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Rebellisch. Lajos Sárkány als Rio.
© Berlinale

Berlinale Film "Just the Wind": In der Hitze dieses Tages

Das hat es auf dieser Berlinale noch nicht gegeben. Ein Film, der so leise ist – und doch ein Schrei. Ein Film, in dem an der Oberfläche oft nur wenig geschieht und doch jede Sekunde von einer ungeheuren, untergründigen Spannung ist.

Das hat es auf dieser Berlinale noch nicht gegeben. Ein Film, der so leise ist – und doch ein Schrei. Ein Film, in dem an der Oberfläche oft nur wenig geschieht und doch jede Sekunde von einer ungeheuren, untergründigen Spannung ist.

Eine Roma-Siedlung in einem Waldgebiet am Rand einer ungarischen Provinzstadt. Im Prolog von Bence Fliegaufs „Just the Wind“ („Csak a szél“) streift der zwölfjährige Junge Rio vorbei an einem Begräbnis auf einer versteppten Wiese, dort spielt eine Gypsyband – keine traurigen Weisen, doch die verfliegen, und im Vordergrund erhebt sich ein Erdhaufen, in dem nur Müll begraben ist. Dunkel dann, bis der Morgen dämmert.

Drinnen im Haus, in der Hütte erwacht eine schwarzhaarige Frau. Drei Generationen schlafen in einem Raum, Beine, Arme ineinander verschlungen, die Frau (Katalin Toldi als Mutter Mari) rührt kaltes Wasser, etwas Kaffeepulver und ein paar Teigbrocken in eine Schüssel für den Großvater, weckt die Tochter Anna und diese den Sohn Rio. Es beginnt eines langen Tages Reise in die Nacht. Einer nach dem anderen verlässt das Häuschen, die Mutter wird in der Stadt putzen gehen, die Tochter geht zur Schule, die ihr jüngerer Bruder Rio schwänzt. Eine Roma-Familie, der Vater ist kürzlich nach Kanada ausgewandert, die anderen sollen nachfolgen, sobald das Geld dafür da ist. Doch es gibt Schulden. Und die Angst.

Kürzlich ist eine Nachbarfamilie von unbekannten Rassisten erschossen worden. Kein Einzelfall. Nur das entlaufene Schwein der Ermordeten schreit noch in den Nächten. Die Roma haben jetzt im Wald Wachen aufgestellt, eine Bürgerwehr, weil die Polizei sie nicht schützen kann oder will. Demnächst soll es Schusswaffen geben, illegal, aber ein Überleben scheint oft nurmehr jenseits der Gesetze möglich.

Die Angst oder vielmehr eine die bleierne Sommerhitze noch steigernde Bedrückung hat hier die Menschen erfasst. Zuerst die Frauen. Die lakonisch intensive Katalin Toldi – eine großartige Laienschauspielerin wie alle anderen hier mitwirkenden Roma – drückt als Mari mit ihrem gesenkten Blick mehr Verletzung, Stolz und leise Wut aus über allgegenwärtige Demütigungen (wenn schon morgens der Bus in die Stadt erst 30 Meter hinter ihrer Haltestelle stoppt), als es viele Profis mit dramatischen Ausbrüchen schaffen. Jedoch: Es braucht hier nicht das wohlfeile Lob eines „armen“ Kinos und der gesellschaftlichen Außenseiter im Film.

Ein Epos reich und in seinem Minimalismus

Tatsächlich ist Bence Fliegaufs kleines Epos reich und in seinem Minimalismus meisterhaft. Keine Historienmalerei, keine bürgerlichen Beziehungskisten. Auch kein Kommentar nur zu einem Thema. Nichts über Menschen, sondern mit ihnen. Selbst der dichte Laubwald ist für sie mehr als nur Kulisse; er gleicht einem Dschungel, und diese ungarische Erzählung wird zur Reise ins Herz der mitteleuropäischen Finsternis. Wenn die Frauen ihren Weg zur Überlandstraße durch die Natur nehmen, könnte es eine grüne Hölle sein, in der nicht nur Schlangen lauern. Anna, das Mädchen mit seinen in der tropischen Hitze kaum verhüllten Teenagerreizen (Gyöngyi Lendvai), muss wie alle immer ein Handy bei sich haben. Überall droht Gefahr, auch wenn es eine weiße „normale“ Mitschülerin ist, die auf der Schultoilette wie beiläufig vergewaltigt wird. Und Anna geht schweigend weg. Später wäscht sie ein hübsches kleines Nachbarmädchen in einem brackigen See, spielt mir ihr auf der Wiese mit einem Blumenkranz Prinzessin. Auch da erwartet man einen Überfall. Denn jeder Ort, das macht diesen fast nur von Naturgeräuschen untermalten Film zum sanften Thriller, gleicht einem Tatort. Einmal entdeckt der wunderbare Junge Rio (Lajos Sárkány) einen toten Körper im Unterholz. In jenem Wald, in den er ein andermal vor Wut über das instinktiv gespürte Verhängnis eine Schneise schlagen will. Einen Weg ins Freie. Die Leiche freilich ist das Schwein der ermordeten Nachbarn.

Nichts wirkt geschönt, das Elend nie pittoresk, und weil Rohheit und mafiose Kriminalität ebenso wie kleine mitmenschliche Gesten auf allen Seiten zu finden sind, ist kaum eine Wendung vorhersehbar. Am tollsten ist der Schluss. Zweimal davor glaubt man schon, der Film sei vorbei, doch am Ende der Tragödie steht eine: kathartische Überraschung.

Ungarn ist ein Land, in dem Sinti und Roma und längst auch wieder Juden nicht sicher sind. In dem Nationalismus und Antisemitismus in Politik und Medien wieder hoffähig sind. Auf der Berlinale Pressekonferenz ließ nun das ungarische Justizministerium eine beflissene, auch auf Fremdenfeindlichkeit in Deutschland weisende Erklärung verteilen. Dies hätte der Film, ein Mitfavorit für den Goldenen Bären, gewiss nicht gebraucht. Bence Fliegauf und sein Team zeigten sich von dieser Intervention sehr überrascht.

17.2., 9.30 und 20.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 19.2., 15.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele)

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