Diskussion zum Kulturgutschutzgesetz: Die Frage nach der nationalen Bedeutung der Kunst
Monika Grütters erntet mit ihrem Entwurf eines Kulturgutschutzgesetzes herbe Kritik. Dabei sollte die Diskussion darüber geführt werden, was national bedeutende Kunst eigentlich ist. Ein Kommentar.
Wenn man doch bloß den Geist wieder zurück in die Flasche bekäme! Das wird sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters dieser Tage öfter gedacht haben. Die von der CDU-Politikerin energisch angegangene, aufgrund von Unesco-Konventionen und EU-Recht längst überfällige Novellierung des Gesamtkomplexes Kulturgutschutzgesetz hat einen Sturm der Entrüstung entfacht. Zunächst kritisierten die in erster Linie betroffenen Kunsthändler Grütters und fürchteten, das private Sammeln komme zum Erliegen, wenn ein Ausfuhrverbot für nationale bedeutsame Kultur verhängt wird. Später meldeten auch andere Seiten Bedenken an, beispielsweise die Förder- und Freundesvereine von Museen. Und er renommierte Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im Bundesverband der Deutschen Industrie fragte provozierend: „Wollen wir wirklich eine neue Art ,Kunst-Nationalismus’?“. Er sieht gar die Freiheit der Kunst gefährdet.
Dass der unautorisierte, noch nicht im Bundeskabinett abgesegnete Entwurf aus Grütters’ Haus an die Öffentlichkeit gedrungen ist, hat die Kulturstaatsministerin gewiss mächtig verärgert. Denn das meiste, was im Einzelnen dagegen vorgebracht wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als haltlos. Vor allem, weil es bei dem angekündigten Ausfuhrverbot für „national wertvolles“ Kulturgut beileibe nicht um ein generelles Verbot geht, sondern um ein nach Alter und Marktwert eines Objekts differenziertes: Nur für Werke, die älter als 50 Jahre und über 150 000 Euro wert sind, muss künftig ein Antrag gestellt werden. Auch ist bereits jetzt ein freier Verkauf in Länder außerhalb der EU-Grenzen nicht möglich. Nach Grütters’ Gesetzentwurf soll diese Regel künftig auch für die EU-Mitgliedstaaten Anwendung finden. Mit anderen Worten: Was bislang für New York galt, soll künftig auch für London gelten.
Nationales Kulturgut definieren - das wird nie restlos befriedigend gelingen
Inzwischen gerät das große Ganze mehr in den Blick, die Frage nämlich, was „national wertvolles Kulturgut“ eigentlich sei. Nur dieses soll ja von den Ausfuhrregelungen betroffen sein. Dass die Tagebücher des Naturforschers Alexander von Humboldt dem nationalen Kulturerbe zurechnen sind, werden wohl selbst Gegner des Grütters-Gesetzes nicht anders sehen. Die Berliner Staatsbibliothek konnte die Reisetagebücher von Humboldts Südamerika-Expedition 2013 von den Humboldt-Erben erwerben, mit Hilfe öffentlicher Gelder, aber auch privater Mäzene. Nur so konnten die legendären Dokumente für die Nation und die Heimatstadt Humboldts gesichert werden – ein Vorgang, der gerne als Argument für die gesetzliche Neuregelung herangezogen wird.
Weitere Beispiele lassen sich anführen, glückliche und schmerzliche. Glücklich beispielsweise der Erwerb des Evangeliars Heinrichs des Löwen, das 1983 in London für 32,5 Millionen Mark ersteigert werden konnte. Schmerzlich hingegen der diskret abgewickelte Verkauf einer ganzen Sammlung illuminierter Handschriften des Mittelalters, die Peter Ludwig zusammengetragen hatte und vom Kölner Schnütgen-Museum katalogisieren ließ. Derart wissenschaftlich aufgewertet, gingen sie für eine dreistellige Millionensumme en bloc ans kalifornische Getty-Museum.
Wie aber, so die EU-Formulierung, „nationales Kulturgut“ genau definiert werden kann, bleibt eine nie restlos zu beantwortende Frage. Das ist der Stolperstein des Gesetzesvorhabens. Am Ende müssen Expertenrunden entscheiden, die jedes Bundesland für sich aufstellt, um die bereits existierenden Listen zu aktualisieren. Sie können zu einander widersprechenden Urteilen kommen. Sind die Gemälde, die der Künstler Georg Baselitz den Dresdner Museen geliehen hatte und nun aus Protest gegen das Gesetzesvorhaben abhängen ließ, nationales Kulturgut? Gibt es nicht viele Arbeiten des Malers in anderen deutschen Museen? Baselitz’ Reaktion ist schon deshalb unsinnig, weil seine Werke noch keine 50 Jahre alt und folglich ohnehin von der Klausel ausgenommen sind. Monika Grütters will die Frist zudem auf 70 Jahre ausdehnen.
Die identitätsstiftende Funktion von Kunst und Kultur wird stärker betont
Um es noch komplizierter zu machen: Auch jüngere Kunst kann durchaus von nationaler Bedeutung sein, etwa Gerhard Richters Gemäldezyklus zum Thema des RAF-Terrorismus, „18. Oktober 1977“. Der Künstler verkaufte dieses rare Exempel zeitgenössischer Historienmalerei ans New Yorker MoMA, ein geschickter Schachzug zur Sicherung des eigenen Nachruhms in diesem nach wie vor „die“ Moderne definierenden Museum. So lässt sich über die Definition schützenswerter nationaler Kultur wohl kaum qua Gesetz abschließend Übereinkunft erzielen. Manchen, wie dem Kulturkreis des BDI, gilt ja schon die bloße Vorstellung von nationalem Kulturgut als anstößig.
Merkwürdig genug. Denn die identitätsstiftende Funktion von Kunst und Kultur wird gerade in jüngster Zeit erheblich stärker betont und zum Maßstab politischen Handelns erhoben, sofern es um Antiken geht oder um bedrohte Schätze in Kriegs- und Krisenregionen. Der Handel mit solchen, oft unter dubiosen Umständen und schlimmstenfalls schlicht gestohlenen Gütern soll ebenfalls mit Hilfe des novellierten Kulturgutschutzgesetzes bekämpft werden. Erstmals im deutschen Rechtsraum, also skandalös spät nach der bereits 1970 geschlossenen Unesco-Konvention.
Dass Raubgut jüngeren Datums herausgegeben werden muss, etwa an das Nationalmuseum des Irak, steht außer Frage. Aber es bleibt das Problem einer dauerhaft sicheren Unterbringung solcher Schätze, etwa auch der wertvollen Handschriften-Bibliotheken von Timbuktu, deren Bestände zum größeren Teile vor marodierenden Bürgerkriegstruppen gerettet werden konnten.
Gibt es neben der Messung in Geldgrößen noch andere Wertmaßstäbe?
Ebenfalls ungelöst: Die Frage der „geteilten“ Eigentümerschaft. Sind Kunstwerke wie die Elgin Marbles in London – die berühmten Platten des Athener Parthenon-Fries’, die Griechenland für sein Akropolis-Museum zurückfordert – nicht längst auch in ihrer neuen Heimat verwurzelt? Von London aus haben die Elgin Marbles zur Wahrnehmung und Bewahrung des antiken Erbes angeregt, in der Kunstgeschichte, der Wissenschaft, der Literatur. Müssen nicht gerade Verfechter eines nationalen Kulturerbes stolz darauf sein, dass Werke von Caspar David Friedrich oder Adolph Menzel in Londons National Gallery zu sehen sind und dem dortigen internationalen Publikum die Augen öffnen für europäische Kulturgeschichte jenseits Italiens oder Frankreichs? Staaten übrigens, die ihr Kulturerbe seit jeher gegen Abwanderung schützen.
In Deutschland ist dafür nicht zuletzt die Kulturstiftung der Länder (KSL) zuständig. Sie sorgt seit über 25 Jahren dafür, dass Kunstwerke im Lande bleiben, die Museen, Archive und Bibliotheken für wertvoll erachten. Die KSL bringt eigene, von den Bundesländern aufgebrachte Mittel ein und bemüht sich um Mitfinanziers wie private Stiftungen. Zum weidlich durch die Medien gegangenen Fall der von Nordrhein-Westfalen in New York versteigerten Warhol-Arbeiten hat die Generalsekretärin der KSL, Isabel Pfeiffer-Poensgen, seinerzeit ganz im Sinne des jetzigen Gesetzentwurfs Stellung genommen. Sie verglich das Vorgehen des Landes mit dem von Privatseite getätigten Verkauf eines Jackson-Pollock-Werks. Ebenfalls ein bedauerlicher Verlust, aber eben ein Verkauf aus Privatbesitz. Bei der Westspiel GmbH, die den Warhol-Verkauf tätigte, handele es sich aber „de facto um einen ausgelagerten Geschäftsbereich des Landes Nordrhein-Westfalen, das in einer besonderen Verantwortung steht und Vorbild sein müsste“.
Privatbesitz steht auch künftig nicht a priori unter Kuratel. Sollte ein Ausfuhrverbot erwogen werden, wird - wie bislang in zahllosen Fällen - die Diplomatie der KSL und der Museen gefragt sein, um zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, nämlich einem Ankauf zum Marktpreis. In etlichen Fällen der Restitution von NS-Raubgut, die auch künftig durch keine Ausfuhrregelung beschränkt werden soll, hat dies genauso funktioniert.
Es ist jetzt an der Zeit, die Diskussion um das „nationale Kulturerbe“ zu führen. Darüber, ob es jenseits des Kunsthandels mit seiner Messung in Geldgrößen noch andere Wertmaßstäbe gibt. Maßstäbe, auf sie sich eine Kulturnation verständigen sollte, wenn sie denn eine sein will.
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