Neue Ausstellung im Dresdner Residenzschloss: Das weltoffene Dresden
Pegida? Sachsens Hauptstadt ist seit jeher aufgeschlossen und wissbegierig. Das zeigt auch die neue Dauerausstellung im Schloss, "Weltsicht und Wissen um 1600".
Als „weltoffen“ sieht sich das bürgerliche Dresden. Die Worte sind als Schriftband am Halbrund der Semperoper zu lesen, hoch über dem Theaterplatz, auf dem sich montags die deutlich weniger weltoffenen Pegida-Anhänger versammeln. Die Stadt hat allerdings eine Tradition von Weltoffenheit zu verteidigen, die weit zurückreicht. Belege dafür findet man zuhauf unter den Objekten, die einst zur fürstlichen Kunstkammer gehörten und nach deren Auflösung 1832 auf die verschiedenen Museen der heutigen Staatlichen Kunstsammlungen verteilt wurden. Mit Leihgaben dieser Häuser ist jetzt das, was sich als Kunstkammer seit 1553 entwickelte, in einem neu hergerichteten Teil des Residenzschlosses unter dem Titel „Weltsicht und Wissen um 1600“ auf Dauer zu bewundern.
Der Titel ist programmatisch zu verstehen. Sachsen pflegte im 16. Jahrhundert, diesem Säkulum der territorialen wie geistigen Welteroberung, Beziehungen zu Ländern nah und fern. Neugier und Wissensdurst prägten die Sammelleidenschaft des Fürstenhauses ebenso sehr wie der Wunsch nach Repräsentation. Dem Begründer der Kunstkammer, Kurfürst August – er regierte zwischen 1553 und 1586 – kommt eine besondere Rolle zu, verstand und betätigte er sich doch nicht nur als Sammler, sondern zugleich als eine Art landesväterliches Vorbild. Zu den sieben Räumen der „Weltsicht“-Dauerausstellung bildet das Kapitel „Der Kurfürst als artifex“ den prägenden Auftakt: der kurfürstliche Herzog als oberster Handwerker seines Landes.
Ein Spieltisch aus Perlmutt: Geselligkeit bei Hofe verstand sich von selbst
Kunstkammern sind wahre Publikumsmagneten, weil sie das Künstlerische mit dem Kuriosen verbinden. Artefakte und Fundstücke stehen gleichrangig nebeneinander. Eine für unterschiedlichste Arbeiten ausgestattete Handwerker-Werkstatt wie in Dresden allerdings findet sich sonst nirgends. Der kurfürstliche Herzog ließ sich – vorzugsweise aus Nürnberg, einem damaligen Zentrum fortgeschrittener Technik – ebenso formschöne wie praktische Werkzeuge kommen, Spaten, Bohrer, sogar ein 14-teiliges Vielzweckwerkzeug, eine Art „Schweizer Messer“ von 1590. Daneben Streitäxte und Hellebarden, die die Verwandtschaft von Werkzeug und Kriegsgerät belegen.
ährend der Fürst als oberster Handwerker an der Werkbank oder im Garten symbolisch arbeitete, lieferten die Meisterwerkstätten Produkte in Vollendung. Ein weiterer Raum zeigt Kombinationswaffen, Schlag- und Stichwaffen mit raffiniert eingebauten Schusswaffen. Tatsächlich gekämpft wurde mit den reich verzierten Lanzen und Haken nicht. Sie waren die Vorzeigestücke der landesherrlichen Wehrhaftigkeit, unter deren Fittichen das Land aufblühen und seinen Wohlstand mehren sollte.
Neben dem Genuss solcher Statussymbole hatten Geselligkeit und Spiel in den doch sehr privaten Räumen ihren Platz. Dresden besitzt einen wunderbaren Spieltisch mit eingelegtem Perlmutt, der im Ankaufsjahr 1602 so teuer war wie zwei Dutzend guter Ölgemälde. Doch das Perlmutt stammt von weither, aus dem indischen Gujarat, es wurde nach Nordeuropa geliefert und dort verarbeitet – und angeboten auf der Leipziger Messe.
Erwerben ließ es Kurfürst Christian II., und schon der Vater Christian I. hatte einen steinernen „Trinktisch“ bauen lassen, der nun sehr hübsch in einem Erker steht – mit Blick hinaus auf das Johanneum, den ehemaligen Neuen Stall, wo der Tisch einst stand und manches Gelage gesehen hat, wovon in einer Vitrine riesige Glashumpen erzählen.
Bezüge von drinnen und draußen gibt es mehrfach, so beim Raum über den protestantischen Kurfürsten August. Der Hof war lutherisch, davon zeugt Luthers prachtvolle „Hauspostille“, gedruckt in Torgau 1597; doch der Blick geht hinaus auf die katholische Hofkirche, erbaut 1739–55 unter jenem Kurfürsten, der als August III. zugleich polnischer König war und aus diesem Grund katholisch wie sein Vater August der Starke. Die sächsische Geschichte ist mehrfach vom Religionskonflikt gezeichnet, verdankt sich doch der Aufstieg der seit 1539 protestantischen Albertiner der ungebrochenen Parteinahme für die katholischen Habsburger-Kaiser.
Brillen, Buchdrucke - und die Entdeckung Amerikas
Kunstkammermäßig, wie man das aus dem Kunsthistorischen Museum Wien gewohnt ist, geht es im Raum „Die Vernetzung der Welt“ zu. Da darf unter den „Naturalia“ das vermeintliche „Einhorn“ nicht fehlen, tatsächlich der Stoßzahn des Narwals, und gleichfalls aus arktischen Regionen stammt eine der größten Raritäten unter den „Artificalia“: Messer und Dechsel aus Walknochen mit Eisen und Holz von den Inuit, von einer grönländischen Expedition an den dänischen Hof gekommen und von dort 1605 als Geschenk an den Kurfürsten. Wohl zur gleichen Zeit gelangte ein elfenbeinernes Signalhorn, mit Jagdszenen verziert, nach Dresden, gefertigt von indigenen Afrikanern für portugiesische Kolonialherren. So weltumspannend, so weltoffen waren Dresdens Beziehungen bereits um 1600!
Der Rundgang durch sieben Räume mit 600 Quadratmetern und 1000 Objekten endet im „Studiolo“, das ursprünglich das „Reißzimmer“ Augusts war, wo er mit den dort ausgestellten Linealen, Zirkeln und Schreibwerkzeugen zu „reißen“, also zu zeichnen pflegte, und vom Rang der Schreibkultur bei Hofe zeugt das Nürnberger Schreibpult von 1568, das das kurfürstliche Paar benutzte. Ringsum an den Wänden ist eine Leihgabe des Kupferstichkabinetts zu sehen, die wunderbare Kupferstichfolge des in Florenz tätigen Flamen Jan van der Straat, verlegt jedoch in Antwerpen 1591. Unter dem Titel „Nova Reperta“ zeigen die 20 Blätter bis ins feinste Detail Erfindungen ihrer Epoche, darunter Buchdruck und Brille, sowie Entdeckungen wie diejenige Amerikas.
Dresden, ein Kosmos im Kleinen, der so klein gar nicht ist
So schließt sich der Kreis vom Edelhandwerker Kurfürst August zum Weltwissen seiner Epoche. Wir Heutigen stehen – mit dem berühmten, fälschlich Isaac Newton zugeschrieben Wort – auf den Schultern von Riesen. Dresden war damals ein Zentrum kultureller und ebenso technischer Innovationen, „ein Kosmos im Kleinen, der so klein gar nicht ist“, wie Hartwig Fischer formulierte, der scheidende, nach London ans British Museum wechselnde Generaldirektor der SKD. Er hinterlässt mit seiner letzten von ihm eröffneten Ausstellung die Zuversicht, dass die für diesen Bauabschnitt des Schlosses gewonnene Ko-Finanzierung durch den Bund fortgesetzt wird, nachdem sich der Freistaat Sachsen durch die zeitgleiche Sanierung der Gemäldegalerie überlastet sieht.
Die alt-neue Kunstkammer ist ein gewichtiger Baustein zum Residenzschloss, das so viele Epochen und Facetten höfisch dominierter, aber längst nicht nur höfischer Kultur vorführt. Eines ihrer hervorstechenden Merkmale ist ihre Weltoffenheit. Die wundervolle, wundersame Abteilung „Weltsicht und Wissen um 1600“ wirkt wie ein Appell, eben diese Tradition unbeirrt fortzuführen.