Architekten Gehry und Scharoun: Der Kampf mit der Schuhschachtel
50 Jahre Städtepartnerschaft Berlin-Los Angeles: Eine Ausstellung im Max Liebermann Haus will die Architekten Hans Scharoun und Frank Gehry zusammenführen.
Wer sich am Pariser Platz einmal um die eigene Achse dreht, merkt schnell, dass hier im Grunde außer dem Brandenburger Tor nur ein weiteres bemerkenswertes Bauwerk steht. Die 2001 eröffnete DZ Bank, entworfen von Frank Gehry. In Nachbarschaft zum Hotel Adlon oder der seltsam gesichtslosen französischen Botschaft entwickelt sie eine eigene, zeitgenössische Formensprache. Und nimmt sich trotzdem angenehm zurück, fügt sich ein in die historische Platzgestalt – und interpretiert diese damit neu.
Die DZ Bank gehört zur überzeugendsten Architektur, die in Berlin nach 1989 entstanden ist. Aber erst im Inneren merkt man, wie gut sie wirklich ist. In den überglasten Hof fällt Tageslicht. Die streng gegliederte Fassade der Pariser- Platz-Seite wird von ähnlich dimensionierten Fensterrahmen aus Pinienholz aufgegriffen. Der Clou: von der Gegenseite wächst, ja wuchert dem Betrachter ein radikal anderer, organischer Stil entgegen, der in dem zentralen Konferenzraum kulminiert. Der erinnert manche an einen Pferdekopf, andere interpretieren einen Schiffsbug hinein, Kinder vorzugsweise den Helm von Darth Vader. Die Rückseite zum Holocaust-Mahnmal wird schließlich komplett vom organischen Stil dominiert, mit einer atemberaubenden gewellten Fassade. Das ganze Haus lässt sich als ein Gespräch zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert begreifen.
Wer mehr über den bald 90-jährigen Frank Gehry und sein Verhältnis zu Berlin erfahren möchte, braucht jetzt nur den Pariser Platz zu überqueren. Im Max Liebermann Haus zeigen die Stiftung Brandenburger Tor und das Getty Research Institute Los Angeles die Ausstellung „Frank Gehry – Hans Scharoun: Strong Resonances“. Sie entstand anlässlich des 50. Jubiläums der Städtepartnerschaft von Berlin und Los Angeles und wartet mit einer überraschenden These auf: Zwischen den beiden Architekten soll es zahlreiche Verbindungslinien geben.
Das überrascht und wirkt etwas konstruiert, ist Scharoun doch 1972 gestorben, die beiden sind sich nie persönlich begegnet. Wenn überhaupt, kann es sich bei dem behaupteten Dialog also nur um einen Monolog Gehrys gehandelt haben, der sich von Scharouns utopischer, expressiver Formensprache inspiriert fühlte, vor allem von der Berliner Philharmonie – aber welcher Architekt wäre von diesem Geniestreich nicht beeindruckt gewesen? Der Wunsch, ein Ausstellungsthema zu finden, das beide Städte miteinander verbindet, war hier sehr offensichtlich Vater des Gedankens.
Scharoun erfand den "Weinberg"
Die Philharmonie ist, natürlich, das Hauptwerk Scharouns. Mit ihr führte er die Idee des „ Weinbergs“ in die Konzertsaalarchitektur ein: Das Orchester ist nicht frontal zum Publikum aufgestellt, sondern wird von diesem auf allen Seiten umringt. Das war eine revolutionäre Alternative zur bis dahin dominanten Schuhschachtelform. Gehry griff – wie gesagt, nicht als einziger – dieses Konzept auf, bei der 2003 eröffneten Walt Disney Concert Hall in Los Angeles. Er ist bekannt dafür, gerne mit Modellen zu arbeiten; in der Ausstellung hängen zwölf von ihnen an der Wand, aus unterschiedlichen Entwurfsstadien der Walt Disney Hall. Sie symbolisieren Gehrys Kampf mit und gegen die Schuhschachtel.
Eine Bleistiftskizze Scharouns aus den 30er Jahren, die ein utopisches Gebäude zeigt, scheint direkt Niederschlag gefunden zu haben in den riesigen silbernen Segeln, mit denen Gehry das Äußere der Walt Disney Hall unverwechselbar und signifikant ummantelt hat. Kuratorin Maristella Casciato vom Getty Research Institute, das ein großes Gehry-Archiv besitzt, erzählt eine interessante Anekdote: Schon in den 80er Jahren, nachdem er den Auftrag für die Walt Disney Hall bekommen hatte, soll Gehry nach Berlin gereist sein, um beim Akustiker Lothar Cremer Rat zu holen. Der hat wiederum Hans Scharoun in einem frühen Stadium der Philharmonie beraten.
Dennoch: Die Grundthese einer „Resonanz“ zwischen den beiden Architekten kann das alles nicht ganz überzeugend belegen. Unfreiwillig komisch wird es, wenn Luftaufnahmen der beiden Konzertsäle im Bau eventuelle Parallelitäten demonstrieren sollen – als wäre nicht jedes Haus irgendwann ein Rohbau. Interessant ist die Aufnahme der unfertigen Philharmonie von 1960 allerdings aus einem anderen Grund: Sie zeigt, dass in jenem Jahr auf dem Areal, das heute Kulturforum heißt, durchaus noch einige historische Gebäude standen, die Krieg und Abriss überlebt haben – und die zu Kristallisationspunkten einer Neuentwicklung des Viertels hätten werden können. Aber dafür war Scharoun nicht der Mann. So überzeugend, ja visionär er als Gestalter von Innenräumen war, so fragwürdig war er als Stadtplaner. Nicht nur das Kulturforum geht auf seine Entwürfe zurück, auch der heute trostlose Mehringplatz – der später von seinem Schüler Werner Düttmann realisiert wurde.
Im Obergeschoss dominiert Gehry komplett
Wobei man sagen muss, dass es Scharoun in beiden Fällen mit Randlagen zu tun hatte, die unmittelbar neben der Mauer lagen. Aber seine Vision von Stadt als Landschaft, die keine festen, urbanen Strukturen mehr braucht, ist im Nachkriegs-Berlin glücklicherweise nur in Ansätzen Wirklichkeit geworden. Hier, beim Thema autogerechte Stadt, hätten sich übrigens zahlreiche Anknüpfungspunkte an Los Angeles ergeben können.
Im Obergeschoss der Ausstellung ist dann von Scharoun nichts mehr zu sehen, hier dominiert das Werk Frank Gehrys. Der pflege eine „Liebe zu Berlin“, wie es Maristella Casciato ausdrückt, die nicht erst mit dem Bau der DZ Bank begann, sondern deutlich älter ist. Nicht nur war er schon in den 80er Jahren zu Besuch, er beteiligte sich 1994 auch am Wettbewerb zur Neugestaltung der Museumsinsel. Die wäre, hätte er gewonnen, definitiv ein anderer Ort geworden: der Hof des Pergamonmuseums überdacht, das Neue Museum nicht mehr als Museum genutzt, sondern als Empfangsgebäude. Ein Vorzug der Ausstellung ist, dass sie viele schwer zu transportierende und deshalb selten zu sehende Modelle präsentiert, auch Gehrys Entwurf für die Museumsinsel ist zu sehen – von Kritikern als „Erdbebenarchitektur“ geschmäht. Und das nicht nur, weil sie aus Los Angeles kommt.
Gehry hat Berlin zweimal beschenkt, mit der DZ Bank und dem 2017 eröffneten Pierre Boulez Saal, der schnell zum schönsten und inspirierendsten Ort für Kammermusik in der Stadt avanciert ist. Berührend die allererste Skizze für Daniel Barenboim, die bereits die beiden leicht gegeneinander verdrehten Ovale aufweist, die heute dem Saal eine aufregende Facette verleihen. „Für Daniel“, steht darunter. So darf der Besucher doch mit einem guten Gefühl über den Pariser Platz davon schlendern: Zwar wirkt das alles, als wurde Scharoun mehr aus Verlegenheit hinzugenommen. Eine spannende Gehry-Ausstellung ist es dennoch.
Max Liebermann Haus, Pariser Platz 7, bis 20. Januar; Mo, Mi und Fr 10 - 18 Uhr, Sa/So 11 - 18 Uhr, Di geschlossen