House of Jazz: Der Leuchtturm und sein Wärter
Wie soll ein House of Jazz aussehen? Der Trompeter Till Brönner, der das Projekt initiiert hat, und die Berliner Musikerszene liegen darüber im Clinch.
Der Traum ist noch zu schön, um wahr zu werden. Eine zentrale Spielstätte für den Jazz in Berlin. Ein künstlerisches Zentrum von nationaler, ja internationaler Strahlkraft. Der Leuchtturm einer musikalischen Weltsprache. All jene, die diese Sprache oder einen ihrer Dialekte sprechen, hätten einen Luftsprung machen müssen, als der Trompeter Till Brönner und der CDU-Haushaltspolitiker Rüdiger Kruse im vergangenen November verkündeten, dass der Bundestag 12,5 Millionen Euro für die Umwandlung der Alten Münze am Molkenmarkt in ein House of Jazz zur Verfügung stellt – vorbehaltlich eines tragfähigen Konzepts.
Warum also war die Freude unter denen, die von Brönners lang gehegter Idee profitieren sollen, so verhalten? War es der bloße Neid auf Deutschlands ökonomisch erfolgreichsten Jazzer, der in dieses Traumhaus zugleich als Leuchtturmwärter einziehen will? Oder waren es nicht vielmehr sein Vorgehen und Skepsis gegenüber einer Popularität, die er sich mit einer Musik ohne Ecken und Kanten erkauft hat?
Der Jazz braucht Symbolfiguren. Er braucht Leute, die die Schwellenangst senken. Er braucht aber auch Leute, die für das einstehen, was sich hinter der Schwelle befindet – etwa den eklektischen Erfindungsgeist Dutzender von Hochschulabsolventen, die besser ausgebildet denn je alljährlich in eine ungewisse Zukunft entlassen werden. Als Professor in Dresden muss der 45-Jährige ihre Nöte, Interessen und Talente kennen. Sein berechtigter Stolz, die Idee eines House of Jazz bis zu dem Punkt durchgefochten zu haben, an dem die Bundespolitik ihm zu folgen bereit war, kollidiert mit dem ebenso verständlichen Ärger der Berliner Szene, dass er dies über ihre Köpfe hinweg tat. Die Musiker sollten ein Geschenk erhalten, von dem sie nichts wussten – und von dem sie ohne Mitspracherecht nichts wissen wollen.
Misstrauen und Ängstlichkeit
Beide Seiten wissen, dass es sich um eine einzigartige Chance handelt. Doch statt eines gedeihlichen Miteinanders regieren nun Misstrauen, Ängstlichkeit und Kabale. Die Millionen des Bundes decken, je nach Rechnung, nur die Hälfte oder gar ein Drittel der erforderlichen Anfangsinvestitionen. Wer finanziert anschließend in welcher Höhe den Betrieb? Und während 2016 noch Kulturstaatssekretär Tim Renner mit im Berliner Boot saß, der sich zum Ende seiner Amtszeit mit einem Triumph schmücken wollte, denkt Klaus Lederer gar nicht daran, die Pläne seines Vorgängers ungeprüft durchzuwinken. Die Senatsverwaltung für Kultur und Europa, die im Moment jährliche Jazzmittel in Höhe von 380 000 Euro vergibt, arbeitet ihm zu, mit selbstverständlicher Nähe zu den Musikern vor Ort.
Erst Anfang Februar fand in Berlin ein informeller Thinktank statt. Veranstaltet von Ingrid Allwardts Agentur iQULT, die eine vom Bundeskulturministerium mit 100 000 Euro finanzierte 120-seitige Machbarkeitsstudie zum House of Jazz vorgelegt hat, stellten sich Till Brönner und sein Bruder und Manager Pino Brönner den Fragen von Berliner Musikern und Veranstaltern. Die Gäste empfanden die Veranstaltung als Farce. Sie schenken der Versicherung, dass es sich bei Brönners bis ins architektonische Detail ausgearbeitetem Konzept um einen frei verhandelbaren Entwurf handle, keinen Glauben. Vielleicht hat es also sogar sein Gutes, dass der Prozess ins Stocken und unter den hiesigen Protagonisten ein Gespräch in Gang gekommen ist, aus dem ein eigener Vorschlag hervorgehen soll.
Einzelgängertum und Selbstvermarktung
Schon atmosphärisch liegt die Fremdheit der Parteien offen zutage. Auf der einen Seite die Hydra einer zugleich lokalen wie grenzenlos internationalisierten Szene, die in das einzelgängerische Klein-Klein ihrer Projekte zerfällt, für den Hut spielt, von der Hand in den Mund lebt, auf wurmstichigen Klavieren herumklappert, Auftritte jenseits der zeitungsnotorischen Clubs über Facebook und Spezial-Websites bekannt gibt, aber von einer beispiellosen Vielfalt der Stile und den ungewöhnlichsten instrumentalen Konstellationen lebt. Was ihren Charme, ihre Lebendigkeit und ihren Reichtum ausmacht, ist auch ihr Elend: Die wenigsten Berliner wissen, dass sie in Europas Jazzhauptstadt leben.
Auf der anderen Seite das halb in L. A., halb in Charlottenburg beheimatete Selbstvermarktungsgenie, das Abstand zur hiesigen Szene hält, jazzferne Konzertsäle füllt, aber auf Trompete und Flügelhorn ein mitreißender Musiker ist – solange er sich in den vertrauten Welten von Post-Hardbop, Fusion und Pop tummelt. Selbst wenn man Brönner keinen Verrat an seinen Möglichkeiten vorhalten will, weil er einfach der ist, der er ist: Anders als Albert Mangelsdorff, Manfred Schoof, Heinz Sauer, Joachim Kühn, Nils Wogram oder Michael Wollny hat er dem Jazz wenig Neues oder Persönliches hinzugefügt. Dafür lässt er seit Jahren kaum eine Gelegenheit aus, mit unhaltbaren Argumenten gegen eine vermeintlich überkommene Avantgarde vom Leder zu ziehen. Brönner weist gerne darauf hin, dass er auch schon mit dem Freejazz-Drummer Günter Baby Sommer aufgetreten sei, aber seine allfreitägliche Show auf klassikradio.de (Motto: „Musik zum Entspannen und Genießen“) oder sein „Christmas“-Album zeigen, wie sehr er ein Mann des Mainstream ist. Er steht geradezu für das Gegenteil des zeitgenössischen Jazz mit seinen kompositorischen, improvisatorischen, energetischen und spirituellen Möglichkeiten.
Jazz heißt Offenheit nach allen Richtungen
Wenn es eine Haltung gibt, die Jazz mehr als jede andere Musik auszeichnet, dann ist es Offenheit, eine Offenheit nach allen Richtungen, die Brönner auf dem Papier auch verspricht. Die drei Konfliktfelder zwischen ihm und der Berliner Szene mögen deshalb den Eindruck eines Streits um Nuancen erwecken. Doch angesichts seines Profils geht es ums Ganze. Erstens gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, was Jazz heutzutage ausmacht. Zweitens steht zur Debatte, welches Gewicht die Einrichtung einer nationalen Big Band hat. Und drittens ist ungeklärt, wer die Kooperationspartner eines Jazzhauses sein sollten.
Die IG Jazz, in der das Gros der Berliner Musiker organisiert ist, würde zum Beispiel lieber von einem „Haus für die Musik des 21. Jahrhunderts“ sprechen. So sperrig das klingt, zielt es neben dem Jazz als Orientierungsmarke auf alles Improvisierte, bis hinein ins Geräuschhafte der „Echtzeitmusik“-Szene, auf Elektronisches, Avantgarde-Pop, die komponierte Neue Musik, die Multimedia-Performance sowie die Sound Art. Manches davon mag auf der großen Bühne eines House of Jazz mit rund 400 Plätzen verloren sein – deshalb soll es auch kleinere Bühnen geben. Aber wie bei der Einrichtung einer Big Band nach dem Vorbild des New Yorker Lincoln Center Jazz Orchestra, die Till Brönner mehr als alles andere am Herzen zu liegen scheint, geht es darum, dass die Ränder längst auf die Mitte einwirken.
Das Gegenbild zum zweifellos hochklassigen Klangkörper, den der wegen seines eisenharten Traditionalismus umstrittene Trompeter Wynton Marsalis in Manhattan eingerichtet hat, repräsentiert in den USA seit Jahren das hochdekorierte Maria Schneider Jazz Orchestra. Und in Berlin existieren mit dem Andromeda Mega Jazz Orchestra und dem Stefan Schultze Large Ensemble zwei herausragende Big Bands auf der Grundlage reiner Selbstausbeutung. Welche Rolle würden sie künftig spielen? Und welches ästhetische Verhältnis hätte ein nationales Berliner Jazzorchester zu den öffentlich-rechtlich alimentierten Big Bands von HR, NDR oder WDR?
Orchestrales Renommierprojekt oder Heimat für nomadisierende Musiker
Die Frage ist auch, welcher Teil der Berliner Szene dabei zum Zuge käme. Von vielen längst über sie hinauswirkenden Musikern muss man annehmen, dass sie für eine Big Band nach Brönners Vorstellungen kaum in Betracht kämen. Das gilt für den gerade mit dem SWR-Jazzpreis ausgezeichneten Schlagzeuger Christian Lillinger wie für seinen australischen Kollegen Tony Buck, für den portugiesischen Kontrabassisten Carlos Bica wie für seinen schwedischen Kollegen Petter Eldh, für die japanische Pianistin Aki Takase wie für die Ostberliner Tastenlegende Uli Gumpert.
Die edelste Aufgabe eines Berliner Jazzhauses bestünde demnach vielleicht weniger in einem orchestralen Renommierprojekt, sondern darin, den nomadisierenden Festivals von X-Jazz und A’larme!, den Nächten des Jazzkollektivs und des KIM Collective eine Heimat zu geben – und sie mit pädagogischem Eros einem breiteren Publikum zu vermitteln.
Daraus wiederum ergeben sich mögliche Kooperationspartner. Das Lincoln Center, das sich unter dem Druck der Kritik stilistisch sogar geöffnet hat, in Ehren: Neben dem Amsterdamer Bimhuis, das beide Parteien nennen, sind es wohl eher programmaffine europäische Institutionen: das Zürcher Moods, das Wiener Porgy & Bess und vor allem der Kölner Stadtgarten, der unter der Leitung seines Geschäftsführers Reiner Michalke, bis 2016 elf Jahre lang Leiter des Moers Festivals, ab 2018 zu einem Europäischen Zentrum für Jazz und aktuelle Musik ausgebaut werden soll. Auch er signalisiert Interesse an einem starken Haus in Berlin.
Die Situation ist verfahren, aber nicht hoffnungslos. Ein geeigneter Schlichter sollte beiden Seiten vermitteln können, was auf dem Spiel steht – und was sie voneinander lernen könnten. Alle wollen etwas Gutes. Dabei darf es nur keiner zu gut mit sich meinen.
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