Berlinale Glosse (6): Die 80er im Kino - und das Beste von heute
Tanzen, Fußball-EM, Museum - und jetzt noch jeden Tag Berlinale? Wie soll man das alles nach einem Jahr Einsiedelei erleben? Unser Autor hat sich entschieden.
Gilt das Tanzverbot noch? Ich bin auf einer Gartenparty in Köpenick, sie haben hier eine Nebelmaschine unter die Bäume gestellt. Unglaublich, was Musik für zuckende Bewegungen in Menschen freisetzen kann. Ich hatte das schon fast vergessen. Meinem Körper wird es morgen früh wieder einfallen.
Es laufen die 80er. Und das Beste von heute. Sweet dreams are made of this.
Ich will noch zu einem Berlinale-Film: French Exit. Laut Ankündigung ein „Glanzstück des absurden Humors“. Es geht um eine Witwe, die in Manhattan ihr Geld verjubelt hat und mit Sohn und Katze nach Paris flüchtet – per Kreuzfahrtschiff. In der Hauptrolle: Michelle Pfeiffer.
Das Sommerkino Charlottenburg ist nicht gerade um die Ecke von Köpenick. Der DJ spielt Mambo von Herbert Grönemeyer. Den nehm ich noch mit, denke ich.
Das allein ist ja schon ein Lacher: dass es lustige Filme auf der Berlinale geben soll. Offenbar können sie es beim Festival selbst nicht fassen. Jahr für Jahr wird Film für Film als „eindrückliches Beispiel für den gesellschaftlichen Zerfall in XYZ“ angepriesen. Nach drei Stunden Weltschmerz fühlt man sich tatsächlich ziemlich zerfallen. French Exit bewerben sie diesmal so: „Eine intelligente und surreale Komödie, bei der das Publikum in jeder Szene auf seine Kosten kommt.“ Ich müsste jetzt los.
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Girls just wanna have fun. Wie mich dieses Lied nervt. Aber Frauen lieben es, zumindest Frauen die ich mag. „Ich war schon in der siebten Klasse immer der DJ“, sagt mir der Garten-Gastgeber. Seine Gäste fangen jetzt an, sich Neon-Schwarzlicht- Schminke an den Hals zu schmieren.
Mal ehrlich: Das Angebot ist einfach zu groß gerade, wie soll ein Mensch nach einem Jahr Einsiedelei das alles erleben? Fußball-EM: Ich hab noch kein Spiel gesehen; vielleicht bin ich deshalb Letzter in der Tipprunde meines Mietshauses. Ins Museum möchte ich wieder. Aber krieg mal online Karten für den Gropius Bau – dagegen ist der Ticketverkauf der Berlinale eine Schnellkasse. Oder ein Zeitslot im Freibad: Da stürzen plötzlich die Temperaturen ab. Und jetzt auch noch jeden Tag Berlinale? Ein letzter Appell an mich selbst: Für eine Glosse musst du auch was erleben, Robert!
Bisher nur gute Filme auf der Berlinale
Was diesen Sommer auch surreal macht: Bisher hab ich nur gute Filme auf der Berlinale gesehen. Zum Beispiel „Memory Box“. Eine Generationen übergreifende, Gefühle spiegelnde, mit Geschwindigkeit gedrehte Spurensuche nach dem verlorenen Beirut, das in den Achtzigerjahren in Schutt und Kriegsasche gelegt worden ist. Nach den Bombennächten tanzt eine junge Mädchengang um ihr Leben und ihre Jugend. Wahnsinn, wie gute Musik einen in Filme zieht. Aaaahaa, we fade to grey.
Die Nebelmaschine unter Bäumen. Die Frauen mit der Neon-Schwarzlicht-Schminke. Der eigene Körper, der sich zuckend bewegt wie lange nicht. Eine Nacht mit a-ha-Effekt. Kino für den Kopf.
Eine Komödie, vom Winde verweht
Am nächsten Morgen fragt mich mein Kopf: Was schreibst du jetzt in Deine Glosse, Robert? Auf dem Handy eine Nachricht von der Berlinale, offenbar hab ich sie gestern Abend übersehen: „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir aufgrund starker Windböen die Veranstaltung im Sommerkino Charlottenburg absagen müssen.“ Die nahezu einzige Komödie der Berlinale – vom Winde verweht. Soll das ein Witz sein?
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