Dresden: "Türckische Cammer": Der bewunderte Feind
Westöstlicher Prunk: Dresdens Kunstsammlungen eröffnen ihre "Türckische Cammer" im Residenzschloss.
Als „Weltkültürerbe“ kündigen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ihre neueste Attraktion an, die nach 70 Jahren kriegsbedingter Verbannung ins Depot glanzvoll wiedererstandene „Türckische Cammer“. Das Wortspiel macht deutlich, dass es sich nicht nur um einen weiteren Stein im Monumentalbau des Dresdner Sammlungsensembles handelt, sondern zugleich um eine kulturelle Begegnung, das Gegenteil dessen, was als clash of civilisations gefürchtet wird.
Und richtig so! Es hieße, eine enorme Chance zu vertun, wollten die Dresdner ihre grandiose Sammlung osmanischer Kostbarkeiten lediglich als Marotte absolutistischer Besitzwut abtun, als die sie einst dank beinahe aller sächsischen Kurfürsten den Weg in die Residenzstadt gefunden hat. Vielmehr geht es ganz aktuell um „Kültüraustausch“, um den deutschtürkischen Faltprospekt und die breit angelegte Werbekampagne zu zitieren, die seit Monaten auf die Eröffnung am Sonnabend aufmerksam machen.
„Türckische Cammer“ ist der Oberbegriff dieser Teilsammlung der sächsischen Rüstkammer, die nach und nach wieder Einzug ins Residenzschloss hält. Seit 20 Jahren ist ein work in progress zu bestaunen: die Wiederherstellung des Schlosses, eines der glanzvollsten Zentren europäischer (Museums-)Kultur. Das finanzielle Engagement des Landes Sachsen ist mit 337 Millionen Euro, von denen bislang 248 Millionen Euro vorwiegend in die Grundsanierung des Schlosses geflossen sind, aller Anerkennung wert. Es ist eine ehrenvolle Bürde, die der Freistaat mit der Hinterlassenschaft kurfürstlich-königlich sächsischer Prachtentfaltung übernommen hat.
Der diente auch die Sammlung osmanischer Objekte, die seit dem 16. Jahrhundert zusammengetragen wurden, seit der Zeit des bedeutendsten aller Sultane, Süleyman dem Prächtigen. Durch August den Starken, sächsischer Kurfürst und als August III. König von Polen, wurde die Sammlung mehrfach erweitert, zuletzt 1728 per Ankauf in seiner zweiten Residenzstadt Warschau. Zwei Jahre später stand ein großes Zeltlager an, bei dem August seine neuformierte Armee vorführte. Von rund 1000 Zelten waren 300 osmanischer Herkunft, darunter als Prunkstück das Sultans- oder Wesirzelt, das womöglich beim Rückzug der Osmanen von der Belagerung Wiens 1683 zurückgeblieben war.
Dieses wunderbare Zelt hat nichts Kriegerisches, sondern ist mit grünen und goldenen Blumenmotiven auf rotem Baumwollfond reich geschmückt, ein Verweis auf die Paradiesverheißung des Koran. Es diente wohl als mobiler Speisesaal. Das sächsische Zeltlager von 1730, errichtet 40 Kilometer nördlich von Dresden, ist in einem großen zeitgenössischen Gemälde verewigt, das die Dresdner Galerie Alte Meister auf Dauer ins Schloss herleiht. Den Kurfürsten Johann Georg III. sieht man in einem weiteren Gemälde mit seinen sächsischen Truppen an der Seite des Türkensiegers Jan III. Sobieski bei der Schlacht am Kahlenberg, mit der die Belagerung Wiens beendet werden konnte.
Es ist dieses Verwobensein von osmanischer und abendländischer Geschichte, die die Dresdner Sammlung so einzigartig macht. Sie gibt keinen wissenschaftlich fundierten Überblick über die Kultur am Sultanshof, sondern folgt den wechselhaften Beziehungen zwischen Orient und Okzident, zwischen Krieg und Diplomatie. Diese Geschichte einer „Faszination des Schreckens“, wie Rüstkammer-Chef Dirk Syndram sie nennt, muss der heutige Besucher mitbedenken. Der prachtvolle Begleitband von Oberkonservator Holger Schuckelt, der seit zwei Jahrzehnten an der Wiedererstehung der Türkensammlung arbeitet, ist dazu eine Hilfe – und eine Einladung zu vertiefter Beschäftigung.
Neue Besucherkreise wollen sich die Dresdner Museen erschließen. Eine enorme zielgruppenspezifische Werbung hat eingesetzt, um Besucher mit – neudeutsch – Migrationshintergrund aus Berlin, dem Ruhrgebiet oder Rhein-Neckar nach Elbflorenz zu locken. Mit Güven Günaltay hat ein Kenner die türkischsprachige PR-Arbeit vorangetrieben und als Coup 4,5 Millionen Döner-Tüten anfertigen lassen – bedruckt mit Ausstellungswerbung. Und dass zur Eröffnung der Sammlungsräume die Außenminister beider Staaten ihr Kommen zugesagt haben, fügt sich vorzüglich in das historische Bild wechselseitiger Wertschätzung.
Beutestücke, versichern die Museumsleute unisono, seien nur in geringer Anzahl vorhanden. Die gewaltige, blutrote Fahne eines Janitscharenkorps gehört dazu, 1683 vor Wien erbeutet und als Geschenk des siegreichen polnischen Königs nach Dresden gekommen. In der Beute-Frage ist man in Dresden hellhörig, denkt gleich an Russland oder die Forderungen des Hauses Wettin. Doch die sächsischen Regenten haben entweder diplomatische Geschenke entgegengenommen oder auf dem Kunstmarkt ordentlich bezahlt. So auch für das Glanzstück des Sultanszelts, das nun auf 20 Meter Länge den Hauptraum der neugeschaffenen, bereits seit 1674 mit diesem Begriff belegten „Türckischen Cammer“ ausfüllt. Seitlich zweigt eine veritable Waffenkammer ab, mit Schwertern, Äxten, Helmen, Trommeln und Kettenhemden. Vor allem aber mit Pfeil und Bogen, deren älteste Exemplare vor 1600 datieren – und noch in Originalbespannung erhalten sind, ein weltweites Rarissimum.
Einmalig sind auch die fünf lebensgroßen, aus Holz geschnitzten Pferde gleich im Eingang, die türkische Prunksättel tragen. Ein weiteres Pferdemodell beschließt die Sammlung mit einer kostbaren Schabracke, die 1610 im Prag des habsburgischen Kaisers Rudolf II. in Auftrag gegeben wurde und neben osmanischen Motiven eine Inschrift in lateinischen Buchstaben trägt, in der sich „Christian, Hertzog zu Sachsen und Churfürst“ feiern lässt. Osmanische Handwerkskunst als selbstverständlich übernommene Anregung.
Die Pferde sind neu, ihre historischen Vorgänger verbrannten im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs. Das ist Inszenierung, gewiss, und doch trägt die reale Größe eines Pferdes dazu bei, die damalige Kriegsführung überhaupt zu begreifen, ebenso wie die Zurschaustellung von Macht und Reichtum.
Die „Türckische Cammer“ ist gestaltet als „orientalische Nacht“. Peter Kulka, gebürtiger Dresdner, hat als Schlossarchitekt bereits mit der Überdachung des Kleinen Schlosshofs eine höchst sensible Modernisierung vorgenommen. Er hat nun der „Cammer“ ein suggestives Aussehen beschert, mit tiefblauen Wänden, schwarzem Schieferboden und sparsamen Spotlights auf die Objekte. Wo denn bei so viel Glanz und Gloria der damalige Alltag bliebe, wurde bei der Vorbesichtigung gefragt. Ja, den Alltag gibt es hier nicht. Aber die „Türckische Cammer“ ist kein ethnografisches Museum, sondern eine Prunksammlung zu herrscherlichem Gebrauch. Bevor das Sultanszelt in unseren Tagen einer 14 Jahre dauernden, millionenteuren Restaurierung unterzogen wurde, stand es ganz selbstverständlich im Freien und wurde benutzt – dem Kurfürst-König zum Plaisir.
Dresden, Residenzschloss, ab 7. März, Mi-Mo 10-18 Uhr. Umfangreiches Veranstaltungsprogramm (auch in türkischer Sprache) unter www.skd.museum. – Katalog im Sandstein Verlag, Dresden, 39,90 €.
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