Berlins Streitbauten: Der schwere Grund
Einheitsdenkmal, Schloss, Staatsoper, Museum der Moderne: In Berlin wird das Bauen historisch überfrachtet.
Auf dem Sockel des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Reiterstandbilds vor dem Schloss soll ein Denkmal für Freiheit und Einheit entstehen. So hat es der Deutsche Bundestag 2007 beschlossen. Seit ein paar Tagen ist das Projekt nun selbst Geschichte, gekippt vom Haushaltsausschuss des Parlaments. Von einer Kostenexplosion war die Rede, 15 statt zehn Millionen Euro wurden veranschlagt und damit noch kein Ende. Für Berliner Verhältnisse wäre das ein Klacks, aber es geht hier nicht ums Geld.
Großer Beliebtheit erfreute sich das Vorhaben nie. Und auch jetzt bleibt der Aufschrei aus. Die erste Stufe des Wettbewerbs hatte kein Ergebnis gebracht und geriet zur Blamage, die Entwürfe wurden als beschämend schwach, misslungen oder unangemessen empfunden. Nach dem zweiten Durchgang setzte sich die bewegliche Schale durch, ein begehbares Objekt für „Bürger in Bewegung“, entworfen von der Agentur Milla & Partner und der Choreografin Sasha Waltz. Die dann aus dem Projekt ausstieg oder herausgedrängt wurde. Es traten auf: die Denkmalschützer wegen der wilhelminischen Mosaiken am Sockel und Tierschützer wegen der Fledermäuse, die darin wohnen, alles verzögerte sich, die „Wippe“ geriet zum Witz noch vor Baubeginn. Weder die Bundeskanzlerin noch die Kulturstaatsministerin haben sich das Einheitsdenkmal zu eigen gemacht.
Es war von Anfang an keine überzeugende Idee – und der falsche Platz.
Einen Ort, an dem die Monarchie sich einst feierte, demokratisch zu überbauen, wirft jede Menge Fragen und Probleme auf. War die Schlossfreiheit nicht auch ein Schauplatz der 1848er-Bewegung, und ist es sinnvoll, die Ereignisse von 1848, von 1918 und dann von 1989 zu vermengen? Wie war das Selbstverständnis der Menschen 1989, wollten sie wirklich einheitlich die Einheit? Zudem stand das projektierte Denkmal immer im Schatten des Schlosses, dessen Neuaufbau seinerseits umstritten ist bis heute.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters betrachtet das Brandenburger Tor als „internationales Symbol für die Teilung der Welt in Freiheit und Unfreiheit und ihre glückliche Überwindung“. Das legt den Gedanken nahe, dass ein weiteres, wie auch immer angelegtes Einheitsdenkmal in der Mitte Berlins das Erinnern eher teilen als verstärken würde. Schließlich gibt es auch den Mauerpark und die East Side Gallery und die Geschichtsausstellung im ehemaligen Tränenpalast. Und der Ruf „Wir sind das Volk“, der auf der Waage der Einheit stehen sollte, hat längst einen zwiespältigen Klang. Die Parole von 1989 intonieren inzwischen Pegida-Demonstranten. Einheit und Freiheit bilden ein ohnehin schwieriges Begriffspaar.
Berlin sucht seine Mitte, ein beliebter Topos
Das Einheitsdenkmal selig stellt sich als typische Berliner Geschichte dar. Zu viel Geschichte. Zu viele Schichten an einem Ort, wie am 9. November, dem Tag, an dem die Mauer sich öffnete, dem Datum der Reichspogromnacht und der Novemberrevolution von 1918. Wollte man an all das vielleicht auch an einem Ort erinnern, mit einem Denkmal? Anders als in Rom gräbt man hier nicht nach zweitausend, sondern nach ein paar hundert Jahren. Alles noch frisch. Das Schloss liefert das beste Beispiel. Außen will es die Tradition Schlüters wieder aufnehmen, innen im Namen der Brüder Humboldt ein Kulturzentrum des 21. Jahrhunderts präsentieren. Der Bau soll außerdem die städtebauliche Lücke Unter den Linden schließen, ein Gegenstück zur Museumsinsel sein und die herrlichen Sammlungen aus Dahlem aufnehmen, die dort im Verborgenen schlummern. Man hofft, dass das gut geht an diesem für die Hauptstadt so bedeutsamen Platz.
Berlin sucht seine Mitte, ein beliebter Topos. Dabei kommt oft heraus: Berlin sucht seine historische Mitte. Es gibt sie nicht mehr. Absurd genug, denn was die alliierten Bomber übrig ließen, als sie Nazi-Deutschlands Zentrum in Schutt und Asche legten, das beseitigte nachher Ulbrichts SED-Regime, das Schloss und auch das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal. Berlin gibt sich jung und dynamisch und steckt so tief in seiner Geschichte wie kaum eine andere Stadt. Auch deswegen kommen Millionen von Touristen, sie wollen die Reste der Mauer sehen, die Topografie des Terrors; die einen suchen die Patina des Kalten Kriegs, der Nazi-Zeit, der DDR, die anderen machen Party. Ähnlich verhält es sich bei den Berliner Bürgern: Die einen freuen sich auf das Schloss, die anderen schwärmen vom Humboldt-Forum, und die Schnittmenge beider Seiten ist noch nicht sehr groß.
Die sanierte Staatsoper - ein Haus mit Sichtbehinderungen
Grundsätzlich werden Bauprojekte in Berlin seit der Wende überfordert, überfrachtet als Multifunktionsträger. Das gleiche Spiel bei der Staatsoper, wegen Sanierung geschlossen seit 2010: Bauverzögerung, Kostensteigerungen ohne Ende, im Abgeordnetenhaus bemüht sich ein Untersuchungsausschuss um den Fall. Das Hauptproblem bei dieser Baustelle liegt darin, dass die Ideologie den Vorrang hat vor der Vernunft und der Funktion. Die Jury entschied sich für den historischen Zustand, der ein Werk des Architekten Richard Paulick aus den fünfziger Jahren ist. Eine Retro-Wendung wie beim Schloss, das der Architekt Franco Stella kalt nachzeichnet. Weder Schloss noch Staatsoper folgen einer funktionalen Planung, sondern huldigen in erster Linie einem Historismus, der sentimentale Bedürfnisse bedient und sich vorgenommen hat, Wunden zu schließen.
Schon jetzt ist klar, dass in der Staatsoper die Plätze mit Sichtbehinderung bleiben und die akustischen Fragen vielleicht nicht optimal gelöst werden können. Ein unglaublicher Befund, bei einer Bausumme von 400 Millionen Euro. Immerhin handelt es sich um ein Haus, in dem Musiktheater aufgeführt wird. Dies müsste den Ausschlag geben – das Hören und das Sehen, das Fühlen der Musik.
In Berlin kann einem das leicht vergehen. Die Architektur einzelner Bauten sieht sich häufig mit der Aufgabe konfrontiert, eine schlechte oder nicht vorhandene Stadtplanung zu heilen, so wird es erwartet. So zeichnet es sich am Kulturforum ab. Endlich gibt es die Mittel für ein Museum der Moderne an der Potsdamer Straße; eine gute Sache für die Sammler, die ihre Bilder des 20. Jahrhunderts dorthin geben, gut für die Staatlichen Museen und auch für das Publikum. Belastet wird das 200-Millionen-Euro-Projekt aber schon wieder durch den Anspruch, dass nun im Grunde das gesamte Kulturforum neu gedacht und zu Ende gebaut werden müsse, wie einige Architekten es fordern. Was ein einzelnes Gebäude natürlich nicht leisten kann.
Der unbefriedigende Zustand am Kulturforum zeigt West-Berliner und überhaupt Berliner Geschichte. Hier war die Stadt geteilt, hielt man sich Optionen offen, leistete sich Bausünden wie das spukhässliche Kunstgewerbemuseum und viel später den ebenso unpraktischen wie unfreundlichen Eingangsbereich zur Gemäldegalerie. Nach 1989 ging alles schnell, zu schnell. Der Potsdamer Platz wuchs schnell nach oben – und auch das nicht wirklich, nur stumpf-halbhoch gemäß dem Berliner Gesetz der Traufhöhe. Auf eine mögliche Weiterentwicklung am Kulturforum wurde beim Potsdamer Platz keine Rücksicht genommen. Das geplante Museum der Moderne muss in diesem Chaos seinen Platz und Charakter finden. Man darf daran erinnern, dass es bei dem bevorstehenden Wettbewerb um einen Ort geht, an dem Kunstwerke ausgestellt und Besucher empfangen werden, um lichte Räume und Raumfluchten für die Bilderwelten, die unser Verständnis von moderner Kunst geprägt haben. Sehen und Hören: So hätte auch die Staatsoper einen zeitgenössischen Echoraum gebraucht.
Es kann funktionieren. Vor ein paar Tagen feierte auf der Museumsinsel die James-Simon-Galerie Richtfest. Entworfen von David Chipperfield, der schon das Neue Museum grandios wiederbelebt hat, entsteht hier für den künftigen zentralen Eingang zu den Museen auf der Insel eine Architektur, die ihre heutigen Gedanken nicht verleugnet, aber dem Vorhandenen dient. Wie heftig haben Geschichtsschützer dagegen anfangs protestiert!
Baustellen prägen das Bild, nicht nur im Zentrum. Der Sockel des Kaisers bleibt nun erst einmal leer. Von dort geht der Blick hinüber zu Schinkels Friedrichswerderscher Kirche, die von Neubauten erdrückt wird. Da freut man sich auf einen freien Platz auf der Schlossfreiheit.