„Billy Bat“: Der Fluch der Fledermaus
Das Manga-Epos „Billy Bat“ ist vollendet. Eine faszinierende Lektüre - auch wenn Naoki Urasawa und Takashi Nagasaki sich ein bisschen zu viel vorgenommen haben.
Das ist die Macht des Zeichners: Indem er Bilder zu Papier bringt, kreiert er seine eigenen Welten. Aber was wäre, wenn diese Zeichnungen direkt die Realität bestimmten? Wenn der Lauf der Welt davon abhinge, was Künstler sichtbar gemacht haben, und der Schlüssel zur Weltherrschaft eine 2000 Jahre alte Schriftrolle wäre?
Das ist eine der Fragen, die sich durch „Billy Bat“ zieht, einen große Teile der Menschheitsgeschichte umfassenden Meta-Thriller des japanischen Manga-Duos Naoki Urasawa und Takashi Nagasaki, der seit 2012 auf Deutsch veröffentlicht und kürzlich mit dem zwanzigsten Band abgeschlossen worden ist.
Titelheld der vor allem in Japan und den USA spielenden Erzählung ist eine in mehreren Inkarnationen auftretende Comicfledermaus, der im Laufe der 4100 Seiten umfassenden Handlung zunehmend widersprüchliche Bedeutungen zukommen.
Micky Maus, Batman und die kulturelle Hegemonie
Erscheint Billy Bat anfangs vor allem als kulturelle Ikone und Symbol für einen folgenreichen Ideendiebstahl, entwickelt die stark auf Micky Maus wie auf Batman Bezug nehmende Figur sich nach und nach zur Metapher für viel größere Themen: kulturelle Hegemonie, politische Machtkämpfe, Rassismus, Ressourcenknappheit. Zudem kann man in den unterschiedlichen Verkörperungen Billy Bats, die darum konkurrieren, wer die Welt richtig sieht, eine Analogie zu den großen Weltreligionen sehen.
Die Meisterschaft von Hauptautor Urasawa, die er zuvor mit ähnlich epischen Manga-Reihen wie „Pluto“ und dem jetzt bei Panini neu aufgelegten „20th Century Boys“ bewiesen hat, besteht darin, diese schweren Themen auf ungewöhnlich packende Weise zu servieren. Dazu kommen mit Hilfe versierter Assistenten handwerklich perfekt ausgeführte Bilder, die auch den Vorgang des Zeichnens immer wieder zum Thema machen.
So ringen die Zeichner von Billy Bat – und das sind im Laufe der Jahrhunderte umfassenden Handlung einige – in Schlüsselszenen mit ihrer aus dem Papier heraustretenden Figur darum, wie sich die Dinge entwickeln. Souverän wechseln die Autoren dabei zwischen erzählerischen Ebenen und Zeichenstilen und reichern ihren filigran-realistischen Seinen-Manga-Strich mit cartoonhaft überzeichneten Pulp-Comic-Elementen der 1940er an.
Es beginnt mit den verstörenden Erlebnissen eines japanisch-amerikanischen Comiczeichners kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA und Japan. Davon ausgehend werden etliche zentrale Ereignisse der Menschheitsgeschichte behandelt, die dank der zunehmend erkennbaren Interventionen von Billy Bat und seinen menschlichen Handlangern in neuem Licht erscheinen: Von der Leidensgeschichte Jesu Christi über das vorindustrielle Japan bis zur Mondlandung, dem Kennedy-Attentat und den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001.
Was Adolf Hitler mit Walt Disney verbindet
Im Laufe der Handlung werden Dutzende interessante Figuren eingeführt, deren Schicksale durch die Fledermaus verbunden sind. Die erscheint mal als gut und mal als böse – eine gerade im Manga oft anzutreffende Ambivalenz, die sich bis zum Finale durchzieht, das man je nach Auslegung als fatalistisch oder als hoffnungsvoll interpretieren kann.
Allerdings können nicht alle Ideen gleichermaßen überzeugen. So spielt für das Verhalten einer tragenden Figur, die eng an Walt Disney angelehnt ist, Adolf Hitler eine zentrale Rolle. Wie es dazu kommt, erscheint allerdings sogar im Kontext einer Geschichte mit sprechenden Fledermäusen absurd.
Auch versuchen die Autoren, zum Ende hin so viele Erzählstränge und Themen zusammenzubringen, dass die Plausibilität darunter leidet. Dennoch: eine faszinierende Lektüre bis zur letzten Seite.
Naoki Urasawa, Takashi Nagasaki: Billy Bat, Carlsen, Übersetzung Yvonne Gerstheimer, 20 Bände à 200-240 Seiten, je 8,95 Euro.
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