Neuer Chef am Humboldt-Forum: Neil MacGregor: Berlins Schlossherr
Neil MacGregor gilt als einer der besten Museumsdirektoren der Welt. Nun soll er zunächst für zwei Jahre das Humboldt-Forum in Berlin übernehmen. Ein Porträt
Er spricht zögerlich und leise, aber immer präzise. Und mit geradezu perfektem Akzent für die britische Gesellschaft. Ein bisschen Posh, ein bisschen Upperclass – doch nie so sehr, dass er seine bürgerliche und schottische Herkunft verleugnen würde. Genau so, wie seine Sprache klingt, verhielt sich Neil MacGregor stets als Museumsdirektor. Seriös, fast pedantisch in der Wissenschaft, sorgfältig in der Pädagogik und dabei zugänglich und mit wachsamem Auge auf die Museumsbesucher und ihre Unterhaltung. Schön wäre es, schrieb der „Guardian“ im Januar dieses Jahres, MacGregor könnte als nationaler Schatz ewig auf der Insel bleiben, geschützt vom britischen Treasure Act, der freilich nur auf wertvolle Objekte anzuwenden ist und natürlich keinesfalls auf Personen.
Nun aber ist es raus: Neil MacGregor, geboren 1946 in Glasgow und dreizehn Jahre lang erfolgreicher Direktor des Britischen Museums in London, soll die „Gründungsintendanz“ des Berliner Humboldt-Forums übernehmen.
Ein Amt, das es noch nicht gibt
Von der ersten Idee bis zur Entscheidung verging etwa ein halbes Jahr. Jetzt ist Kulturstaatsministerin Monika Grütters am Ziel. Der von ihr favorisierte MacGregor übernimmt ein Amt, das es noch nicht gibt, sondern das er selbst ausformen und ausfüllen soll, auf dass das Humboldt-Forum der nicht nur erhoffte, sondern angesichts seiner Kosten von um die 600 Millionen Euro unbedingt geforderte Erfolg werde.
Für den 12. Juni 2015 ist Richtfest beim Schlossbau angesetzt, auf den Tag zwei Jahre nach der Grundsteinlegung. Viereinhalb Jahre sind anschließend für die Einrichtung des Riesenbaus vorgesehen, was lang erscheinen mag, aber im Verhältnis zu den ab Ende 2019 geplanten täglichen Veranstaltungen ein geradezu überschaubarer Zeitraum ist. Die Zeit drängt also. Wer das Haus leiten, wie seine organisatorische Struktur aussehen soll, ist bislang nicht klar. Auch auf die entscheidende Frage nach der Höhe des Jahresetats gibt es noch keine Antwort. Das ist die Ausgangslage, der sich die Kulturstaatsministerin Grütters – ihr Amt wird als „BKM“ gekürzelt – gegenübersieht oder nunmehr -sah. Denn mit MacGregor kommt auch seine Tätigkeit als Direktor des Britischen Museums mit seinen alle Kulturen dieser Welt umspannenden Sammlungen nach Berlin. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass es weltweit derzeit keinen zweiten Museumsmann vom Erfahrungsschatz und Renommee MacGregors gibt. Und er ist verfügbar. Am Mittwoch teilte er mit, die Leitung des Britischen Museums Ende 2015 abgeben zu wollen.
Die Institution als Verlegenheitslösung
Monika Grütters, die sich als Bundestagsabgeordnete der CDU lange Jahre im Schatten ihres nunmehrigen Vorgängers Bernd Neumann bewegen musste, hat sich die Angelegenheit Humboldt-Forum vom Beginn ihrer Amtszeit Ende 2013 an energisch zu eigen gemacht. Anfangs war lediglich der Wiederaufbau des Berliner Schlosses in den äußeren Formen des Barocks eine Entscheidung des Bundes, genauer des Bundestages. Die Institution, um dem Bau Leben einzuhauchen, kam danach und zunächst als Verlegenheitslösung dazu. Erst im Laufe der Zeit wurde deutlich, was da für ein Pfund heranwächst, mit dem zu wuchern dem vereinten, in Europa und der Welt verankerten Deutschland bestens anstünde.
In Berlin und von Berlin aus die Fragen der Weltgesellschaft zu verhandeln, hier eine Plattform zu bieten für Diskussionen der verschiedenen Zivilisationen, wo doch ansonsten die Zeichen eher auf deren seit Langem befürchteten Zusammenstoß stehen. Das ist eine Aufgabe, die über die Zurschaustellung der ethnologischen Sammlungen der Staatlichen Museen und der Kunstkammer der Humboldt-Universität weit hinausgeht.
Seine Popularität mag auch zu tun haben mit seiner Begeisterung
Berlins Regierender Bürgermeister dürfte es aber jetzt noch schwerer haben, seine Ideen für das Humboldt-Forum durchzusetzen. Im März hatte Michael Müller mit dem Vorschlag überrascht, im Schloss eine Ausstellung über Berlin einrichten zu wollen. „Wir brauchen ein Ausstellungsformat, das davon erzählt, welche Idee Berlin und Deutschland von sich haben und auf welchen Ideen die Metropole und das Land gründen“, erklärte Müller. Diese Ausstellung unter dem Titel „Welt.Stadt.Berlin“ solle „Überraschendes, weil für viele lange Vergessenes oder gar Verschüttetes über unsere Stadt im Kontext Deutschlands, Europas und der Welt zur Anschauung bringen“.
Für dieses Konzept hat Müller viel Kritik einstecken müssen, bis hin zum Vorwurf „billiger Stadtreklame“. Es fällt schwer zu glauben, dass MacGregor sich auf eine immerhin 4000 Quadratmeter große Abteilung Berliner Selbstdarstellung einlassen könnte.
Seine Liebe zur Kunst
Neil MacGregors Popularität mag auch zu tun haben mit seiner Begeisterung, mit seinem zuvorkommenden eiligen Eifer, den er nie verloren hat. Man kann sich vorstellen, wie er als Neunjähriger vor Salvador Dalis Gekreuzigtem Christus in der Glasgower Kelvingrove Art Gallery stand, einem imposanten und schwindelerregenden Werk, das, wie er berichtet, seine Liebe zur Kunst weckte. Viele Jahre später zeigte er das Gemälde als abschließenden Höhepunkt in einer seiner erfolgreichsten Ausstellungen: Über das Jesusbild in der Kunst, in der Nationalgalerie in London. „Sankt Neil“, nannte man ihn bei der Nationalgalerie nicht nur wegen seiner asketischen Strenge, auch wegen seiner offenen Christlichkeit.
Wie alle großen Museumsdirektoren, hat Neil MacGregor am Londoner Courtauld Institut studiert. Anthony Blunt, der als Spion für die Sowjetunion enttarnte Kunstprofessor, Enthusiast und Hüter der Bildergalerie der Queen, war sein Mentor und Entdecker. Sechs Jahre war MacGregor Chefredakteur des „Burlington Magazine“ – eines Magazins mit kleinster, aber ausgewählter Leserschaft, das sich um kunsthistorische Debatten, Museumsaffären, das Kulturerbe Englands und der restlichen Welt kümmerte – eine ideale Vorschule für die Museumsarbeit des Kunsthistorikers.
Vorträge in deutscher Sprache
Im Jahr 1987 wurde er Direktor der Nationalgalerie und sorgte für geradezu dramatisch wachsende Besucherzahlen. Als Bauherr war er für die Eröffnung des Sainsbury-Flügels verantwortlich, er führte die sukzessive Renovierung der Räume durch – meist mit Spendengeldern, die er unermüdlich eintrieb – und organisierte einen kontroversen, aber dann erfolgreichen „Rehang“, bei dem der historische Zusammenhang Priorität vor den Nationalschulen hatte, eine Art Europäisierung der Kunstgeschichte. Damals, als der Kampf um den freien Museumseintritt gegen die Thatcher-Regierung geführt wurde, stand er mit an vorderster Front.
Er war in den 50er Jahren Austauschschüler in Hamburg und hat später unter anderem. auch Deutsch studiert. Überhaupt gilt er als germanophil. Er war lange Jahre als Berater der Stiftung Preußischer Kulturbesitz für die Renovierung der Museumsinsel tätig und hält des Öfteren Vorträge in deutscher Sprache.
Das aufklärerische Ideal der Weltgesellschaft
Vor fünf Jahren begann MacGregor eine Hörfunkreihe bei der BBC unter dem Titel „A History of the World in 100 Objects“. Die überaus erfolgreiche Reihe von 15-minütigen Folgen erläuterte die globalen Entwicklungen anhand jeweils eines Objekts aus dem rund zehn Millionen Stücke umfassenden Bestand des Britischen Museums. Daraus wurde ein gleichermaßen erfolgreiches Buch, das auch in deutscher Übersetzung erschien. Das Modell, komplexe Entwicklungen anhand konkreter Objekte – darunter selbstverständlich auch Kunstwerke – anschaulich zu machen, behielt MacGregor im vergangenen Jahr bei der Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ bei, die die deutsche Geschichte als Rückblick in wechselnden Perspektiven auf 200 aussagekräftige Objekte erzählte. Die Ausstellung fand international einhelligen Beifall, nicht zuletzt wegen Differenziertheit der Interpretationen von Geschichte, die sie anregte und ermöglichte. Monika Grütters kam seinerzeit zur Eröffnung nach London und bahnte den Kontakt an, den Bundeskanzlerin Angela Merkel alsbald zu MacGregor aufnahm. Mit den damaligen Gesprächen nahm die jetzt verkündete Berufung ihren Ausgang.
Weltweite Aufmerksamkeit auf das Berliner Experiment
Am Mittwoch ließ BKM Grütters vorsichtig verbreiten, MacGregor werde zum „Leiter der Gründungsintendanz des Humboldt-Forums berufen“, die „ab Oktober 2015 als beratendes Gremium über einen Zeitraum von zunächst zwei Jahren inhaltliche Schwerpunkte setzen und voranbringen sowie das Zusammenwirken aller Akteure im Humboldt-Forum entwickeln“ solle. Ausdrücklich als Mitstreiter nannte Grütters den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren Staatlichen Museen, Hermann Parzinger, und den Kunsthistoriker der Humboldt-Universität, Horst Bredekamp, auf dessen Initiative die Beteiligung der Universität mit ihren spezifischen Objektsammlungen zurückgeht. Von einem Vertreter Berlins war gestern nicht die Rede. Wer hätte dies auch sein können? Michael Müller selbst, der Außerdem-noch-Kultursenator?
Seine Aufgabe hat MacGregor einmal so beschrieben: „Es gibt eine Weltkultur: Alle Menschen müssen sich mit dem gleichen Verstand der Lösung der gleichen Probleme widmen.“ Insbesondere wehrte er sich stets gegen die zunehmenden Versuche, die Rückgabe von Objekten an ihre geografischen Ursprungsländer zu erzwingen, beispielhaft am immer wieder aufflammenden Disput um die in London verwahrten Tafeln des Athener Parthenonfrieses. Allerdings hat MacGregor enge Verbindungen zu Museen und Institutionen in allen möglichen Ländern geknüpft und vertieft, um den Kulturen der Welt in London eine weltweit gehörte Stimme zu geben. Von Beginn seiner Amtszeit an sprach MacGregor davon, „das Ideal der Aufklärung von einer Weltgesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen“.
Zu den Aufgaben einer „Gründungsintendanz“ des Humboldt-Forums wird es gehören, die Strukturen dieser Institution zu bestimmen, in der mit den Staatlichen Museen, der Humboldt-Universität und dem Land Berlin drei höchst unterschiedliche Akteure zusammenwirken sollen. Der Baufortschritt beim Schloss-Humboldt-Forum liegt ganz im Plan. Dessen Innenleben zu formen, ist nun die Aufgabe von Neil MacGregor. Seine Person allein genügt, weltweite Aufmerksamkeit auf das Berliner Experiment zu lenken.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.