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Hohes Paar. Florence Foster Jenkins (Meryl Streep) mit ihrem Ehemann St. Clair Bayfield, der ihre Traumwelt gegen die schnöde Realität verteidigt.
© Constantin

Meryl Streep als "Florence Foster Jenkins": Die atonale Sängerin

Ein Witz von Stimme: Stephen Frears huldigt der schlechtesten Sängerin der Welt, Florence Foster Jenkins – mit Meryl Streep in der Hauptrolle.

Nichts Menschliches ist uns fremd. Schiefe Töne, verpatzte Auftritte legen wir alle mal hin. Nur die Zeiten sind anders, die heutige Medienwelt ist erbarmungslos: Ein falscher Zungenschlag, und du wirst vor aller Augen geschlachtet. Nobody is perfect, diese milde Menschensicht ist Geschichte, seit die Konkurrenz härter, der Erfolgsdruck höher und die öffentliche Kontrolle dank World Wide Web immer lückenloser geworden sind. Fehler verboten, ein Flop, zack, tot. Wer fühlte sich da nicht permanent überfordert.

Also ab ins Kino und Florence Foster Jenkins geguckt. Die legendäre New Yorker Musikmäzenin und Upperclass-Lady der Zwischenkriegszeit, die es als schlechteste Sängerin der Welt 1944 bis in die Carnegie Hall schaffte, erlebt gerade eine überraschende Renaissance. Seit 2015 wird sie mit gleich drei Kinofilmen gefeiert; nach der freien französischen Adaption „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ und Ralf Plegers Doku-Fiction „Die Florence Foster Jenkins Story“ kommt nun die Version des Briten Stephen Frears ins Kino, mit Meryl Streep in der Titelrolle.

Stephen Frears feiert nicht nur die seltsame Sängerin, sondern eine große, ungewöhnliche Liebe

Was für eine Heldin. Was für eine Erleichterung – dass man auch mit schiefen Tönen Lorbeeren erringen kann, mehr noch, die Liebe des Publikums. Florence Foster Jenkins ist eine Meisterin des Makels, eine Virtuosin des Unvollkommenen, des entsetzlich falschen Gesangs. Wenn Meryl Streep, angetan mit plüschig-rüschigen Roben, Perlendiadem und Federboa, wenn diese Society-Matrone ihre Stimme erhebt und dabei nur schüttere Melodiefädchen und Quietscher hervorbringt (kein Voice-Double: Streep singt selbst!), wenn jede Koloratur zum Desaster in hoher Lage gerät und die (wegen einer frühen Syphilis-Erkrankung) kahle Sängerin unter ihrer Perücke glückstrunken die Augen verdreht, dann kann man auf den Perfektionswahn unserer Tage einfach nur pfeifen.

Diese Frau verwandelt ihre schlimmste Schwäche in ihre größte Stärke, definiert Kunst und Ruhm neu. Verausgabung statt Können, Autosuggestion statt Aura, Authentizität statt Perfektion – was für eine Botschaft in Zeiten der technischen Optimierbarkeit. Meryl Streep setzt Florence als bei aller Peinlichkeit unwiderstehliche Lady in Szene, verlegen und verwegen, eine kindliche Kaiserin, die das jeder Celebrity innewohnende Paradox in sich auflöst: Diese Selbstdarstellerin dient ganz dem Publikum – und verschenkt auch mal tausend Konzerttickets an Veteranen.

Helen Mirren, Judi Dench, Meryl Streep: Stephen Frears hat mit allen gedreht

Interessant, welche Aspekte die drei Filme jeweils betonen. Die französische Produktion von Xavier Giannoli konzentriert sich auf die Frage nach dem Wesen der Kunst, nach der Lüge des Schönklangs und dem Selbstzweifel, der die Kreativität erst in Gang setzt – und nicht zuletzt die Moderne in den Metropolen der zwanziger Jahre. Ralf Plegers deutsche DokuFiction entdeckt in Florence Foster Jenkins eine unabhängige Frau, eine frühe Feministin und Camp-Ästhetin. Und der Brite Stephen Frears, der Autorenfilmer und Frauenregisseur, der mit Helen Mirren („The Queen“), Judi Dench („Philomena“) und nun auch Meryl Streep alle drei großen englischsprachigen Leinwand-Diven zu seinen Hauptdarstellerinnen zählen darf? Erst macht er sich einen Spaß daraus, den Schreckensmoment ob der mittlerweile hinlänglich bekannten hässlichen Stimme so lange wie möglich hinauszuzögern. Dann erklärt er „Florence Foster Jenkins“ zur großen Liebesgeschichte. Im herzenswallenden Gewand der romantic comedy singt Frears eine Hymne auf die Unverbrüchlichkeit der Liebe, auf die Loyalität bis zum Tod, auf die Rettung der Würde des anderen. Womit wir bei Hugh Grant wären.

Hugh Grant ist großartig in der Rolle des fürsorglichen Ehemanns

Der aus so vielen albernen Komödien erinnerliche Brite spielt St. Clair Bayfield, jenen abgehalfterten Schauspieler, der Florence als Ehemann ohne Trauschein auf Händen trägt, während er mit seiner Geliebten Kathleen (Rebecca Ferguson) zusammenlebt. Ein Arrangement, ja, aber ein bei aller Komik ungemein zärtliches, anrührendes Schmierentheater – eine Lebensrolle für Hugh Grant.

Wie St. Clair die raue Realität vor der Angebeteten fernhält, wie er Claqueure und Journalisten besticht und nach dem Carnegie-Abend vergeblich die Zeitung mit den Verrissen aufzukaufen versucht, wie er die Chimäre der schönen Stimme bis zuletzt nährt, das muss man gesehen haben. Der wahre Fan ist nur als Liebhaber denkbar. Und wahre Liebe erweist sich hier darin, dass sie den geliebten Menschen vor der Wahrheit schützt, mit sanften Illusionen. Brauchen wir nicht alle einen St. Clair?

Schöner Sidekick: Simon Helberg als Klavierbegleiter Cosmé McMoon. Sein Entsetzen über Florences Stimme weicht nach und nach der Faszination, seine Panik vor der Carnegie Hall dem Entzücken ob eines solchen Coming-outs. Mit seiner kleinen Statur und den weit aufgerissenen Augen ist er der Buster Keaton der New Yorker Musikclubs und verkörpert die Melancholie all jener, die sich noch im Scheitern ihre Chance nicht nehmen lassen. Du bist, was du sein möchtest. Oder wie sagt Florence Foster Jenkins? „Die Leute mögen sagen, ich könne nicht singen. Aber keiner kann sagen, ich hätte nicht gesungen.“

In zehn Berliner Kinos. OmU in den Eva-Lichtspielen und der Kulturbrauerei. OV im Cinestar SonyCenter

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