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George Grosz malte seinen Freund Felix Weil in Berliner Tagen im Jahr 1926. Das Gemälde musste Felix Weil aus Geldnot verkaufen.
© akg-images

Frankfurter Institut für Sozialforschung: Der Finanzier der Gesellschaftstheorie

Das abenteuerliche Leben des Felix Weil:  Jeanette Erazo Heufelder hat ein Buch über den Geldgeber des Frankfurter Instituts für Sozialforschung geschrieben.

Brecht mochte die Häupter des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“ nicht, denen er im kalifornischen Exil begegnete. Er nannte sie in seinem „Arbeitsjournal“ (in Kleinschreibung) „den doppelclown horkheimer und pollock“ und bezeichnete sie als „Tuis“, als Abkürzung für „Tellekt-uell- in“, ein Spiel mit dem Wort „Intellektuelle“. Noch weniger mochte er, wie das Institut entstanden war: „ein reicher alter mann (der weizenspekulant weil) stirbt, beunruhigt über das elend auf der welt“, ätzte er 1942: „er stiftet in seinem testament eine große summe für die errichtung eines instituts, das die quelle des elends erforschen soll. das ist natürlich er selber.“ Wie oft ist diese Sottise zitiert worden! Nur ging niemand den Umständen tatsächlich auf den Grund und befasste sich mit den Personen, die diese zweifellos folgenreichste Sozialforschungseinrichtung des 20. Jahrhunderts ins Leben gerufen hatten.

Dieser Mühe hat sich Jeanette Erazo Heufelder unterzogen, deren kompaktes Buch „Der argentinische Krösus“ fortan in keiner Privatbibliothek mehr fehlen darf, in denen die Schriften Horkheimers und Adornos aufgereiht stehen, wenn auch gewissermaßen bislang ohne materiellen Unterbau. Den liefert die Autorin, die sich als Ethnologin, Autorin und Dokumentarfilmerin vorwiegend mit lateinamerikanischen Themen beschäftigt, in ihrem Buch über Felix Weil, den von Freunden „Lix“ genannten Sohn des vorwiegend in Argentinien tätigen Weizenhändlers Hermann Weil. Er war im Jahr 1923 – aus dem eines der seltenen Fotos seiner Person datiert – „gerade dabei, der linken Intelligenz seiner Generation in Frankfurt ein Institut zu bauen“.

So leichthin schreibt die Autorin, doch ihr Buch ist alles andere als leichtgewichtig. Denn erst aus der Kenntnis der wirtschaftlichen Verflechtungen, in die das Frankfurter Institut zeit seiner Existenz in schwierigen Umständen und mehreren Ländern eingebunden war, lässt sich die nicht nur durch die Brecht’sche Brille verzerrte Politik der Institutshäupter Max Horkheimer und seines lebenslangen Freundes und Instituts- Geschäftsführers Friedrich Pollock verstehen.

Weil war mehr als nur der reiche Erbe

Felix Weil, wenn er denn aus Notwendigkeit überhaupt erwähnt wird, erscheint meist als der reiche Erbe, der eben mal das Institut finanziert und danach im Nirvana eines Rentierdaseins verschwindet. Das Gegenteil ist der Fall. „Lix“ übernimmt zwar, wie es der Vater wünscht, nach und nach dessen beidseits des Atlantik tätiges Geschäft; doch war er in den Revolutionswirren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs für den Sozialismus entflammt und geriet während seines Ökonomiestudiums – das er 1920 mit der Promotion abschloss – in den Bannkreis des undogmatischen Marxisten Karl Korsch.

Dort entstand die Idee zur Gründung eines Instituts, das – kleine Volte der Geschichte – seinen Namen „Institut für Sozialforschung“ einem zufälligen japanischen Vorgänger entlieh. Erazo Heufelder ist in der Darstellung der verwickelten Geschichte der Institutsgründung auf der Höhe ihres Könnens – nicht allein, weil sie der historischen Wahrheit Genüge tut und Felix Weils steuernde Rolle herausstellt, sondern dies auch in vorzüglicher Weise zu formulieren versteht.

Geistesfestung. Das 1924 fertig gestellte Institut für Sozialforschung in Frankfurt.
Geistesfestung. Das 1924 fertig gestellte Institut für Sozialforschung in Frankfurt.
© Bauten Franz Roeckle/Hatje Cantz

Anfang 1923 jedenfalls wurde das Institut als außeruniversitäre, aber mit der Frankfurter Universität verbundene Forschungseinrichtung genehmigt. Währenddessen ließ Weil einen repräsentativen Neubau durch den im Frankfurter Großbürgermilieu tätigen Architekten Franz Roeckle errichten. Bereits 1924 fand die Einweihung statt. Das 1924 fertiggestellte Gebäude des neu gegründeten „Instituts für Sozialforschung“ im Frankfurter Westend besaß einen „ernsten, beinahe festungsartigen Charakter“, wie Siegfried Kracauer damals in der „Frankfurter Zeitung“ urteilte.

Zugleich mit der Institutsidee wurde der Plan einer wissenschaftlichen Marx-Engels-Ausgabe geboren. Erscheinen sollte sie in Moskau, der Hauptstadt der Weltrevolution. Die Zusammenarbeit mit dem dortigen Marx-Engels-Institut endete jedoch nach wenig fruchtbaren Jahren in beiderseitiger Verstimmung.

Horkheimer kommt als Überraschungskandidat ins Spiel

Kam das Geld für das Institutsgebäude aus Felix Weils mütterlichem Erbe, so der Betrieb des Instituts selbst aus den jährlichen Zuwendungen der Stiftung des Vaters Hermann, der sich am Ende seines Lebens stärker denn je von philanthropischen Motiven leiten ließ. Diese Zuwendungen genügten, um den Institutsbetrieb zur Gänze abzudecken. So viel zum Hintergrund der Brecht’schen Sottise.

Max Horkheimer, wiewohl ihn Weil bereits 1920 kennen- und schätzen lernt, spielt in dieser Frühgeschichte keine Rolle, ja kommt erst als Überraschungskandidat für den durch die dauerhafte Erkrankung des österreichischen Wirtschaftshistorikers Carl Grünberg verwaisten Direktorenpostens ins Spiel – dann aber ganz und gar. Dazu bedurfte es eines weiteren Schachzugs von Lix, der eine zweite Professorenstelle finanzierte, neben der wirtschaftswissenschaftlichen nun eine philosophische, zugeschnitten auf Horkheimer.

Ein Leben voller Merkwürdigkeiten

George Grosz malte seinen Freund Felix Weil in Berliner Tagen im Jahr 1926. Das Gemälde musste Felix Weil aus Geldnot verkaufen.
George Grosz malte seinen Freund Felix Weil in Berliner Tagen im Jahr 1926. Das Gemälde musste Felix Weil aus Geldnot verkaufen.
© akg-images

Eine interessante Episode ist Weils Beteiligung an der deutschen Fassung von Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“. Willi Münzenberg, der schillernde kommunistische Medienunternehmer, der insbesondere für den Verleih sowjetischer Produktionen die „Prometheus- Film“ gegründet hatte, konnte die von Moskau geforderte Bezahlung in Devisen nicht leisten und wandte sich Anfang 1926 an Weil. Der sagte nach Vorführung des Films zu. In der von Starregisseur Phil Jutzi erstellten deutschen Fassung wurde Eisensteins Klassiker zu einem grandiosen Erfolg, und Weil konstatiert in seinen unveröffentlichten Erinnerungen: „Als der Film abgespielt war (...), bekam ich meine Einlage mit einem ansehnlichen Gewinn zurück.“

Alsbald setzte die Weltwirtschaftskrise ein, wuchs die aufgeschobene, aber nie mehr behobene Krise der väterlichen Firma, unternahm Weil halbherzige, immer wieder abgebrochene Schritte zu eigener wissenschaftlicher Arbeit und sorgte stattdessen für das Institut, für das er keine Zukunft in Deutschland mehr sah. Die Geschichte des mehrfachen Umzugs und der Emigration des Instituts ist bekannt, Martin Jay hat sie 1973, Rolf Wiggershaus 1986 dargestellt; seither sind weitere Bücher erschienen, immer zentriert um die intellektuelle Geschichte des Instituts.

Dass es jedoch Felix Weil war, immer wieder und ganz allein Felix Weil, der das Institut am Leben hielt, der nachgerade lebensrettende Beträge aus seinem verbliebenen Vermögen hinzuspendete, das tritt erst mit Erazo Heufelders Buch ganz ans Licht. Vor allem schildert sie den unappetitlichen argentinischen Familienzwist der mittdreißiger Jahre ums Erbe, der Felix Weil nicht nur finanziell, sondern überdies als Person zu ruinieren drohte – und das Institut gleich mit.

Intellektuelle und materielle Geschichte sind nicht zu trennen

Horkheimers (und Pollocks) wenig schmeichelhafte Meinung über den psychisch schwer mitgenommenen Lix, er sei ein „Jämmerling“, datiert aus dieser Episode und sollte sich so ganz nicht mehr aufhellen. Jedenfalls überschrieb er nunmehr sein gesamtes Vermögen dem Institut respektive dessen Trägergesellschaft, „wodurch Felix Weil“ – so Heufelder – „freiwillig die Freiheit eines wirklich reichen Menschen aufgab (...), ohne sich selbst in einer Klausel auch nur das geringste Recht auf Mitsprache über das überschriebene Vermögen eingeräumt zu haben (...)“. Instituts-Chef Horkheimer verdankte seine Unabhängigkeit ab diesem Zeitpunkt allein der Schenkung Weils und nicht etwa eigener Klugheit in der Sicherung des Instituts.

Das widmete immerhin den Sammelband „Studien über Autorität und Familie“, der 1936 in Paris erschien, „Felix Weil, dem treuen Freunde“. Dass Pollock als Stiftungsverwalter im Jahr darauf gut ein Fünftel des Stiftungsvermögens verspekulierte, sei hier besonders erwähnt: Von ihrer materiellen ist die intellektuelle Geschichte des Instituts jedenfalls nicht zu trennen.

Schattenseiten des Instituts

So fallen manche Schatten auf die glänzende Oberfläche des Instituts und der von seinen Bewunderern verbreiteten heroischen Schilderung des Exils. Die materielle Ungleichheit der Institutsmitarbeiter wuchs: hier der wohlausgestattete innere Zirkel, dort die mit zudem mehrfach gekürzten Honoraren am (Über-)Leben gehaltenen Mitarbeiter. Schändlich ist der Umgang mit dem niederländischen Mitarbeiter Andries Sternheim, dem am Ende das karge Gehalt derart gekürzt wird, dass ihm das Geld fehlt, um als Jude aus Amsterdam ausreisen zu können: Er, der ehedem die Genfer Zweigstelle des Instituts geleitet hatte, wurde 1944 deportiert und in Auschwitz ermordet.

Das Institut fand im amerikanischen Exil neue Betätigungsfelder, auch andere Geldquellen; es schrumpfte allerdings im Lauf der Jahre auf das Trio Horkheimer, Pollock und Adorno zusammen. Immerhin versuchte Horkheimer, solange er unter dem Eindruck des Krieges stand und die Ökonomie im Sinne einer marxistischen Theorie im Blick hatte, Felix Weil zu dauerhafter wissenschaftlicher Arbeit am Institut zu gewinnen. Das gelang nicht; die vielfältigen persönlichen Verstrickungen Weils, die Erazo Heufelder nicht verschweigt, aber auch nicht betratscht, werden ganz gewiss eine Rolle gespielt haben.

Weil überlebte Adorno und Horkheimer

Am Institut wurde jedenfalls nicht mehr strenger Marxismus betrieben, sondern in bewusster Absetzung davon die „Kritische Theorie“ formuliert; durchaus weniger als Camouflage – wie es die späteren Verehrer aus der 68er-Generation gern gehabt hätten und es mancher Brief zwischen Horkheimer und Adorno durchaus nahelegt – denn aus innerer Überzeugung. Dieser allmähliche Positionswechsel ist seit Jay und Wiggershaus bestens bekannt. Die Dioskuren Horkheimer und Adorno – ergänzt um Pollock, in dem der scharf blickende Weil den „geborenen Zweiten“ sah – kehrten nach Frankfurt zurück und nahmen Platz im restaurierten Universitätsbetrieb der Adenauer-Zeit.

Weil begann in seinen späten Lebensjahren sogar, als Angestellter der US Air Force zu unterrichten, so auf der Luftwaffenbasis Ramstein; auch dies eine der vielen Merkwürdigkeiten in seinem Leben.

Felix Weil starb im Herbst 1975, zurückgekehrt in die Vereinigten Staaten, 77 Jahre alt und ohne seine längst begonnenen Memoiren vollendet zu haben. Die Häupter des von ihm finanzierten Instituts – Adorno starb 1969, Horkheimer 1973 – hatte er überlebt. Jeanette Erazo Heufelder hat ihm mit ihrem Buch das verdiente Denkmal gesetzt.

Jeanette Erazo Heufelder: Der argentinische Krösus. Kleine Wirtschaftsgeschichte der Frankfurter Schule. Berenberg Verlag, Berlin 2017. 208 S., 24 €.

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