Bonjour Cannes (2): Die Deneuve - grundgut gemeint, aber kaum zu ertragen
Die 68. Internationalen Filmfestspiele in Cannes sind eröffnet. Das wichtigste Filmfest der Welt startete mit "La tête haute" von Emmanuelle Bercot. Kann Kino-Ikone Catherine Deneuve als Jugendrichterin überzeugen?
Mit ihren starbesetzten Eröffnungsfilmen hatten sie in Cannes zuletzt nicht das glücklichste Händchen. Vor zwei Jahren dröhnte Baz Luhrmanns 3D-Version vom „Großen Gatsby“ mit Leonardo DiCaprio dem Gala-Publikum Augen, Ohren und Hirne zu. Auf diese so laute wie leere und zudem gefährlich selbstreflexive Exekution von Glamour-Power setzten die Festivalmacher letztes Jahr mit „Grace of Monaco“ noch eins drauf. Olivier Dahan besetzte die unglückliche Zwergstaaten-Potentatin ausgerechnet mit der seit ihren Botox-Eskapaden mimisch unleugbar beeinträchtigten Nicole Kidman und begrub wohl auch deshalb die Society-Schmonzette konsequent in einem Berg aus Tand und Tüll.
Diesmal immerhin wagte das Festival zumindest thematisch radikal Neues und mutete folglich am Mittwochabend den geladenen Premierengästen mit Emmanuelle Bercots sozialrealistischem Jugendkriminellendrama „La tête haute“ (deutsch etwa: Erhobenen Hauptes) einiges zu. Die Jugendrichterin aber im konsequent griesgramgrau gehaltenen Justizpalast-Ambiente gibt ausgerechnet Catherine Deneuve, jene inzwischen 71 Jahre alte französische Star-Ikone, die jedem Film ihren Star-Ikonenstempel aufdrückt. Vor fünf Jahren mochte das in François Ozons „Schmuckstück“ noch angehen, wo sie eine fesche Provinzfabrikbesitzerin spielte. Zuletzt wirkte sie, in „Madame empfiehlt sich“ (Regie: ebenfalls Emmanuelle Bercot), als Restaurantbetreiberin mit frischem Hang zum bäuerlichen Prekariat eher peinlich. Nun allerdings ist die Filmweltberühmte, als gütige Gesetzeswächterin mit deftigem Gouvernanten-Touch durchaus zentral platziert, kaum mehr zu ertragen.
Ein bisschen borderline
Dabei ist der grundgut gemeinte Film, der die wacklige Lebensbahn eines jugendlichen Bengels mit immerhin breitem Happyend nachzeichnet, ansonsten fein besetzt, wenn auch in manchen Szenen immer wieder ein bisschen borderline. Der bei einem Zimmermanns-Lehrgang für die Rolle gecastete Rod Paradot macht seine Sache als ruppig in die Knastreife absackender Zögling tapfer trotzig. Sara Forestier gibt seine leider erziehungsuntaugliche leibliche Mutter mal mit prolligem Charme, mal mit reichlich Rotz und Wasser. Und Benoît Magimel verkörpert, mit überwiegend anrührender Zurückhaltung, den nimmermüden Sozialarbeiter mit dem großen Herzen. Immer wieder aber landet das Trio, eskortiert von eher karikatureskem Gerichtspersonal, in Deneuves Amtszimmer. Und da wird dann, bevor es - leider, leider! - in die nächste Station gesellschaftlichen Abstiegs geht, mal diesem, mal jener der Kopf gewaschen - stets mit der Würde des Amtes, versteht sich.
Sehr unklar bleibt, wen ein solcher Film, der sich jenseits des bebildernden Abhakens einer Akte wenig um einen dramaturgisch oder sonstwie originellen Zugriff müht, für ein solches fraglos trauriges Schicksal nachhaltig aufschließen soll - ganz anders als etwa Xavier Dolans „Mommy“ letztes Jahr mit durchaus ähnlichem Thema. Und noch unklarer, was diesen außer Konkurrenz gezeigten Film, der es auch etwa in der Konkurrenz der Nebenreihe „Un certain regard“ schwer gehabt hätte, zum immerhin prominentestmöglichen Gala-Auftritt qualifiziert, den das Weltkino zu bieten hat. Es sei denn die im Jahr der „Charlie-Hebdo“-Morde honorige Abkehr vom üblichen Edeltingeltangel. Oder gar doch - um des Festivalchefs Thierry Frémaux gallenbitteres Lieblingsthema zu bemühen - das Faktum, dass man sich zur Eröffnung mit einem französischen Regisseurinnenfilm die französischen Regisseurinnenklagen über zu wenige (französische) Regisseurinnenfilme ein für alle mal vom Leib halten wollte.
Einsilbige Coen-Brüder als Jury-Präsidenten
Ein lauer Start also in Cannes, was ebenso über die rituelle Pressekonferenz der Jury zu sagen wäre, die doch - etwa in den Jahrgängen mit Robert De Niro oder Steven Spielberg - echte Funkelqualitäten bieten kann. Erstmal hat Cannes, mit Joel und Ethan Coen, zwei extrem filmwitzige Präsidenten - mit je einer Stimme - verpflichtet, aber statt doppelten Witzes ist eher doppelter Jetlag zu verzeichnen. Vielleicht zündet schon die Eingangsfrage des Moderators Henri Béhar ans Podium zu wenig, ob denn die Einladung in die Jury eher mit einem „yeah!“ als mit einem „oh!“ quittiert worden sei. Die Coens entscheiden einsilbig und eher gedehnt auf „Yeah“, und so geht es insgesamt auch weiter. Es heißt, Sie mögen kein Fernsehen, fragt etwa ein Kollege vom deutschen Fernsehen. Drauf Joel: „Es ist nicht so, dass ich Fernsehen hasse, ich guck's nur nicht.“ Und Joel: „Es ist einfach anders als Kino.“ Mach was draus.
Und die gute Nachricht aus Cannes? Das Wetter wird dieses Jahr famos. Darauf deutet nicht nur die Prognostik der üblichen „Wir lieben Wetter“-Portale hin, sondern, zuverlässiger noch, ein legendäres Accessoire eben jenes Pressekonferenzmoderators. In Jahren mit unfassbar ergiebigen Frühlingsregengüssen trägt er stets, auch im Kinosaal, eine sehr dunkle Sonnenbrille kleidsam hoch oben im schlohweißen Haar. Am Mittwoch bei der Präsentation der Jury, „yeah!“ und „oha!“, aber fehlte sie.