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Ethan Hawke spielte zwanzig Jahre mit der Idee, Chet Bakers Leben zu verfilmen.
© Alamode Film

Im Kino: Biopic "Born to be Blue": Der James Dean des Jazz

Diese verträumten Augen, diese sehnsuchtsvollen Melodien: Chet Baker war Sinnbild von Melancholie und Coolness. Im Biopic „Born to be Blue“ spielt Ethan Hawke die tragische Jazzlegende.

Es ist eine Heroin-Fieberfantasie par excellence. Im Delirium liegt ein heruntergekommener junger Mann mit feinen Gesichtszügen zusammengekauert auf dem Boden einer Gefängniszelle, irgendwo in Italien. Es ist das Jahr 1966. Sein glasiger Blick verliert sich in der bodenlosen Schwärze eines metallischen Schallbechers, die Trompete scheint zum Greifen nah und ist doch unerreichbar. Plötzlich kriecht aus dem Instrument eine Tarantel, der Mann beginnt sich zu regen. Zwischen Verlangen und Todessehnsucht streckt er seine Hand nach der Spinne aus, die sich ihm langsam nähert. Und gerade, als die Hand das Tier zu berühren scheint, öffnet sich knarzend die Gefängnistür – und Hollywood betritt die Zelle. Ein Produzent will einen Film mit dem hübschen Junkie am Tiefpunkt seiner Karriere machen. Die Traumfabrik liebt solche Comebacks.

Das Treffen zwischen dem berühmten Produzenten Dino De Laurentiis und Jazz-Legende Chet Baker fand natürlich nie unter diesen Umständen statt, es ist eine Drehbucherfindung. Zwar stimmt es, dass De Laurentiis Baker in den sechziger Jahren ein Angebot für einen Film unterbreitet hat, der aber wurde nie realisiert. Der damals bereits heroinabhängige Baker hatte bei einem Überfall seine Vorderzähne verloren, seine Karriere galt damit als beendet. In seiner Blütezeit in den fünfziger Jahren besaß Baker das strahlende Aussehen eines Hollywoodstars: Schon als er sich in der Westcoast-Szene einen Namen machte, eilte ihm der Ruf eines „James Dean des Jazz“ voraus: die Haartolle, sein graziler Mund, wie geschaffen für die sehnsuchtsvollen Harmonien, die er seinem Instrument entlockte, die pointierten Wangenknochen, die im Zusammenspiel mit Bakers verträumten Augen sinnbildlich für die Melancholie des Cool Jazz wurden.

Es überrascht nicht, dass Ethan Hawke über zwanzig Jahre mit der Idee spielte, das Leben Chet Bakers zu verfilmen – und die Rolle der Jazzgröße selbst zu übernehmen. Hawke besitzt diese ewige Jugendlichkeit, die es ihm heute erlaubt, einen zehn Jahre jüngeren Baker zu spielen. „Born to be Blue“ von Robert Budreau will natürlich kein gewöhnliches Biopic sein. Die Formel, Künstlerbiografien chronologisch runterzuerzählen, zugespitzt auf den Moment der Geniewerdung, ist in den vergangenen Jahren glücklicherweise aus der Mode gekommen. Budreau und Hawke experimentieren stattdessen: Sie erfinden eine Pastiche-Biografie, die sich an neuralgischen Punkten mit dem Leben Chet Bakers überschneidet, sich aber künstlerische Freiheiten nimmt.

Den Film zum Beispiel, den Baker nie mit De Laurentiis gedreht hat, gibt es in „Born to be Blue“ – nur wirkt er wie eine Parodie auf das Biopic, das Hawke um keinen Preis machen wollte. Es dauert eine Weile, bis man realisiert, hier einer Finte aufzusitzen. Die hölzernen Dialoge, die Soap-Dramatik, die gekünstelte Schwarz-Weiß-Fotografie: Man fühlt sich für einen Augenblick tatsächlich im falschen Film, bevor die Kamera das Setting als Kulisse entlarvt. Chet Baker (Hawke) spielt sich selbst, großspurig, aber sein Ko-Star Jane (Carmen Ejogo) in der Rolle von Ehefrau Elaine kann sich dem Charme des Künstlergenies schon nicht mehr entziehen.

Nach einem nächtlichen Abstecher auf die Bowlingbahn ereignet sich dann der verhängnisvolle Zwischenfall, der den Niedergang Bakers beschleunigt. Eine Gruppe Krimineller überfällt ihn und seine Begleiterin, es geht um Drogenschulden. Ohne Zähne ist der Star-Trompeter nur noch ein Schatten seiner selbst. Auch seine alten Weggefährten lassen ihn fallen, dafür sitzt ihm fortan ein Bewährungshelfer im Nacken. Das Bild des Scheiterns zeigt ein Häufchen Mensch in all seiner Versehrtheit: Einsam sitzt Chet Baker mit künstlichem Mundstück in der Badewanne und versucht, auf seiner Trompete zu spielen, aus der Blut fließt.

Budreau und Hawke führen die Lebensgeschichte auf Nebenwege

Anders als die vielen Musiker-Biopics, die maßgeblich von der Eitelkeit ihrer Hauptdarsteller dominiert werden – man erinnere sich nur an Kevin Spaceys kuriose Bobby-Darin-Hommage „Beyond the Sea“ –, zeichnet „Born to be Blue“ eine fast traumhafte Entrücktheit aus. Budreau und Hawke führen die Biografie Bakers lieber auf Nebenwege: an den Ozean, wo Baker und Jane zeitweise in einem Wohnwagen leben, oder nach Oklahoma, wo Bakers Eltern eine Schweinefarm betreiben und sein Vater, ein mäßig talentierter Musiker, sich angesichts des verschenkten Lebens und der Schande, die der Sohn über die Familie gebracht hat, unversöhnlich zeigt. Die Film-im-Film-Sequenzen fungieren als Metakommentar: geschönte Variationen des Lebens, das „Born to be Blue“ nicht als optimistische Comeback-Geschichte zu erzählen gewillt ist.

Jazz und Heroin waren in den fünfziger Jahren eine teuflische Kombination, und auch Budreaus Re-Imagination von Bakers Karriere spielt mit der Ambivalenz dieser Beziehung. Baker war der bekannteste weiße Jazzmusiker, der an der Nadel hing („the great white hope“ wie es im Film einmal heißt), aber so richtig will auch „Born to be Blue“ nicht den Mythos ausräumen, dass das weiße Pulver überhaupt erst für die kreative Blütephase des Jazz verantwortlich war. Bei einer Begegnung von Baker und Miles Davis (Kedar Brown) mustert der wohl größte Staubsauger der Jazzgeschichte den adretten Jungen mit seinen Groupies verächtlich und empfiehlt ihm, erst mal ein wenig „zu leben“, bevor er Jazz wirklich verstehen kann.

Baker hadert mit dem Makel des weißen Emporkämmlings

Mit diesem Makel des weißen Emporkömmlings haderte Baker zeit seines Lebens, obwohl ihn der große Charlie Parker, ebenfalls kein role model, einst entdeckt hatte. „Born to be Blue“ insinuiert gar, dass Baker Heroin nur ausprobierte, um Miles Davis’ Herausforderung anzunehmen. Gleichzeitig verschreibt sich Budreaus Film im Tonfall dem schmeichelhaften Timbre, das auch das ätherische, süßlich-emotionale Spiel Bakers auszeichnete – und vom sanften Wispern seiner Stimme getragen wurde.

Hawke hat sich diese Manierismen von Baker abgeguckt, ohne sie sich zu eigen zu machen. Baker bleibt in „Born to be Blue“ eine Kunstfigur, die aus dem Wissen um ihre selbstzerstörerischen Triebe immer wieder Kraft schöpft – auch wenn das böse Ende schon absehbar ist. Aber die Schönheit, die beim Verglühen entsteht, besitzt eine ganz eigene Poesie.

Ab Donnerstag in den Kinos.

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