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Königin der Croisette. Nicole Kidman in Cannes, wo sie am Mittwochabend als "Grace of Monaco" die Filmfestspiele eröffnet.
© dpa

Eröffnung des Filmfestivals in Cannes: Skandal? Skandälchen!

Mit "Grace of Monaco" eröffnet heute das 67. Filmfestival in Cannes. Und mit großer Aufregung, denn die monegassische Fürstenfamilie ist erbost. Über das Glitzern der Kristalllüster, eine Fehlbesetzung - und ein eher müdes Skandälchen.

Dort also ruht sie, man möchte fast sagen: glamourös. „Hier durch die Apsis“, flüstert der Kirchendiener, „Sie können es nicht verfehlen: Es ist das erste blumengeschmückte Grabmal.“ Vorbei also geht es an einem knappen Dutzend Marmorplatten vergessener monegassischer Prinzen und Potentaten, und endlich schimmert sie auf, zart bunt umrandet: die Ruhestätte von „GRATIA PATRICIA PRINCIPIS RAINERII III UXOR“. Und ihr Gatte, „RAINIERIVS III“, auch er floral bekränzt, liegt unmittelbar daneben.

Wir sind nicht in Cannes, sondern auf dem Fürstenfelsen von Monaco, im dunklen Inneren der kaum ein Jahrhundert jungen neoromanischen Kathedrale. Hier liegt, seit nunmehr 32 Jahren, jene Zwergstaatenfürstin begraben, die einmal der Hollywoodstar Grace Kelly war. Touristen, von ihren Führern schon vorm Gotteshaus eindringlich zum Schweigen verdonnert, machen drinnen pulkweise Schnappschüsse vom Star-Grab. Und tatsächlich, selbst der immerhin geweihte Totenwinkel wirkt wie eine Filmkulisse: so proper geputzt, so neu die Pfeiler und Bögen der Kirche, als hätte man sie geradewegs für „Der Name der Rose 2“ hochgezogen.

Keine 60 Kilometer, ein paar Bummelbahnstationen jenseits von Nizza, liegt Monaco von Cannes entfernt, und in diesen Tagen, da das 67. Filmfestival pompös mit Olivier Dahans „Grace of Monaco“ eröffnet, scheint die Distanz noch einmal dramatisch geschrumpft. Ja, regelrecht eingeebnet: in der Sehnsucht nach totaler Überlappung von äußerem Glamour und innerer Glorie. In der bereits heftig tönenden Begleitmusik aus Tratsch und Quatsch und Knatsch. Und in der mit allen Mitteln der Filmkunst vorgespielten Aufhebung des Unterschieds zwischen Film und sogenanntem Leben.

Ein Leben auf immerroten Teppichen

Cannes braucht, besonders zum Start und ohnehin bei den allabendlichen Stufenbegängnissen in Smoking und seidenen Nichtsen, den Bilderglanz, mit dem es seinen Nimbus füttert. Der Junggeselle und Operettenstaatenlenker Rainier brauchte 1956, da war er schon 33, die schöne Mittzwanzigerin Grace Kelly für jenes bombastisch inszenierte Ereignis, das später nur noch „Jahrhunderthochzeit“ hieß. Und der erfolgreichen amerikanischen Jungschauspielerin, die gerade am Set von Alfred Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“ die Côte d'Azur lieben gelernt hatte, kam die Aussicht auf ein Leben auf immerroten Teppichen und unter dauerfunkelnden Kristalllüstern ebenfalls zupass. Ja, hatten sich die zwei nicht überhaupt bei den Filmfestspielen von Cannes kennen gelernt?

Und nun noch zum Festivalstart ein Spielfilm, der ein Jahr im Leben des Traumpaars für die Leinwand wiedererfindet: Vor derart viel Win-win-Kombinationen mag einem fast schwindlig werden. Tatsächlich beschwört Nicole Kidman als Grace alias Gracia Patricia eingangs – und erst recht im fünfminütigen finalen Monolog – das „Märchen“ ihrer Herrscherinnenwerdung so inbrünstig, dass die Realität gar nicht anders kann, als ziemlich böse dazwischenzufunken.

Denn „Grace of Monaco“ ist, um den irreparabelsten Mangel gleich zu nennen, mit seiner Hauptdarstellerin katastrophal fehlbesetzt. Zudem hat zwischen Regisseur, US-Verleih und dem monegassischen Fürstenhaus ein Gezänk angehoben, das freilich das umsatzsteigernde Etikett „Skandal“ nicht verdient. Beides beschert Cannes den wohl fadesten Start seit Menschengedenken, woran auch Kidmans nachmittägliche Statements nichts mehr ändern konnten: „Der Film will der Familie – und Gracia Patricia – nichts Böses“, sagte sie und beteuerte, ihre Rolle „mit Liebe“ gespielt zu haben.

Dahan kompiliert zwei Großprobleme Klein-Monacos

Olivier Dahan, der seine wechselhafte Regisseurskarriere mit dem Edith-Piaf- Biopic „La vie en rose“ (2006) krönte, kompiliert zwei Großprobleme Klein-Monacos aus dem Jahr 1962. Fürst Rainier weigert sich strikt, die für Millionäre attraktive Steuerfreiheit abzuschaffen, weshalb Frankreich zeitweise strenge Grenzkontrollen einführt. Und Gracia, die ihrem Mann sowie ihrem Land bereits zwei Kinder geboren hat, droht für Hitchcocks „Marnie“ erneut ein Hollywood-Angebot anzunehmen. Ein eher minderer Filmstoff, doch Dahan verknotet ihn mit manchmal unfreiwillig komischer Lust aufs big picture: So gewinnen die diplomatischen Verwicklungen mit Frankreich hier mindestens die Wucht der Kuba-Krise, und die eben noch mit der Prinzessinnenrolle fremdelnde Gracia löst alle Polit-Probleme ganz allein – per Charme-Offensive.

Warum ausgerechnet Nicole Kidman als Grace Kelly?

Niemand verlangt vom unterhaltenden Historienkino die analytische Kraft einer fundierten Reportage – aber muss es gleich das Material abgegriffener Wartezimmerlektüre sein? Schon möglich, dass die monegassischen Fürsten in ihrem betont allgemeinen Mäkeln am Ergebnis derlei Ahistorizitäten im Auge haben – andererseits könnte sie auch Tim Roth als unsympathischer Rainier und überhaupt das prägnant angepappte Etikett der „Herzlosigkeit“ nerven. Kino-Mogul Harvey Weinstein wiederum, der „Grace of Monaco“ in den USA herausbringen soll, streitet derweil mit Dahan um die definitive Schnittfassung (zweimal wurde der Starttermin bereits verschoben). Und der Regisseur keilt beleidigt zurück – laut gegen Monaco und etwas leiser gegen Weinstein, schließlich will der Film auch noch lukrativ ausgewertet sein.

Grace Kelly verfügte über den Liebreiz kaum ausgehauchter Jugend

Warum aber ausgerechnet Nicole Kidman? Grace Kelly, damals eben 30, verfügte über den Liebreiz kaum ausgehauchter Jugend – und auch der gern grob formulierende Hitchcock (hübsch lakonisch: Roger Ashton-Griffiths) wusste, was er an ihr hatte. „Weshalb ich immer wieder auf die mondän reservierten blonden Schauspielerinnen zurückkomme? Ich brauche Damen, wirkliche Damen, die dann im Schlafzimmer zu Nutten werden“, sagt er in François Truffauts legendärem Interviewband im Zusammenhang mit „Über den Dächern von Nizza“. „Der armen Marilyn Monroe konnte man den Sex vom Gesicht ablesen, auch Brigitte Bardot, und das ist nicht besonders fein.“

Nicole Kidman beteuert in diesen Wochen, sie habe dem Botoxen abgeschworen – ihr tragisches Problem aber bleibt, dass man ihrem Gesicht überhaupt nichts mehr ablesen kann, von hochgezogenen Augenbrauen und kullernden Kinotränen mal abgesehen. Zudem wirken die 46-Jährige und der 53-jährige Tim Roth im Film wie ein altes Ehepaar; nicht wie zwei in der stürmischen frühen Mitte des Lebens, frisch durchgeschüttelt von den Zweifeln am Wer und Wohin und Warum. So gewinnen Szenen wie Gracias verzweifelter Anruf bei Mama in Philadelphia geradezu Camp-Qualitäten; und wenn Dahan sich hemmungslos in das Gesicht seiner Heldin hineinzufilmen sucht, ist bloßes Fremdschämen angesagt.

In Olivier Dahans Film: Nicole Kidman als Grace Kelly and Tim Roth als ihr Ehemann, Prinz Rainier III.
In Olivier Dahans Film: Nicole Kidman als Grace Kelly and Tim Roth als ihr Ehemann, Prinz Rainier III.
© Univesum/dpa

Schweigen und müde Pfiffe

Nach der Pressevorführung am Mittwoch flüchteten sich die 2000 internationalen Journalisten in Schweigen und müde Pfiffe, und ein paar ziemlich abzählbare Hände regten sich zu Trostapplaus. Ganz anders als der Film selber, der zum Finale beim Rot-Kreuz-Ball in der puren Reproduktion sonnigster Cannes-Klischees schwelgt: roter Teppich, Abendkleider satt, Applaus ohne Ende. Spätestens bei Kidmans Durchhalterede auch erweist sich „Grace of Monaco“ als reaktionäre Hymne auf die gesellschaftliche Pflicht gegen jegliche individuell kreative Neigung: Gute Mutter zu sein, gute Landesmutter vor allem – das ist alles, was die an ihrem Verzicht auf das Schauspielen lebenslang leidende Grace Kelly hier verkörpern darf.

Und wie steht’s mit der Unsterblichkeit? Zumindest unvergessen werde Gracia bleiben, prophezeit Hofkaplan Francis Tucker (großväterlich gütig: Frank Langella). Im Devotionalienhandel der Touristengassen auf dem Felsen von Monaco finden sich auf Karten und Kappen, Schalen und Schals zahllose Motive zum bevorstehenden Formel-1-Rennen; Konterfeis der so natürlichen und insofern durchaus überirdischen Schönen, die plötzlich Prinzessin wurde, sucht man allerdings vergebens.

"Grace of Monaco" läuft ab Donnerstag, den 15. Mai auch in Deutschland in neun Berliner Kinos.

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