Humboldt-Forum im Berliner Schloss: Der Schlossherr geht überraschend
Manfred Rettig legt sein Amt nieder. Als Stiftungschef war er verantwortlich fürs Schloss. Kam es zum Konflikt um die Gründungsintendanz des Humboldt-Forums – Bauverzögerungen inklusive?
Als Drohung hatte er es öfter in den Raum gestellt. Manfred Rettig, Schlossbauherr und Herr über Zeitplan und Kosten beim größten Kulturprojekt Europas, würde gehen, wenn die Planung auf der Zielgeraden noch infrage gestellt würde. Nun geht er tatsächlich. Und das, obwohl der Rohbau gerade erst fertig ist und das Wichtigste vor der geplanten Eröffnung 2019 erst noch kommt. Das, was nach dem Bonn-Berlin-Umzug der zweite Höhepunkt seiner an Erfolgen nicht gerade armen Karriere hätte werden können, endet nun abrupt mit dem lapidaren Satz in einer Presseerklärung des Stiftungsrats: „Der Technische Vorstand und Sprecher Manfred Rettig verlässt zum 1. März 2016 die Stiftung“.
Wer würde da nicht vermuten, dass es zum Zerwürfnis kam, zum Streit um die Zukunft des Humboldt-Forums im Schloss, des prestigeträchtigsten Kulturprojekts der Hauptstadt? „Es gibt zwei Leute, die sich jetzt freuen: die, die einen sowieso nie leiden konnten, und man selber“, sagt Rettig, seit ihrer Gründung 2009 Chef der Schloss-Stiftung. Und dann, statt auf die Frage zu antworten, zählt er auf, warum der Schlossneubau auf Erfolgskurs ist. Der Rohbau steht, die Ausschreibungen für den Innenausbau laufen, vor allem liegt die „Schlussrechnung mit Hochtief“ für die Hülle des Baus „voll im Kostenrahmen“ – während etwa damals beim Neubau des Kanzleramts über zusätzliche Forderungen von umgerechnet 75 Millionen Euro gestritten wurde.
Mit Neil MacGregor als Gründungsintendant verschieben sich die Machtverhältnisse
Auch den Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin hatte der Münsteraner 1999 gestemmt. Und auch damals gelang fast eine Punktlandung des „Raumschiffs Bonn“, wie die Ministerien und Dienststellen genannt wurden, an der Spree. Die sprichwörtliche westfälische Sturheit wird dem groß gewachsenen 63-jährigen Architekten und Ingenieur geholfen haben: Denn immer wieder mussten die Wünsche der Ministerialen auf die Realitäten des Budgets zurechtgestutzt werden. Schwer genug, aber mit der Rückendeckung von Bauminister Klaus Töpfer, der beim Umzug die Vollmacht des Kanzlers hatte, waren die Machtverhältnisse klar.
Beim Schloss haben sich diese Verhältnisse spätestens mit der Benennung von Gründungsintendant Neil MacGregor verändert. Der Brite, bis Ende 2015 Chef des British Museum in London, war der Wunschkandidat von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kulturstaatsministerin Monika Grütters hatte mehrfach betonte dass MacGregor Gestaltungsspielraum braucht. Grütters' Worte im Tagesspiegel-Interview vom Dezember müssen Rettig in den Ohren geklingelt haben, „Natürlich haben wir immer den Kosten- und Zeitrahmen im Blick. Aber wenn Neil MacGregor nichts verändern könnte, da, wo es aus seiner Sicht notwendig ist, dann hätte ich ihn für das Humboldt-Forum nicht aus London holen müssen“, sagte Grütters.
Das klingt fast schon wie ein Freibrief. Die Kandarre jedenfalls, die Rettig angelegt hatte, um eine Kostenexplosion wie bei anderen Bauprojekten des Bundes zu verhindern – der Staatsbibliothek, dem Bundesnachrichtendienst oder der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel –, sie ist gelockert. Man darf davon ausgehen, dass Rettig das nicht wollte. Gewiss ist es kein Zufall, dass die Meldung von seinem Weggang auf die Mitteilung des Stiftungsrats folgt, die in "Stiftung Humboldt Forum im Schloss" umbenannte Einrichtung habe die Tochtergesellschaft "Humboldt Forum Kultur GmbH" gegründet, zur Einbindung des Gründungsintendanten MacGregor und seiner Mitstreiter Hermann Parzinger und Horst Bredekamp. Mehr Player, andere Kompetenzen, das bedeutet eine Machtverschiebung, auch institutionell.
Schon im Frühsommer 2015 hatte Rettig gesagt, Bauverzögerungen und Kostensteigerungen seien mit ihm nicht zu machen - damals bezogen auf die angekündigten Veränderungen bei der Berlin-Präsentation im Humboldt-Forum. Den Satz macht er nun offenbar wahr. Auch wenn er das so nicht sagt und in den höchsten Tönen von MacGregor spricht. Gegenüber dem Tagesspiegel betont er: „Ich bin nicht derjenige, der den Kulturbanausen gibt“.
Kostenplan versus Gestaltungsspielraum, eine Kraftprobe
Zumal er schon mal gerne als „Verhinderer“ oder „Blockierer“ hingestellt wurde – und sich selbst durchaus „unbequem“ nennt. Dem Streit mit Berlin ist er jedenfalls nicht aus dem Weg gegangen. Als der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) nach seinem Amtsantritt voller Tatendrang anstelle der geplanten „Welt der Sprachen“ eine neue Nutzung für die Berlin-Flächen ankündigte, stellte sich Rettig quer. Gewiss müsse Berlin die als Sprachlabore geplanten Räume nicht als solche nutzen, die niedrigeren Geschosse und das technische Netzwerk werde die Stiftung deshalb aber nicht umplanen.
Pünktlichkeit versus Gestaltungsspielraum: Die erste Kraftprobe hatte Manfred Rettig gewonnen. Gut möglich, dass der Regierende nun aber einen neuen Anlauf nimmt bei der Gestaltung von "Welt.Stadt.Berlin", wo der Herr über die Kosten das Weite sucht. Es gibt zwar einen Beschluss des Stiftungsrats, jenes mit Bundestagsabgeordneten besetzte Kontrollgremium für das Großprojekt, wonach das „Raumprogramm“ für das Schloss nicht mehr angetastet werden darf. Aber dieser Beschluss wirkt angesichts der deutlichen Worte von Grütters entkräftet.
Dabei dürften gerade die Austerität, mit der das Schloss bisher in den Himmel über Berlin wuchs, sowie die vielen öffentlichen Veranstaltungen und Führungen über die Baustelle dazu beigetragen haben, die Hypothek des lange ungeliebten Projekts abzutragen. Als unzeitgemäßes Pastiche war der Bau gegeißelt worden, viele hatten sich lieber eine moderne Antwort auf die Frage gewünscht, wie die Leere in Berlins Mitte zu füllen sei. Doch die kraftlosen Entwürfe von zwei Wettbewerben überzeugten nicht recht – und so wurde die Schlossrekonstruktion mit einer modernen Fassade beschlossen. Zunächst als kleinster gemeinsamer Nenner, inzwischen ist die Zustimmung zu dem Bau groß. MacGregor könnte dafür sorgen, dass auch die Sympathie für die Inhalte wächst, für die außereuropäischen Sammlungen im Humboldt-Forum.
Das Schloss genießt inzwischen große Sympathien
Inzwischen fließen die Spenden. Auch die freudige Erregung darüber, einen Grandseigneur der populären Ausstellungskonzepte wie MacGregor für das Humboldt-Forum gewonnen zu haben, weckt berechtigte Hoffnungen auf einen glanzvollen neuen Kulturtempel im Herzen der Stadt. „Mir war es wichtig, eine breite Öffentlichkeit mitzunehmen und das Humboldt-Forum für alle zu öffnen“, sagt Rettig. Und das ist die größte denkbare Schnittmenge mit einem wie MacGregor, der 2014 im British Museum Deutschland in einer gefeierten Ausstellung präsentierte, die das Bild der „Krauts“ jenseits des Ärmelkanals gewaltig aufpolierte.
Wie soll es weitergehen, wie so schnell Ersatz gefunden werden? Dass Manfred Rettig eigentlich noch gebraucht wird, betonte der Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, in einer Stellungnahme: „Mich hat der Rückzug von Manfred Rettig überrascht. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet“. Jetzt komme es darauf an, einen „adäquaten Nachfolger zu finden, der dafür sorgt, dass der technisch nicht unkomplizierte Innenausbau mit der gleichen Professionalität gelingt und garantiert, dass das Humboldt-Forum im Zeitplan bleibt“.
Auch Monika Grütters meldete sich zu Wort, sie bedauert „ Rettigs Ausscheiden aus dem Amt sehr“. Der bislang erreichte Baufortschritt des Berliner Schlosses sei vor allem ihm „als Bauexperten und talentierten Netzwerker zuzuschreiben“.
Manfred Rettig selber will erst mal seine privaten Angelegenheiten ordnen: In seiner Wahlheimat bei Bonn ist ein Haus umzubauen. Den Anspruch auf die vollen Pensionsbezüge hat der 63-Jährige seit dem vergangenen Jahr erreicht. Sein Gehalt wird damit verrechnet, finanziell hatte sich seine Arbeit im Dienst des Landes seitdem kaum mehr ausgezahlt.
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