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Der Regisseur Aleksej Palujan dokumentiert mit "Courage" die Massenproteste in Belarus im Sommer 2020.
© Living Pictures Production

Berlinale-Glosse (5): Ein Gesicht in der Menge, ein Zeichen der Solidarität

Bei der Vorführung des Belarus-Dokumentarfilms "Courage" auf der Museumsinsel wird das Publikum zur verschworenen Schicksalsgemeinschaft.

Plötzlich kracht es auf der Museumsinsel. Blitze zucken über die Leinwand, Menschen rennen schreiend um ihr Leben und ihre Freiheit, die sie sich gerade mit bloßen Händen und Füßen erobert haben. Blendgranaten detonieren in der Menge. Die Leinwand wird schwarz, man hört nur noch die Geräusche des Krieges, die der belarussische Diktator gegen sein eigenes Volk führt. Und man hört Hilfeschreie. Eine Flugstunde von Berlin entfernt.

Es gibt Momente, da ist die Berlinale nicht schön, nicht verrückt, nicht spannend, nicht entspannend, nicht ärgerlich, nicht witzig. Es gibt Momente, da ist die Berlinale wichtig. „Es ist nicht mehr die Zeit, um zu sprechen“, sagt Regisseur Aleksej Palujan, bevor seine beeindruckende Dokumentation „Courage“ auf die Leinwand kommt und nicht mehr aus den Köpfen geht. „Es ist die Zeit, um zu schreien.“

Zum Beispiel Anastasia Mirontseva. Die 25-Jährige sitzt seit Oktober in Minsk in Haft, gemeinsam mit ihrer Schwester wurde sie wegen angeblicher „Anstiftung von Massenprotesten“ für zwei Jahre ins Gefängnis gesteckt. In den Kerkern von Europas letzter Diktatur wird geschlagen, gefoltert, erniedrigt. Hunderte durchlaufen jeden Tag diese Hölle.

Auf einem Foto schaut Anastasia ernst in die Kamera. Ein junger Mensch, den ein junges Land gut gebrauchen kann. Und stattdessen verprügelt.

Ein Elternteil verlieren oder in Freiheit aufwachsen?

Ich halte das Bild von Anastasia in die Höhe, bevor der Film beginnt. Hunderte andere im Freiluftkino Museumsinsel tun es auch. Bilder hunderter anderer Menschen, die aussehen wie du und ich. Es ist still inmitten von Berlin. Während Menschen schreien eine Flugstunde entfernt.

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Dann der Film: Junge Mädchen, die Klopapier abzählen vor einer möglichen Haft. Weinende Eltern vor Gefängnissen: Sind ihre Kinder hier? Leben sie? Junge Männer der Geheimpolizei, die fast weinen hinter ihren Schilden, sie aber doch erheben gegen ihre Nachbarn. Und die junge Mutter, die ihren Mann fragt, bevor er zur Demo geht: „Was wäre das Beste für unser Baby: Wenn es ein Elternteil verliert? Oder in Freiheit aufwächst? Gibt es keinen Kompromiss?“

Und das Lachen der Leute auf der Straße. Wenn sie merken, dass sie viele sind. Wenn sie frei gehen, rufen, singen. Träumen.

Nach dem Film Applaus, Hunderte auf der Museumsinsel stehen auf, klatschen eine Minute, zwei, drei. Bis Stille einkehrt. Swetlana Tichanowskaja, die Führerin der Demokratiebewegung, ist auch hier, lächelt kurz. Ihr Mann sitzt dort im Gefängnis. Die 37-Jährige ist vom Volk gewählt und von der Diktatur vertrieben worden. Sie könnte jetzt Präsidentin sein, eine Flugstunde entfernt. Aber sie floh. Sie hat zwei Kinder. Es gibt keinen Kompromiss.

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