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Blick vom Turm der St. Matthäus-Kirche auf das Areal vor der Philharmonie (r.), das fußgängerfreundlich umgebaut wird.
©  Lichtschwärmer

Berlin: Endlich passiert was am Kulturforum

Das Gelände rund um die Philharmonie verwandelt sich in eine Flaniermeile – noch bevor der erste Spatenstich für das Museum der Moderne erfolgt ist.

Kaum war St. Matthäus 1846 geweiht, hatte das von Friedrich August Stüler entworfene Gotteshaus auch schon seinen Spitznamen weg: „Polkakirche“ sagten die Leute – weil es hier draußen, vor den Toren der preußischen Hauptstadt sonst nichts gab als ein paar Vergnügungslokale. Doch Berlin kam dem neoromanischen, von italienischen Vorbildern inspirierten Bau bald entgegen, prachtvolle Villen und Mehrfamilienhäuser wuchsen empor, bis zum Zweiten Weltkrieg befand sich rund um die Matthäikirche eine der feinsten Wohngegenden der Metropole. Dann kamen die Bomben und die Brache.

Wer heute für einen Euro ein Ticket zur Turmbesteigung erwirbt, sieht von oben auf eine merkwürdig disparate urbane Landschaft herab: Interessant ist es, die Baustelle der Nationalgalerie zu betrachten – weil aus dieser Perspektive vieles erkennbar wird, was dem Flaneur unten auf der Straße verborgen bleibt. Erschreckend wirkt dagegen der Blick Richtung Potsdamer Straße, also dorthin, wo ab 2019 das Museum der Moderne entstehen soll. Was für eine gigantische Fläche das geplante Satteldach überspannen wird, wie raumgreifend sich die „Scheune“ von Herzog & de Meuron zwischen den Architekturikonen von Mies van der Rohe und Hans Scharoun breit- machen wird, lässt sich bislang nur von hier aus wirklich ermessen.

Ein Chaos aus aufgerissenen Straßen, Baggern, Materiallagern und Absperrungen schließlich bietet sich dem Betrachter, wenn er vom Matthäikirch-Campanile gen Norden schaut. Und doch bedarf es nur eines Fünkchens Fantasie, um zu erahnen, dass sich dort gerade vieles zum Guten wendet. Denn dem landeseigenen Unternehmen „Grün Berlin“, das sich unter anderem auch um den Gleisdreieck- Park und das Tempelhofer Feld kümmert, ist der Coup geglückt, das unwirtliche Straßenland rund um Philharmonie und Kammermusiksaal in ein fußgängerfreundliches Areal umwandeln zu dürfen. Und zwar noch vor Baubeginn für das Museum der Moderne. Wenn es tatsächlich gelingt, das Projekt zum Herbst kommenden Jahres abzuschließen, werden die Klassikfans wie die Besucher der Museen am Kulturforum das Gelände neu erfahren können. Weil sie endlich genug Bewegungsfreiheit haben – und zwar auch dann noch, wenn sich nebenan die Kräne für den Kunsthallen-Neubau drehen.

Sehnsucht nach Flächen mit Aufenthaltsqualität

Bis „Mitte der zwanziger Jahre“ soll das Werkeln am Museum der Moderne dauern, hat Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, jüngst bei der Präsentation des überarbeiteten Entwurfs orakelt. Das Ausheben der Grube und die Fortschritte beim Bau werden die Berliner und ihre Gäste aus sicherem Abstand vom Scharounplatz verfolgen können. Denn die nach dem Philharmonie-Architekten benannte Straße mit dem seit einer halben Ewigkeit verwahrlosten Mittelsteifen verschwindet bald und wird durch eine Fußgängerzone ersetzt. Außer BVG-Bussen, die eine Haltestelle direkt vor dem Kammermusiksaal-Eingang erhalten, und Taxen darf künftig kein Auto mehr von der Potsdamer Straße abbiegen. Auf der gepflasterten Fläche wird es Bäume und Bänke geben und – wenn das Bezirksamt mitspielt – auch eine Art Streetfoodmarket. Also mobile Stände, die Getränke und Snacks feilbieten.

Die technischen Voraussetzungen dafür jedenfalls werden auf dem Scharounplatz jetzt bereits geschaffen, erklärt Ole Hartmann, der bei „Grün Berlin“ für die Umbauten zuständig ist. Es gibt dann ein Leerrohr-System für Elektrokabel, die von der Philharmonie wie auch vom neuen Museum aus unter dem Platz verlegt werden können, sowie Warmwasseranschlüsse.

Dass sich die Nutzer des Kulturforums nach Flächen mit Aufenthaltsqualität sehnen, lässt sich daran ablesen, wie gut der bereits 2017 neu geschaffene Zugang zur Philharmonie von der Potsdamer-Platz- Seite angenommen wurde. Wo man sich früher zwischen parkenden Autos durchschlängeln musste, kann man heute entspannt verweilen, ja bei gutem Wetter sogar auf einer Wiese lagern.

Optische Aufwertung des Mattern-Gartens

Bereits deutliche Veränderungen sind auch am gegenüberliegenden, dem Tiergarten zugewandten Eingang zum Scharounbau zu sehen: Die Karajan-Straße wurde hier in ihrer Breite halbiert, rechterhand der neuen, schmalen Fahrbahnen wird es Stellplätze für Reisebusse geben, linkerhand Buchten für Taxen und Behindertentransporte. Alle durch die Maßnahme hinzugewonnenen Freiflächen stehen künftig den Fußgängern zur Verfügung – und den Radlern, die endlich genügend Möglichkeiten vorfinden werden, ihre Fahrräder anzuschließen. Bis Jahresende wird hier alles fertig sein, die neuen Straßenlaternen stehen schon, schlanke Stelen in elegantem Design.

Sehr froh ist Ole Hartmann darüber, dass seit Kurzem auch Mittel für die Sanierung des sogenannten Mattern-Gartens hinter der Philharmonie zur Verfügung stehen. Bis Frühjahr 2019 kann das Ende der 1970er Jahre geschaffene Gelände, das die Konzertbesucher gerne in der Pause nutzen, optisch aufgewertet werden. Konkret bedeutet das: Die hässlichen Lücken in der Bepflanzung werden verschwinden, lockere Bodenplatten können fixiert werden, außerdem wird Barrierefreiheit hergestellt.

Auflösung eines jahrzehntelangen Stillstands

Ziemlich kompliziert, erläutert Ole Hartmann, waren bislang die Arbeiten an der Piazzetta. Dort soll ein besserer Zugang zur Gemäldegalerie und zum Kunstgewerbemuseum entstehen, mit einer breiten Treppe, die in der Blickachse des künftigen Scharounplatzes liegt, mit Sitzgelegenheiten sowie zwei „Stadtbalkonen“, von denen man dann das Hauptstadt-Panorama mit den Hochhäusern am Potsdamer Platz betrachten kann. Die Betondecke, die es dafür an der Kante der Piazzetta abzusägen galt, war allerdings viel massiver als erwartet. Sparsamer Materialeinsatz gehörte in den subventionssatten West-Berliner Zeiten offensichtlich nicht zu den vorrangigen Themen der Architekten.

Mögen Autofahrer auch stöhnen, weil sie sich mit ihren Wagen jetzt in die nicht gerade günstige Tiefgarage unterm Sonycenter quälen müssen – was in den kommenden 12 Monaten am Kulturforum entsteht, ist nicht weniger als die Auflösung eines jahrzehntelangen Stillstands. Sicher, es wird viel Stein verbaut, von der unscheinbaren Sorte des hellgrauen polnischen Granits, der in Berlin allgegenwärtig ist. Aber jeder neu geschaffene Gehweg-Quadratmeter macht eben auch deutlich, dass hier künftig die Menschen im Mittelpunkt stehen, die sich zu Fuß bewegen, die kunstsinnigen Flaneure und die Touristen, die nach Möglichkeiten für eine kurze Rast suchen. Vom Turm der Stülerkirche lassen sich all diese Verbesserungen bereits jetzt ermessen. Dass übrigens die Tiefbaufirma, deren Arbeiter hier zugange sind, ausgerechnet „Matthäi“ heißt, ist eine vom Zufall gut gesetzte Pointe.

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