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Gemeinsame Geschichte. Kunst aus Afrika und Europa, noch bis 2. Juni präsentiert in der Ausstellung „Unvergleichlich“ im Bode-Museum.
© David von Becker

Humboldt Forum: Dekolonisiert das Denken!

Endlich diskutieren Europa und Afrika über das Kolonialerbe. Das hat Folgen für das Humboldt Forum. Ein Gastbeitrag vom Präsident des Goethe-Instituts.

Unsere Gesellschaften stehen an einem Wendepunkt. Globalisierung und Modernisierung haben nicht zu einer einheitlicheren Welt geführt, sie ist im Gegenteil wieder stärker segmentiert. Neue Zentren und andere Peripherien sind entstanden, mit Megastädten und unproduktiven Wüsten, mit abgeschotteten Parallelwelten und radikalen Auf- und Umbrüchen, mit Übersprungeffekten des rein ökonomischen Denkens auf alle Lebensbereiche. Und mit postkolonialen Staaten, die vor großen sozialen, politischen und ökologischen Herausforderungen stehen.

Die globalisierte Welt ist nur noch schwer lesbar. Es genügt nicht, eine riesige Wissens- und Informationsmaschine in Gang zu halten, es muss eine nutzerfreundliche, verständliche Bedienungsanleitung geben. Hier setzt unter anderem die Arbeit des Humboldt Forums im Berliner Schloss an, das ab Herbst dieses Jahres nach und nach eröffnet werden soll.

Neue Blickachsen schaffen

Die Hierarchisierung der Kulturen ist keine Herangehensweise in der Gegenwart, erst recht nicht mit westlicher Arroganz. Das macht die Musealisierung in abgeschlossenen Sammlungen immer fragwürdiger, nicht nur bei außereuropäischer Kunst. Sammlungen müssen Fortsetzungen finden, um lebendig zu bleiben. So geht es auch beim Humboldt Forum nicht um den Transfer der ethnologischen Sammlungen an einen neuen Platz in der Hauptstadt, sondern darum, neue Blickachsen zu schaffen.

Die kolonialen und postkolonialen Fragen müssen intensiv bearbeitet werden, mit entsprechend verstärkter Provenienzforschung und neuen Überlegungen zum Eigentumsverständnis. Der „intellektuelle Kolonialismus“ soll ein Ende finden, auch sollten bei der Diskussion der historischen Dimension heutige künstlerische Ausdrucksformen einbezogen werden.

In jedem Fall sollte das Humboldt Forum kein frei schwebender Thinktank sein, schon gar kein reiner Ausstellungsort, sondern Material zu Material in Beziehung setzen, den Reichtum der Sammlungen entdecken und interpretieren. Dabei werden Experten und Kuratoren aus den verschiedenen Weltregionen aktiv einbezogen. Das Humboldt Forum ist keine Wissensgemeinschaft, sondern eine Lerngemeinschaft.

Seit 2012 haben die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Goethe-Institut und Vertreter des Humboldt Forums sich immer wieder auf die Reise gemacht, in den Pazifik, nach Australien, Neuseeland, Südamerika und Afrika. Gemeinsam suchten wir den Austausch und führten zahlreiche Gespräche, besonders mit den indigenen Gesellschaften, um deren Vorstellungen bei der Gestaltung des Humboldt Forums berücksichtigen zu können.

Aktuelle Konflikte und koloniales Geschehen sind verknüpft

Häufig moniert wurden von unseren Gesprächspartnern die hegemonialen Strukturen in Europa, die Einseitigkeit der Narrative, der Eurozentrismus. All das erfordert den Gegenblick. So wurde bei unseren Reisen schnell klar, dass es nicht die eine, alleingültige Deutungshoheit gibt. Erklärtes Ziel der Gespräche war die Dekolonisierung des Denkens, sachlich, informativ, respektvoll – und auch emotional. Es geht um mehr als um Objekte, es geht um den Verlust des Selbstwertgefühls durch die Kolonialherrschaft und dessen Folgen bis heute. Weil es eine gemeinsame Geschichte ist, kann sie auch nur gemeinsam erarbeitet werden. Es genügt nicht, einfach Objekte zurückzugeben, es geht um die Menschen. Würde man sich nur auf Objekte beschränken, wäre dies eine neue Form westlicher Arroganz. Die gemeinsame Erzählung darf nicht nur rückwärtsgewandt sein, sie schafft auch eine neue Qualität der Zusammenarbeit für die Zukunft. Wir müssen verstehen, was wir tun.

Geboten ist ein Zusammenwirken des Wissens, der Erfahrung, der Perspektiven. Neben der Provenienzforschung gilt es, die rechtlichen Voraussetzungen für Rückgaben zu schaffen und Zusammenarbeit zu erproben. Afrika baut eigene Museen auf, auch als Bildungseinrichtungen, in denen die historische Dimension sich mit der heutigen Lebenswirklichkeit verknüpft. Dies gilt es zu unterstützen. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen dem kolonialen Geschehen und den aktuellen Themen, man denke nur an die Folgen der willkürlichen Grenzziehung ohne Rücksicht auf Ethnien, die Unterdrückung der Sprachen, die Vernachlässigung der Bildungssysteme.

Endlich wird über die Zukunft afrikanischer Museen diskutiert

Wie präsentiert man seine eigene Geschichte, in eigener Verantwortung? In Südafrika, im Senegal oder in Kenia setzen sich junge Kuratoren und eine junge Bildungselite kritisch mit den vorhandenen Sammlungen in ihren Ländern auseinander. Einerseits sind die Verluste aus der Kolonialzeit schmerzlich bewusst, andererseits werden die eigenen Museen zu wenig wahrgenommen, sind oft ebenfalls ethnologisch aufgebaut, in Anlehnung an europäisches Sammlungsverhalten. Das ändert sich jetzt, im Senegal mit dem Zivilisationsmuseum in Dakar, das nach siebenjähriger Bauzeit fertiggestellt wurde, mit den Nationalmuseen in Ruanda, im Tschad oder in Daressalam.

Mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes hat das Goethe-Institut in Afrika das Projekt „Museumsgespräche“ gestartet. In Ouagadougou, Kigali, Daressalam, Accra, Johannesburg und Kinshasa wurde und wird nach jahrelanger Stagnation über die konkrete Zukunft von Museen im postkolonialen Afrika diskutiert. In Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, wo 2019 erstmals ein Nationalmuseum eröffnet wird, sollen die Ergebnisse noch in der ersten Jahreshälfte vorgestellt werden. Das Nationalmuseum in Daressalam zum Beispiel bezieht Riten und Festlichkeiten in seine Programme mit ein, veranstaltet auch Festivals oder arbeitet mit ihnen zusammen.

Gemeinsame Aufarbeitung der Täter- und Opfergeschichte

Bei der Restitution geraubter Kulturgüter ist die Frage zu klären, wie afrikanische Museen sie aufnehmen, wie die eigene Geschichte interpretiert wird. Eine eigenständige kulturelle Infrastruktur, eigene Kuratoren und eine neue Dynamik über Ländergrenzen hinweg sind Voraussetzungen für ein internationales Expertennetzwerk und für sinnvolle Kooperationsprojekte. Das Auswärtige Amt plant jetzt den Aufbau einer Agentur für internationale Museumszusammenarbeit.

Hier wie dort geht es um das koloniale Erbe, um eine gemeinsame Aufarbeitung der kolonialen Täter- und Opfergeschichte, um Dekolonisierung und die künstlerische Auseinandersetzung damit. Ein mehrmonatiges Projekt in Namibia, Tansania, Ruanda, Burundi, Kamerun, Togo und Ghana befasste sich mit der heutigen kulturellen Prägung aufgrund der deutschen Kolonialgeschichte in Afrika – bislang existierten nur lokale, isolierte Informationen. In diesem und im kommenden Jahr sollen die Ergebnisse auf einer digitalen Plattform zusammengeführt werden.

Auch dies kann Auswirkungen auf das Humboldt Forum haben. Bei der konkreten Frage der Zusammenarbeit, bei Austausch- und Residenzprogrammen, bei der digitalen Erschließung und Zugangsmöglichkeiten zu Depots. Und auch bei Restitutionsverfahren, Leihgaben, der Kennzeichnung von Objekten oder der Zusammenstellung von Kuratorentandems.

Raubkunst muss deklariert werden

Nicht zuletzt die weltweite Prominenz des Humboldt Forums hat dazu geführt, dass sich in Deutschland nach Jahren des weitgehenden Totschweigens eine klare Haltung zur Erforschung der eigenen Kolonialgeschichte herauszubilden beginnt. Die Politik setzt das komplexe Thema auf die Tagesordnung, mit Wissenschaftlern und Kuratoren, auch mit dem Goethe-Institut als Partner. Es wäre aber ein Fehler, das Humboldt Forum auf das Thema Kolonialismus zu reduzieren, dann gingen darüber hinausgehende kulturelle Beziehungen verloren. Pauschalierung ist ein schlechter Weggefährte. Davon unbenommen: Raubkunst bleibt Raubkunst und muss entsprechend deklariert werden.

Frankreich hat durch präsidiale Setzung eine zentrale politische Entscheidung für die bedingungslose Rückgabe vorgenommen, wenn auch nur für Afrika. Deutschland mit seiner föderalen Struktur muss zunächst ein Einvernehmen von Bund und Ländern herstellen. Nach meiner Auffassung sollte dann die Politik einen realistischen Rahmen für Rückgaben schaffen. Gleichzeitig sollte sie der Gesellschaft mit ihren Institutionen die Verpflichtung abfordern, sich der Verantwortung zu stellen und das Unrechtmäßige einvernehmlich mit den Ursprungsländern zu lösen. Das bedeutet Überzeugungsarbeit. Sie schafft aber eine tragfähige Akzeptanz und ein breites zivilgesellschaftliches Bewusstsein.

Es ist spät, aber nicht zu spät. Ohne ein dichtes internationales Netz wird das Humboldt Forum mit seinem Kristallisationskern in der Mitte Berlins nicht bestehen. Nicht als Wissens- und Lerngemeinschaft, auch nicht als Museum.

Klaus-Dieter Lehmann ist Präsident des Goethe-Instituts.

Klaus-Dieter Lehmann

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