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Proben den Umsturz, im Gegensatz zur Jury. Antonio Frasca und Maurilio Giaffreda im Berlinale-Goldbärenfilm "Cesare deve morire".
© Umberto Montiroli

Ehre und Wert: Die Bilanz der Berlinale

Der Goldener Bär für „Cesare deve morire“ der Gebrüder Taviani zeigt: Die Jury lässt das Neue konsequent beiseite. Eine Bilanz des Festivals.

Ein wenig spät kommt die hohe Ehre im Kreise der drei Großen doch. Für ihr bedeutendstes Werk, die auf einem Roman von Carlo Emilio Gadda beruhende Emanzipationsgeschichte „Padre Padrone“ um einen sardischen Hirtenjungen, gewannen die Brüder Taviani bereits 1977 in Cannes die Goldene Palme. Fünf Jahre später wurden sie ebendort für das in einem toskanischen Dorf spielende Weltkriegsdrama „Die Nacht von San Lorenzo“ mit dem Großen Preis der Jury geehrt. Und bereits ein Vierteljahrhundert ist es her, dass die Brüder, die – wie die jüngeren Dardennes oder auch die Coens – immer gemeinsam Regie führen, in Venedig einen Preis für ihr Gesamtwerk (!) entgegennahmen.

Ein Festival von gestern?
Mittlerweise ist Vittorio 82 und Paolo 80, und nach dem hochpathetischen Geschichtsdrama „Haus der Lerchen“ um den Völkermord an den Armeniern, das sie vor fünf Jahren auf der Berlinale präsentierten, hat die Jury um Mike Leigh den beiden Regisseuren nun für ihren römischen Gefängnistheaterfilm „Cesare deve morire“ den Goldenen Bären zugesprochen. Mike Leigh feiert am Montag seinen 69. Geburtstag, die cineastischen Lorbeeren der Tavianis reichen bis in den italienischen Neorealismus zurück – ist diese Berlinale gewissermaßen ein erweitertes Fest der großen alten Herren des europäischen Autorenkinos? Böser gefragt: ein Festival von gestern?

Die Antwort heißt: Ja und nein. Einerseits hat die Jury auch beim sonstigen Preissegen nahezu alle Gegenwartsstoffe verschmäht, die auf diesem im Wettbewerbsprogramm endlich wieder einmal bemerkenswerten Festival bewundert oder auch kontrovers diskutiert worden waren. Nur ein Trostpreis für Ursula Meiers sensible Mutter-Sohn-Studie „L’enfant d’en haut“ zum Beispiel, dafür gleich zwei Auszeichnungen für den honorigen, aber konventionell inszenierten dänischen Historienfilm „Die Königin und ihr Leibarzt“ – das mögen Indizien in Sachen Vorliebe fürs Altbewährte sein. Auch dass der thematisch vehementeste und ästhetisch konsequenteste Wettbewerbsbeitrag, Bence Fliegaufs „Just the Wind“ nur auf den zweiten Platz kam, lässt sich zugespitzt als Absage ans Zeitgemäße deuten – selbst wenn die Intervention des Ungarn gegen die Verhältnisse in seiner Heimat höchst kunstvoll funktioniert.
Überall feiert das Kino seine Ahnen

Stiller als „Just the Wind“ kann ein Schrei gar nicht sein. In „Cesare deve morire“ dagegen, der Nachinszenierung von Theaterproben lebenslang im römischen Gefängnis Rebibbia einsitzender Gefangener, wird viel gebrüllt. Natürlich passt es zu diesem Solitär von Film, der in Farbe und Schwarzweiß fast ausschließlich aus Shakespeares „Julius Caesar“-Text besteht und darüber hinaus von der ungeheuren Energie der Gefangenen durchströmt ist. Auch dass die Tavianis, abgesehen von der Exposition und wesentlichen Informationen im Abspann, auf jeglichen biografisch-dokumentarischen Sondierungsgestus verzichten, ist eine respektable Entscheidung. Sie macht den Film in seiner entschiedenen Reduktion stark, aber – ist das ungewöhnliche Setting erst einmal verarbeitet – bald auch steril. Um die Rede des Marcus Antonius bei Shakespeare abzuwandeln: Dieser Goldene Bär ist ehrenwert. Begeisterung aber löst die Entscheidung nicht aus. Dass das starke deutsche Kino nur mit einem, nunja, auch ehrenwerten Trostpreis für Christian Petzold bedacht wurde: geschenkt. Eher beschwört der Ratschluss der Jury immerhin unter dem ausgewiesenen Schauspielerregisseur Mike Leigh den Schmerz darüber herauf, wie wenig ihr Blick den vielen starken professionellen Schauspielleistungen galt. Und wie peripher, letztlich nachlässig sie die jüngeren Filmemacher behandelt, denen Preise großer Festivals – anders als heute den Tavianis – einen echten Schub geben. Ja, fast alles, was ein zweites Leben auch und gerade im deutschen Kino verdient, wurde geflissentlich übersehen.

Internationale Starpower

Das alles aber schmälert nicht die Freude über diesen Jahrgang des Festivals selbst. Wobei zu wünschen ist, dass die aktuelle Begeisterung des Publikums für ein Weltkino, das eben nicht star driven ist, in die nahe Zukunft hineinwirken möge, die bereits mit „Keinohrhasen 3“ und „Kokowääh 2“ bepflastert ist. Warum sollten mutige Verleiher nicht auch in Deutschland – wie im Filmland Frankreich – endlich von den doch so aufgeschlossenen Zuschauern belohnt werden, wenn sie Kostbarkeiten wie die zarte griechische Liebesgeschichte „Metéora“, die feine Beziehungsstudie „A moi seule“ oder auch Edwins „Postcards from the Zoo“ ins Kino bringen, die schönste Bilderpoesie dieses Festivals?
Diese Berlinale immerhin bereitet den Boden dafür. Für die Breitenbegeisterung hatte sie, von Angelina Jolie über Meryl Streep und Robert Pattinson bis Shah Rukh Khan viel internationale Starpower abseits des eigentlichen Wettbewerbs im Programm. Der Wettbewerb imponierte mit Weltpremieren und vielen thematisch und filmkünstlerisch relevanten Filmen – wie unprominent die Namen derzeit noch sein mögen. Groß werden sie dann schon durch klug programmierende Festivalmacher, kluge Jurys – und ihr leidenschaftliches Publikum.

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