Humboldt-Forum in Berlin-Mitte: 2016 beginnt die schwerste Bau-Phase am Stadtschloss
Alles läuft wie geplant. Doch Stiftungschef Rettig muss hoffen, dass Gründungsintendant MacGregor sich keine Veränderungen wünscht. Ein Baustellenbesuch.
Der Schlossherr ist angespannt. Dabei müsste er sich eigentlich keine Sorgen machen. An die 200 Millionen Euro sind gegenüber vom Alten Museum in Beton gegossen, in roten Backstein gemauert oder in Sandstein gefräst. Und alles läuft wie geplant: Die Spenden fließen, das Budget ist nicht überzogen, sogar Zeit bis zur Fertigstellung ist noch genug, damit der Bundespräsident das Schloss pünktlich im Herbst 2019 eröffnen kann. Und doch steht dem Bauherrn und Stiftungschef Manfred Rettig die schwerste Zeit noch bevor: Wenn im Januar Gründungsintendant Neil MacGregor die Arbeit aufnimmt und einen Monat später Paul Spies die Stiftung Stadtmuseum Berlin übernimmt und Chefkurator der Eröffnungsausstellung im Humboldt-Forum wird.
Denn der bisherige Chef des British Museum, MacGregor, ist ein Star und war Angela Merkels Wunschkandidat. Sein Wort hat Gewicht bei der Bundeskanzlerin. Rettig also muss hoffen, dass MacGregor keine Sonderwünsche vorbringt, die Änderungen dieser Hightecheinrichtung im Retro-Kleid erzwingen würden. Die Decken und Böden des Humboldtforums sind vollgestopft mit Leitungsnetzen. Wird nur eine Wand verschoben, stehen die Planer Kopf – und es droht eine Kettenreaktion.
Eine knallbunte Zeichnung im A3-Format voller kreuz und quer verlaufender Linien, Kreuzungspunkte und kryptischer Symbole ist deshalb Rettigs liebstes Anschauungsmaterial. Es zeigt: höchste Komplexität. „Wenn wir daran jetzt etwas ändern, haben wir den BER“, mahnt der 63-Jährige. Vorsichtige Anfragen, ob hier oder da nicht doch noch etwas geht, sind schon eingegangen bei der Stiftung Berliner Schloss Humboldtforum, der Rettig vorsteht. Er wird sie ablehnen. Und kann sich dabei auf Beschlüsse des Stiftungsrats verlassen. Noch. Aber so etwas ist auch nicht in Stein gemeißelt.
Dass der Bauherr hart bleibt, hat Folgen, die im ersten Geschoss der Schlossbaustelle zu besichtigen sind. Dort liegen die für Berlin reservierten Räume: zwei Halbgeschosse und die niedrigsten Decken im Schloss. Ein Sprachlabor sollte hier entstehen, weil die Zentral- und Landesbibliothek das bestellt hatte. Kurz nach dem Amtsantritt von Michael Müller als Senatschef zog die ZLB zurück. Technik und Raumaufteilung bleiben trotzdem. Fünf Millionen Euro hat die Planung gekostet. Rettig wird liefern, was bestellt war. Die Sprachlabore müssen halt anders genutzt werden. Wie, weiß keiner. Paul Spies muss sich was einfallen lassen. Aber auch der gegenwärtige Direktor des Amsterdamer Museums ist einflussreich. Wird er das hinnehmen?
Palettenweise stehen rote Klinker am Fuße des gewaltigen Rohbaus aus Stahlbeton. Kolonnen von Maurern schwingen die Kelle und ziehen, Stein auf Stein, die Wände hoch. Ehrliches Handwerk im Zeitalter der vorgefertigten Fassaden-Attrappen, wie sie bei Neubauten sonst üblich sind. Das Schloss dagegen ist massiv gemauert und errötet mit der wachsenden Ziegelmauer, die als zweite Wand den grauen Stahlbeton verdeckt. Aber auch diese Wand wird verschwinden, hinter Putz, und das Schloss im „Berliner Barock“ erstrahlen.
So heißt der typische Berliner Stil historischer Prunkbauten, die nur ganz selten vollständig, sondern meist nur zu Teilen aus massivem Sandsteinquadern gebaut wurden. So auch beim Schloss: An diesem Tag schwebt ein gewaltiger Sandsteinträger in die Höhe. Über den Fenstern, am Dach, an der Fassade, überall werden die ersten massiven Schmuckelemente eingefügt. Die Eckkartusche an der Nordfassade wiegt an die 100 Tonnen. An die Attika kommen später Adler.
Spender finanzieren diese „Optionen“. Rund 15 Millionen Euro überwiesen sie allein im vergangenen Jahr. Auf eine ähnliche Summe hofft Rettig in diesem Jahr. Sogar das Kreuz, das einmal auf der Kuppel thronen soll, hat ein Spender bezahlt. Noch fehlt aber das Geld für die „Laterne“, auf die das Kreuz gesteckt wird. „Notfalls muss es eben jemand hochhalten“, sagt Rettig mit einem Augenzwinkern.
Das Schloss wird die Karte Berlins grundlegend verändern. Es ist kein Bauwerk, sondern eine kleine Stadt, 400 Einfamilienhäuser groß. Allein der Schlüterhof, der als Open-Air-Bühne genutzt werden soll, bietet auf 4500 Quadratmetern Platz für 5000 Menschen. Überall wird es Bistros, Restaurants, Cafés und kleine Läden geben, im Schlüterhof sowie in den benachbarten „Uffizien von Berlin“. So nennt Architekt Franco Stella die rund um die Uhr offene Nord-Süd-Passage durchs Schloss. Die Besucherströme, die sich heute über die Museumsinsel ergießen, werden sich im Schloss sammeln – drei Millionen Besucher jährlich erwartet der Schlossherr. Auf der Baustelle lässt sich diese Zukunft erahnen: Die Dimension ist beeindruckend, diese Architektur wird jeder Berlin-Besucher sehen wollen, damit er mitlästern oder auch -loben kann.
In den „Uffizien“ stehen gewaltige voll gepackte Lastenträger, beladen mit den frisch aus der Fabrik gelieferten Säulen sowie Elementen der hier modern ausgeführten Fassade. Wie bei einem riesigen Legospiel stecken die Bauleute mit Kränen die Teile zusammen. Der „Architektenbeton“ fühlt sich ähnlich rau an wie Sandstein. Schmale runde Säulen wechseln sich ab mit streng gegliederten Fensterausschnitten, die Kreuze bilden. Mal sehen, wie krass der Kontrast sein wird im Schlüterhof, wo diese moderne Bausprache auf das historisch Rekonstruierte prallt.
Von außen werden die Besucher nach innen strömen. Mit festen Ausstellungen, aber auch frei bespielbaren Bühnen und Räumen entsteht hier Berlins größte und bunteste Veranstaltungsmaschinerie – und so gesehen passt auch die Architektur dazu, ein grandioser Pastiche.