbereitung des Drehs auch mit Veteraninnen gesprochen, die über den „Konformitätsdruck“ klagten, sich auf sexuelle Abenteuer einzulassen. Damals hätte man von der Dialektik des Fortschritts gesprochen.
Thomas Vinterberg verkündete bei der Pressekonferenz, dass er sich wegen der Politik seines Landes „schäme, ein Däne zu sein“. Dänemark hat die schärfsten Asylgesetze Westeuropas, die rechtspopulistische Dansk Folkeparti ist zweitstärkste Kraft im Parlament. Das habe mit Angst zu tun, sagt Trine Dyrholm, „Angst vor Veränderung“. Von den Hippies lernen heiße erkennen lernen: Probleme lassen sich nur gemeinsam lösen – und „openminded“, aufgeschlossen.