Warum ist er so erfolgreich?: Der Macho als italienischer Volksheld
Matteo Salvini lässt sich halbnackt fotografieren und hetzt gegen Ausländer. Er inszeniert sich als Macho - wie Berlusconi. Warum hat das in Italien Erfolg?
Er möchte der 30. Ministerpräsident in der dann wohl 66. Regierung werden, die Italien seit 1946 erlebt hat. Matteo Salvini, der „Leader della Lega“. Ein Führertyp, der auch den einstigen Duce, Benito Mussolini, durchaus bewundert.
Kaum ein Land ist im Ausland populärer als Italien. Aber auch die innigen Liebhaber des „bel paese“, des schönen oder gar schönsten Landes, schütteln über Italiens Politik und Politiker seit langem den Kopf. Oder staunen, dass eher schurkisch wirkende Gestalten wie vormals der intrigante und auf seine Weise wohl auch genialische Giulio Andreotti oder natürlich Silvio Berlusconi, das elegante Ohrfeigengesicht, sich an der Macht gehalten haben. Trotz Mafia-Verdachts, trotz dubioser Verwicklungen, in denen es sogar um politischen Mord oder Sex mit Minderjährigen ging.
Aber Italiens einst so einflussreiche Katholische Kirche hat sie alle abgesegnet, selbst den geschiedenen, regelmäßig von Huren umgebenen Magnaten S. B. Und niemand in Italiens Öffentlichkeit regt sich erkennbar darüber auf, dass unter den Regierungschefs noch nie eine Frau war (oder überhaupt zur Wahl stand).
Gewiss, man darf auch hoch seriöse Hausherren im Palazzo Chigi an der römischen Piazza Colonna nicht vergessen: etwa den kugelrunden sympathischen Giovanni Spadolini, der 1981 Italiens erster sozialdemokratischer Ministerpräsident war. Oder den 1978 unter noch immer nicht ganz geklärten Umständen ermordeten Christdemokraten (und Andreotti-Konkurrenten) Aldo Moro. Oder direkt nach dem Krieg, damals noch nicht im Chigi-Palast, Alcide De Gasperi, einer der Väter des modernen, möglichst geeinten Europas. In die Liste der Respektablen gehören in jüngerer Zeit auch der spätere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi oder der kurzzeitige Berlusconi-Nachfolger Mario Monti.
Politik als Show einer ungebrochenen Macho-Welt
Das Verheerende aber war, dass nach dem Zusammenbruch des alten, abgewirtschafteten Parteien- und Personensystems – mit dem Hauptgegensatz Christdemokraten und Kommunisten – in den frühen Neunziger Jahren Silvio Berlusconi das Machtvakuum für sich nutzen konnte. Während der korrupte Ex-Ministerpräsident Bettino Craxi vor der Justiz ins Luxusexil nach Tunesien floh, brachte sich sein Zögling als politischer Quereinsteiger ans Ruder.
Erst hatte die Kirche (oder der kommunistische Glaube) die Ideale vorgegeben, jetzt waren es im medienhörigen Italien die TV-Sender Berlusconis, die eine Glitzerwelt des Reichtums und der Selbstbereicherung vorführten und Politik bis heute als Show in einer ungebrochenen Macho-Welt darstellen. Als selbst hieran ein Überdruss begann und fast jedem klar war, dass Berlusconis System nur ihm selber diente, hatte der bei seinem Amtsantritt Anfang 2014 gerade 39-jährige Sozialdemokrat Matteo Renzi Hoffnung auf eine radikale Wende gemacht. Renzi, er sollte „Italiens Obama“ sein.
Doch selten ist der Stern eines hochbegabt eloquenten und nicht uncharismatischen Politstars schneller verglüht als im (tiefen) Fall Renzis. Wie im Rausch der Selbstüberschätzung und dazu offenbar schlecht beraten oder gegenüber Ratschlägen resistent, überspannte Renzi alle Erwartungen. Der leicht arrogant wirkende Florentiner setzte sein Glück auf eine an sich sinnvolle Verfassungsreform, spielte Vabanque – und verlor. Sein Comeback ist nicht ausgeschlossen, doch dazu müsste der andere Matteo (Salvini) mit seinen Verheißungen, Italien zu erneuern, erstmal scheitern.
Salvini gibt den Migranten Schuld für alles
Dieses Scheitern war bereits angelegt in der jetzigen, von Anfang an eigentlich unmöglichen Koalition zwischen Salvinis rechtsextremer Lega und der ursprünglich basisdemokratischen, irgendwie linksanarchischen 5-Sterne-Bewegung. Nur trügt Salvini bislang über alle unhaltbaren ökonomischen Versprechen in seinem hemdsärmelig vulgären Stil hinweg.
Er spielt den italienischen Volkshelden, schürt nationalistische Instinkte, macht die Deutschen und die EU zu Sündenböcken für Italiens riesiges Haushaltsdefizit – und an allen übrigen Übeln sind die Migranten schuld. So geriert sich Salvini wie ein fremdenfeindlicher, unterschwellig rassistischer Faschist, der Flüchtlinge notfalls im Mittelmeer ertrinken oder verdursten lässt, aber gleichzeitig vor den allzeit laufenden Kameras Rosenkränze küsst. Oder an der Adria mit nacktem Oberkörper posiert wie sein Vorbild Putin am sibirischen See.
Knapp zwei Drittel der Italiener würden Salvini nach Meinungsumfragen nicht wählen. Doch mit rund 35 Prozent der Stimmen, die sich die Lega bei den von Salvini angestrebten vorgezogenen Neuwahlen erhofft, wäre er endgültig jener starke Mann, nach dem sich das innen zerstrittene, wirtschaftlich depressive Land zu sehen scheint.
Von Stereotypen sollte man dennoch absehen. Italiener sind zu Recht empfindlich, wenn sie etwa mit einer Pistole als Pastabeilage auf einem „Spiegel“-Titelbild allesamt in die kulturelle Nähe zur Mafia gerückt werden. Und Reisende begegnen von Bozen bis Palermo bis heute meist freundlichen, wenn nicht herzlichen Menschen.
Menschen, die gegenüber ihrer politischen Klasse zutiefst skeptisch sind und voller Selbstironie auch diesen in Italien durchaus populären Witz erzählen: Als Gott die Welt geschaffen hat, zeigt der Erzengel Gabriel auf den ins Mittelmeer ragenden Stiefel und fragt: „Herr, ist es nicht ungerecht gegenüber anderen Ländern, dass du Italien mit soviel Schönheit überschüttet hast?“ Worauf Gott kurz nachdenkt, nickt und zum Ausgleich die Italiener erschafft.
Salvini ist eine Form von Panik-Management
Oder noch anders gefragt: „Wie kann man ein Land lieben, das einen zur Verzweiflung treibt?“ Dies ist der Untertitel von Roberto Savianos und Giovanni di Lorenzos kleinem Bestsellerbuch „Erklär mir Italien!“ Darin findet sich auch die offenbar wahre Anekdote, dass die renommierte römische Universität La Sapienza („Die Weisheit“) nach der von ihm großmannssüchtig verursachten Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia den zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Kapitän Francesco Schettino zu einem Vortrag eingeladen hatte. Das Thema: „Panik-Management“.
Nicht nur im äußerlichen Gebaren kann einem zu Matteo Salvini jener Kapitän Schettino einfallen. Ihn und seine mit absurden Versprechungen oder Verschwörungstheorien (Brüssel, Berlin, die NGOs) hantierende Lega zu wählen, ist wohl Italiens Form von Panik-Management. Wobei sich Ähnliches auch im Brexit-England, im PIS-Polen, im Orban-Ungarn oder in deutschen AfD-Regionen findet. Allerdings fällt die AfD mit zum Teil exzellent gemachten Wahlplakaten auf. Nur in Italien, wo doch ästhetischer Geschmack und Topdesign zu Hause sind, erinnern erstaunlich altmodisch gestaltete Politiker-Plakate zumeist: an Steckbriefe. Als wär’s eine Entstellung zur Kenntlichkeit.