Diskussion um Kulturgutschutzgesetz: Monika Grütters erklärt sich
Der Kunsthandel läuft Sturm gegen Monika Grütters Kulturgutschutzgesetz. Die versucht nun die Wogen zu glätten, indem sie auf eine bestehende EU-Regelung verweist.
„Totreguliert“, rufen die 259 Unterzeichner in einem Offenen Brief, den der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler am Dienstag verschickte. Unterzeichner und Verband sehen das „Ende des internationalen Kunsthandels in Deutschland“ heraufziehen. Starke Worte, in einer Diktion, die das Mitglied der Bundesregierung, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), „irritiert“ hat, wie sie gestern auf einer bestens besuchten Pressekonferenz einräumte.
Immerhin war der Bundesverband „regelmäßig und kontinuierlich“ an den Anhörungen beteiligt, die die Behörde der Kulturstaatsministerin (BKM) zuvor veranstaltet hat. Dabei sind die Galeristen mit ihrem Wunsch nach vollständiger Regelungsfreiheit nicht durchgedrungen – wobei doch die Vorschriften, die das neue Kulturgutschutzgesetz enthalten soll, im Bereich des EU-Außenhandels längst als zugleich national verbindliches EU-Recht gelten.
Einige Künstler fühlten sich bereits bemüßigt, ihre Leihgaben aus Museen abzuziehen, weil sie deren „kalte Enteignung“ fürchten, von der in manch’ wütender Stellungnahme die Rede war. Andere, wie der international höchstbewertete Gerhard Richter, zeigen sich gelassener. Auch von ihm gibt es wesentliche Leihgaben in Museen, wie in Dresden.
Monika Grütters hatte gestern etliches zurechtzurücken. Dass sich die Ein- und Anwürfe zum Gesetz auf einen nichtöffentlichen, doch bereits zirkulierenden Referentenentwurf stützen, hat sie verärgert. So ist das nun einmal im Zeitalter des Internet. Alle wissen immerzu alles oder glauben es zumindest, auch wenn es, wie in diesem Fall, nur die Hälfte ist.
Im Kern geht es bei dem inkriminierten Teil des Gesetzes darum, die bislang im EU-Außenwarenverkehr geltenden Regeln nunmehr auch im Binnenverkehr anzuwenden. So ist die Schweiz als Nicht-EU-Land bereits davon betroffen – was keinen Händler je daran gehindert hätte, an der weltweit wichtigsten Messe für zeitgenössische Kunst, der Art Basel, teilzunehmen. Die Händler verweisen stattdessen auf die auf Alte Meister und Kunsthandwerk fokussierte Messe „Tefaf“ im niederländischen Maastricht, auf der sie womöglich ganz kurzfristig Kunstwerke vorstellen wollen.
Die erdrückende Mehrzahl deutscher Galerien handelt indessen mit zeitgenössischer Kunst. Die künftigen Regelungen gelten nur für Kulturgüter, die mindestens 150 000 Euro wert und 50 Jahre alt sind – Zeitgenössisches ist mithin ausgenommen. Grütters stellt sogar eine Erhöhung dieser Freigrenzen in Aussicht. Ihr schweben 300 000 Euro und 70 Jahre vor, womit derzeit der gesamte Bereich der Nachkriegskunst von jeglicher Genehmigungspflicht befreit bliebe.
Bisher stehen nicht mehr als 2700 Kunstwerke auf der Ausfuhrverbotsliste
Bereits im Grundgesetz (Art. 73) ist der „Schutz deutschen Kulturguts vor Abwanderung ins Ausland“ verankert; seit 1955 gibt es die entsprechende gesetzliche Detailregelung. Nicht mehr als 2700 Kunstwerke sind seither auf die – von den 16 Bundesländern geführte – Ausfuhrverbotsliste gelangt. Künftig werden es weitaus mehr sein: allein, weil der öffentliche Besitz in Form vor allem der Museumssammlungen und Archive kollektiv geschützt werden soll. Das ist nicht mehr als eine Formalie, weil Museen bis auf seltene Ausnahmen ohnehin nichts aus ihrem Bestand veräußern dürfen. Leihgaben an die Museen von Künstlern oder Sammlern unterliegen dieser Schutzvorschrift bei bis zu fünfjähriger Ausleihe generell nicht und darüber hinaus auch nur mit Zustimmung des Leihgebers. Ohnehin endet jegliche Unterschutzstellung – die im Übrigen eine rechtliche Besserstellung etwa bei Diebstahl bewirkt – mit dem Ende einer Ausleihe. Kein Sammler muss eine „kalte Enteignung“ fürchten. Was aber ist „national wertvolles Kulturgut“ beziehungsweise, wie die neue EU-Bezeichnung lautet, „nationales Kulturgut“? Da tut sich das Gesetz naturgemäß schwer, kommt es doch stets auf eine Einzelfallbewertung an. Der am Mittwoch vorgestellte Referentenentwurf nennt als Kriterien, dass das infrage stehende Kunstwerk „besonders bedeutsam für das kulturelle Erbe Deutschlands, der Länder oder einer seiner historischen Regionen ist oder ein besonders bedeutsames Werk einer Künstlerin oder eines Künstlers von internationalem Rang ist und dauerhaft in Deutschland verwahrt worden ist“ und ferner – noch eine weitere Hürde – „sein Verbleib im Bundesgebiet im besonderen öffentlichen Interesse liegt“. Ähnlich ist die Definition gefasst, die die Kultusministerkonferenz der Bundesländer 2010 aktualisiert hat. Nichts Neues also unter der Sonne.
In diesem Sinne verfährt die in Berlin ansässige Kulturstiftung der Länder (KSL), die 1988 genau zu dem Zweck geschaffen wurde, die Abwanderung von Kulturgut durch Ankauf für ein inländisches Museum zu verhindern. Die KSL ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Hunderte von Kunstwerken konnten mit ihrer finanziellen und fachlichen Hilfe aus Privatbesitz für Museumssammlungen gesichert werden, selbstverständlich zu dem einvernehmlich vereinbarten Marktpreis, widrigenfalls der Erwerb nicht zustände käme. Über dieses Prozedere hat sich kein Händler je beschwert.
Ein anderer Teil des Gesetzes betrifft den Handel mit illegalem Gut, etwa aus Plünderungen antiker Stätten, wie es mit dem Zerfall nah- und mittelöstlicher Staaten in großen Mengen auf den Markt drängt. Hier vollzieht die Bundesrepublik nur, was sie vor Jahrzehnten bereits in einer entsprechenden Unesco-Konvention zugesagt, aber nie mit wirksamem nationalen Recht unterlegt hatte. „Illegaler Handel ist indirekte Terrorismusfinanzierung“, betonte Grütters. Dieser Aspekt ist immer wieder betont worden. Der nunmehr verpflichtende „ausdrückliche Herkunftsnachweis für ausländisches Kulturgut“ ist mehr als überfällig.
Was im Lande bleiben soll, muss bei jedem Werk einzeln verhandelt werden
Die Unterzeichner des Kunsthändler-Brandbriefes meinen, die Novellierung stehe „der durch Grundgesetz und europäische Verträge garantierten Niederlassungsfreiheit und dem freien Warenverkehr diametral entgegen“. Das wird, wenn es die Galeristen ernst meinen, das Bundesverfassungsgericht zu prüfen haben. Den Händlern und ihrem Verband ist offenbar entgangen, dass es spezifische Regelungen seit jeher gibt und auch in Zukunft – man denke an das derzeit verhandelte transatlantische Handelsabkommen – geben wird, zumal im Bereich der Kultur. Bleibt als Königsweg, wofür die KSL steht: die einvernehmliche Einigung. Sie kann auch auf Ausfuhr hinauslaufen. Nicht jedes Bild von Baselitz muss im Land bleiben. Es gebe „ohnehin viel zu viel Kunst in den Museen“, hat Gerhard Richter spitz angemerkt: „So viel Qualität kann es in der Kunst gar nicht geben.“ Und besagte Qualität, wie schwer auch im Einzelfall zu beurteilen, muss das entscheidende Kriterium sein – für Regelungen von Gesetzes wegen, vor allem aber für die Museen, die sich bislang allzu gern und gedankenlos am tagesaktuellen Kunstmarkt orientiert haben.
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