Berlinale-Glosse (3): Rauchende Zuschauer, Yoga und traumatisierte Waschmaschinen
Bei der Vorführung von „Das Mädchen und die Spinne“ läuft einiges anders als auf früheren Berlinalen. Am Ende bleibt aber ein vertrautes Gefühl bei unserem Autor zurück.
Im Berlinale-Shop gibt’s Wollmützen. Sonst weiß ich nicht, was ich anziehen soll. Nach 16 Monaten wieder ins Kino – wie läuft man da rum? Beim Filmegucken auf der Couch hatte ich nicht mal Socken an. 22.15 Uhr soll’s losgehen am Kulturforum. Vielleicht nehm’ ich einfach den Schlafanzug.
Es ist 21.30 Uhr. Ich bin gut in der Zeit, finde meinen Liegestuhl mit Blick auf den Potsdamer Platz. Er ist bequemer als ein Holzsitz im Friedrichstadtpalast bei der Winter-Berlinale. Jeder Stuhl ist bequemer als ein Holzsitz im Friedrichstadtpalast.
22 Uhr. Das Bier ist angenehm gekühlt. Es werden Hygieneregeln eingeblendet. Also, ich wäre dann soweit.
22:15 Uhr. Jetzt geht’s sicher gleich los.
22:30 Uhr. Die Leute rauchen im Kino, wie früher im Flugzeug. Man sieht weiterhin Hygieneregeln.
22:45 Uhr. Der Potsdamer Platz ist eingeschlafen. Die Augen aller Büros sind geschlossen, die der Hotels sowieso. Das Publikum macht sich durch Klatschen bemerkbar. Lang ist der Tag nicht mehr.
Eine Papierrolle als Filmpreis
22:50 Uhr. Hallo, Hallo! Ein Mann tritt ans Mikrofon, erzählt etwas über den Film. Dann kommt ein weiterer Mann, er ist vom Internationalen Verband der Filmkritik. Er berichtet von einem undotierten Preis, den seine Jury vergeben hat an jenen Film, der bestimmt bald beginnt. Der Mann vom Internationalen Verband der Filmkritik liest die Jurybegründung vor.
Der Film zeige eine „hyperrealistische Welt voller düsterer Momente“. Der undotierte Preis wird an die beiden Regisseure überreicht – eine Papierrolle. „Wir wussten seit März, dass wir einen Preis kriegen, aber nicht wie er aussehen wird.“ Einer rollt die Papierrolle aus, sie scheint bedruckt zu sein. Fotografen kommen. Der Mann vom Internationalen Verband der Filmkritik sagt: „Wir haben extra ein schönes Papier ausgewählt.“
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23 Uhr. Die Kirchturmuhr schlägt mehrmals. Ist das der Kinogong? Inzwischen steht eine Frau auf der Bühne. Sie interviewt die beiden Regisseure. Ihr Film heißt „Das Mädchen und die Spinne“. Ihr Debütfilm hieß „Das merkwürdige Kätzchen“. Das nächste Drehbuch ist schon fertig: „Der Spatz im Kamin“. Einer der Regisseure erzählt, um was es gehen soll: Wohngemeinschaften, Kindererziehung, Gefängnisausbrüche. Er sagt: „Das wird eine Tier-Trilogie über menschliches Zusammensein.“ Dann wird die Leinwand dunkel. Es kommt Werbung fürs Kupferstichkabinett.
Beim Rausgehen klappern die Flaschen
23:15 Uhr. Der Film geht los. Hauptperson ist eine Frau, deren Lippe blutet. Manchmal spielt sie mit einer Spinne und irgendwie auch mit ihren Mitbewohnern. Wenn sie nackt ist, setzt sie einen Motorradhelm auf. Die Frau vor mir im Liegestuhl macht Yoga-Übungen. Sie hat keine Socken an. Ich zieh mir meinen Pullover über.
Mitternacht. Die Kirchenglocke unterbricht den besten Dialog des Films: „Ich glaub, die Waschmaschine spinnt.“ – „Die ist traumatisiert von Deiner Unterwäsche.“
1:15 Uhr. Beim Rausgehen klappern leere Flaschen in den Kästen. Ein Kino-Geräusch, das ich fast vergessen hatte. Dazu das Berlinale-Gefühl, wieder einen Film gesehen zu haben, der bestimmt eine tiefere Bedeutung hat. Aber gefroren hab ich nicht.