Die Geschichte von Batman: Was der Superheld über uns erzählt
Seit mehr als 70 Jahren wird Batman immer wieder neu interpretiert. Was sein Erfolg und seine Inkarnationen über uns und unsere Gesellschaft verraten.
Batman steht in einem versifften Pissoir und drückt einen Mann in eine Kloschüssel. Er will den Aufenthaltsort eines Gangsters erfahren. Skrupel? Warum? „Raju ist Abfall“, sagt der Maskierte über sein Opfer.
Szenenwechsel. Batman rast zu Gothams Museum of Modern Art. Er will einen Einbruch verhindern. Er parkt vor der Tür, springt aus dem Batmobil – und dreht wieder um. Er steht im Halteverbot. Das geht natürlich nicht. Gerade ein Gesetzeshüter muss sich doch an die Gesetze halten.
Düsterer Folterer und quietschbunter Moralapostel? Ist das tatsächlich dieselbe Figur, die wir da beobachten? Ja und nein. Die erste Szene findet sich in einem aktuellen Heft der Batman-Reihe „Detective Comics“, das in diesen Tagen auch auf Deutsch erschienen ist. Die zweite entstammt der TV-Serie „Batman“ mit Adam West aus dem Jahr 1966.
Der aktuelle „Detective Comics“-Batman und der 60er-Jahre-Klamauk-Batman bilden die Extreme, zwischen denen sich die Figur seit ihrer Erfindung vor über 70 Jahren immer wieder bewegt. Entweder „engagierter Gutmensch“ oder „von Rache getriebener Psychopath“, wie Comic-Autor Alan Moore einmal zusammenfasste. Der Batman aus Christopher Nolans „The Dark Knight Returns“, der gerade in den Kinos läuft, liegt irgendwo dazwischen.
Natürlich sind die unterschiedlichen Interpretationen auch auf die Vielzahl von Autoren und Zeichnern zurückzuführen, die sich der Figur gewidmet haben. Doch weil Batman seit seiner Erfindung ununterbrochen und ohne wesentliche Veränderung fortgeschrieben wurde, fungiert er stets auch als Spiegel der Gesellschaft, als „kulturelles Thermometer“, wie Andy Medhurst in seinem Aufsatz „Batman, Deviance and Camp“ schreibt. Was also sagen uns der anhaltende Erfolg von Batman und seine vielfachen Deutungen über uns und unsere Gesellschaft?
Beginnen wir am Anfang. Wir schreiben das Jahr 1939. Amerika blickt mit Sorge nach Europa, das an er Schwelle zum Zweiten Weltkrieg steht. Die große Depression ist noch nicht überstanden, die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent, Menschen leiden Hunger. Kurz: „Als Batman erfunden wurde, ging die Welt zur Hölle“, wie Frank Miller, einer der prägendsten Autoren der Figur, sagt.
In jenem Jahr tauchte auf dem Cover des Groschenheftes „Detective Comics“ eine neuer Superheld auf: Batman. Wobei neu relativ ist. Bei der Erschaffung des Millionärs Bruce Wayne und seines maskierten Alter Ego griffen seine Erfinder, der Autor Bill Finger und Zeichner Bob Kane, auf eine Reihe populärer Vorläufer zurück. Die doppelte Identität des reichen Playboys, der des Nachts maskiert für Gerechtigkeit streitet, lässt sich auf „Zorro“ oder „Der Graf von Monte Christo“ zurückführen. Von Comic-Polizist „Dick Tracy“ ließ man sich zu einer Galerie schriller Verbrecher inspirieren. Dazu etwas Horrorfilm und Sherlock Holmes. „Ansonsten ist sein erster Auftritt ein dreister Klau bei ’The Shadow’, einer damals beliebten Krimifigur“, sagt Lars Banhold, Autor der Studie „Batman – Konstruktion eines Helden“.
Dem kostümierten Rächer war sofort ein riesiger Erfolg beschieden. „Als Batman anfing, sich durch den Abschaum der Unterwelt zu schlagen und zu treten, war das die perfekte Reaktion auf eine gefährliche, komplexe Welt, die einen immer mehr einengte“, schreibt Mark Cotta Vaz in seiner Chronik „Tales of the Dark Knight“. Die Geschichten ähnelten damals Propaganda-Cartoons. „So wie die Achsen-Mächte dort als unmenschliche Monster porträtiert wurden, zeigte man auch die Kriminellen von Gotham City als eindeutig korrupte Ratten, die es wert waren, ausgerottet zu werden“, schreibt Vaz. Das viele von ihnen nach Macht und Herrschaft strebende Supergangster waren, lässt sich ebenfalls als Reaktion auf den Faschismus lesen.
Von Fredric Wertham zu Quentin Tarantino
Dabei ist Batman eigentlich kein politisch motivierter Charakter. „Die Geschichte von Batman ist die Geschichte eines traumatisierten Jungen“, schreibt der Psychiater Ulrich Sachsse in seinem Aufsatz „Heldendämmerung“. Als Kind wird Bruce Wayne Zeuge, wie seine Eltern bei einem Raubüberfall niedergeschossen werden. Ein Trauma, das er nie überwindet und dadurch zu verarbeiten versucht, dass er dem Verbrechen den Kampf ansagt. In jahrelangem Studium schult er sich in Kampfsport, Kriminalistik, Biologie, Chemie, Ingenieurswissenschaften. Die Wahl des Fledermauskostüms erklärt er im ersten „Batman“-Heft, das seinen Namen trägt, so: „Kriminelle sind ein abergläubischer, feiger Haufen. Deshalb muss meine Verkleidung in der Lage sein, Furcht in ihre Herzen fahren zu lassen.“
Anders als sein direkter Vorgänger Superman verfügt Batman also nicht über angeborene Superkräfte. Alles, was er kann, hat er sich beigebracht. Über Supermans Alter Ego Clark Kent philosophierte Regisseur Quentin Tarantino einmal, er sei „Supermans Kritik an der gesamten Menschheit“. Wenn das stimmt, ist Bruce Wayne ihre Lobpreisung. Der schwer geprüfte Charakter, der mit obsessiver Disziplin an sich arbeitet und auf Erden doch nie Erlösung findet. Das ist protestantisches US-Arbeitsethos in Reinkultur und sicher einer der Gründe für seinen anhaltenden Erfolg. Ein weiterer ist laut Ulrich Sachsse die Universalität der Geschichte: „Ganz offenkundig gibt es ein unbegrenztes Bedürfnis nach immer wieder neuen Rachemärchen“, erklärt er.
In Batmans Frühphase nahmen diese Märchen häufig ein mörderisches Ende. „So sehr ich es hasse, Menschen zu töten, diesmal ist es wohl notwendig“, sagt Batman beispielsweise in einem seiner ersten Abenteuer, als er das Feuer auf einen Laster eröffnet. Direkt danach erhängt er einen mutierten Irren mit einem Lasso.
Erst mit Amerikas Kriegseintritt änderte sich das. Angesichts der Gräuel in Europa wurde Batman 1941 die Lizenz zum Töten entzogen und er selbst rekrutiert. Statt verrückten Wissenschaftlern jagte er Nazis und warb, wie 1943 auf dem Cover eines Heftes, einen riesigen Adler reitend, für Kriegsanleihen. Aus der von Rache getriebenen Ein-Mann-Bürgerwehr war, als die Zeiten es verlangten, ein aufrechter Patriot geworden.
Der nächste große Bruch folgte gut zehn Jahre später. Auf dem Höhepunkt von McCarthy’s Kommunisten-Paranoia veröffentlichte der Psychiater Fredric Wertham 1954 sein damals aufsehenerregendes Buch „Seduction of the Innocent“. Darin geht er hart mit Comics ins Gericht. Superman unterminiere die Autorität und Würde gewöhnlicher Männer und Frauen, schrieb er. Die Batman-Lektüre mache schwul: Das Zusammenleben von Bruce Wayne mit seinem als Identifikationsfigur für die jugendlichen Leser eingeführten Adoptivsohn Dick Grayson alias Robin sei „der Wunschtraum von zwei Homosexuellen“.
Um drohende staatliche Zensur zu vermeiden, entwickelten die Heftverlage noch im selben Jahr die Comics Code Authority. Das Gremium wachte fortan darüber, dass in den Bildergeschichten stets Gut über Böse obsiegte, Verbrechen niemals so dargestellt wurden, dass der Glaube an Polizei und Justiz Schaden nehmen konnte, und eliminierte alle möglicherweise irgendwie als anstößig zu empfindenden Illustrationen.
Gratwanderung zwischen Pop und Politik
Die Auswirkungen auf Batman waren gewaltig. Mehr und mehr wandelten sich die düsteren Kriminal- in bunte Science-Fiction-Geschichten. Ende der 50er Jahre und Anfang der 60er Jahre flogen Batman und Robin durchs All und die Zeit. „Batman fing an, sich mehr wie ein Schulaufseher denn ein Verbrecherjäger zu benehmen, und sah sich mit Gegenspielern konfrontiert, die sich schrittweise von Gangstern zu Witzbolden verwandelten“, schreibt Bill Boichel in seinem Aufsatz „Batman: Commodity as Myth“. Um den Schwulengerüchten entgegenzutreten, wurden Batgirl und Batwoman eingeführt und später, damit nicht mehr drei Männer alleine in einem Haus lebten, Batmans Butler Alfred gegen Tante Harriet ausgetauscht. Die Verkäufe brachen ein.
Sein Comeback erlebte Batman erst 1966. Schuld war der Zufall. Weil Pläne zu einer Superman- und Dick-Tracy-Serie geplatzt waren, machte sich der TV-Sender ABC an eine Batman-Adaption. Bei der vorbereitenden Lektüre der Hefte kam er sich allerdings vor „wie ein Idiot“, erklärte Produzent William Doizer später. „Dann hatte ich die Idee, es einfach völlig zu übertreiben, das Ganze so spießig zu machen und so ernst, dass Erwachsene es amüsant finden würden“. Ein Geniestreich. Warhol und Lichtenstein hatten Pop-Ikonen und Comics ins Museum gebracht, parallel lieferte Susan Sontag mit ihren „Notes on Camp“ die Anleitung für die ironische Rezeption von Kulturmüll. Der TV-Batman ritt mit hahnebüchenen Plots und Gaga-Humor wie eingestreuten Aufforderungen zum regelmäßigen Zähneputzen oder der eingangs beschriebenen Szene kräftig auf der Pop-Welle mit. Bis 1968 entstanden volle 120 Episoden. Dann war Schluss und die Comic-Auflage, die dank der Serie zeitweise fast eine Million erreicht hatte, rauschte erneut in den Keller.
In den 70er Jahren orientierten sich die Autoren wieder an dem frühen, dunklen Batman und einem inzwischen älteren Publikum, was auch dazu führte, dass Robin aus der Serie geschrieben wurde. Die Geschichten wurde realistischer und politischer. Drogenmissbrauch und Rassismus wurden zu Themen.
Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung, als der Autor Frank Miller Mitte der 80er Jahre mit seinen Büchern „The Dark Knight Returns“ und „Year One“ der Figur einen zynischen Hard-Boiled-Anstrich verpasste. Batman kämpfte nicht nur gegen Verbrecher, sondern vor allem gegen seine Obsessionen und Psychosen. Autoren wie Miller und Alan Moore verwischten die Grenze zwischen Gut und Böse und diskutierten philosophische Fragen wie die, ob Batman mit seinem Auftreten die Gewalt, die er bekämpft, nicht erst erschafft, oder wie sinnvoll der Kampf für Ordnung überhaupt ist in einer aus dem Ruder gelaufenen Welt. Auch um Identitätsfragen ging es häufig. Wer trägt eigentlich die Maske? Bruce Wayne als Batman oder umgekehrt? Vor dem Hintergrund von Endzeitstimmung, Tschernobyl und den in Gewalt und Verbrechen versinkenden amerikanischen Metropolen war Batman halb Sisyphos, halb „Dirty Harry“.
Moderner Held oder „Rambo mit Cape“?
Besonders aus dem linken Lager wurde Miller dafür heftig kritisiert. „Rambo mit Cape“, ätzte die Zeitschrift „Village Voice“ und es mehrten sich die Stimmen, die in Batman einen kontrollbesessenen Reaktionär sahen, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt und unter dem Deckmantel der Verbrechensbekämpfung vor allem eine Gesellschaft schützt, die ihm sein privilegiertes Leben in Wohlstand garantiert. Von der Hand zu weisen ist das nicht. „Und auch die Tatsache, dass bei Batman körperlich und geistig Versehrte immer wieder fast zwangsläufig zu Verbrechern werden, lässt sich durchaus kritisch diskutieren“, sagt Batman-Forscher Lars Banhold. Aber gerade diese Widersprüchlichkeiten machten die Figur ja auch erst interessant.
Spätere Interpretationen nahmen immer wieder Bezug auf das bis hierher Geschehene. Tim Burton orientierte sich in seinen Filmen „Batman“ (1989) und „Batman Returns“ (1992) besonders an den 70er Jahren, blieb aber weit hinter der komplexen Figur aus den Comics zurück. Joel Schumacher schließlich, der 1995 mit Val Kilmer und 1997 mit George Clooney zwei Batman-Filme inszenierte, spielte mit den homoerotischen Lesarten, verlor sich ansonsten aber im Popcorn-Klamauk. Warum auch nicht? Es waren sorglose Zeiten. Die Wirtschaft wuchs, die Arbeitslosigkeit sank, die Aktienkurse kletterten.
Dann kam der 11. September, die Wirtschaftskrise, und Batman wurde wieder zum sich selbst quälenden Einzelgänger. Mit Christopher Nolans 2005 gestarteter und jetzt abgeschlossener Filmtrilogie ist Batman auch im Kino da angekommen, wo er in den Comics schon vor 25 Jahren war und wo Scott Snyder ihn als aktueller Autor der Hauptreihe „Batman“ zuletzt in einem beeindruckend spannenden Verschwörungskrimi an den Rand des körperlichen und geistigen Zusammenbruchs führte.
Snyder ist mit seinem Psychodrama jedoch momentan eher eine Ausnahme. In einer Vielzahl aktueller Interpretationen wie „Detective Comics“ oder auch der Heftserie „Batman: The Dark Knight“ prügelt der Fledermausmann gegen die Orientierungslosigkeit nach der Finanzkrise sowie den aus dem nicht zu gewinnen Kampf gegen den Terror resultierenden Frust an – und ist dabei so reaktionär wie lange nicht mehr.
Nolans Batman mag zwar nicht so weit gehen wie der Batman aus den „Detective Comics“, der Menschen als „Abfall“ bezeichnet und foltert. Aber auch dem aktuellen Film fällt als Reaktion auf die Bedrohung der Demokratie nur Law and Order ein. „Ich finde das bedenklich, wenn in dem Film selbst Sympathieträger keine Probleme damit haben, dass hunderte Straftäter dank eines an den ’Patriot Act’ erinnernden Erlasses keine Chance auf Bewährung haben“, sagt Lars Banhold. „Hauptsache, es herrscht Ruhe.“
Deutlich wie lange nicht mehr lässt sich Batman damit als Abgesang auf den Staat lesen. „Die Polizei schafft es nicht“, schleudert Nolans Batman seinem Butler Alfred einmal als Begründung für sein Verhalten entgegen. Und auch auf die übrigen Institutionen kann der Bürger nicht bauen. Die CIA lässt sich austricksen, der Präsident kneift, am Ende wirft ein desillusionierter Polizist seine Dienstmarke weg.
Gleichzeitig ist aber auch von der Bevölkerung selbst nichts zu erwarten. Wer sich gegen Banken und Besitz auflehnt, macht alles nur noch schlimmer. Catwoman, die am Anfang noch einen Reichtum umverteilenden Sturm herbeiwünscht, wird von den Geistern, die sie rief, überrannt. Dass die aufmarschierenden Terroristen dabei nicht selten an Anhänger der Occupy-Bewegung erinnern, dürfte alles andere als Zufall sein.
Wenn also auch dieser Batman unsere Bedürfnisse und Wünsche widerspiegelt, wonach suchen wir angesichts von Dauerkrise, Macht- und Ausweglosigkeit? „The Dark Knight Rises“ schreit nach einem Messias. Und er liefert ihn, wenn sich Batman am Ende jesusgleich für die Menschen opfert. Danach herrscht Frieden auf Erden.
Wie sagte Frank Miller? „Als Batman erfunden wurde, ging die Welt zur Hölle.“ Viel scheint sich seitdem nicht geändert zu haben. Der Bedarf an Erlösung hat jedenfalls nicht abgenommen.
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