Kunstkammer: Sachsens Glanz und Gloria
„Zukunft seit 1560“: Dresden feiert das 450. Jubiläum seiner Kunstkammer als Kernzelle der Museen.
Besäßen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine der Museumsfotografien Thomas Struths, die weltbekannte Kunstwerke in der Betrachtung durch alltägliche Besucher zeigen und damit zum Nachdenken über das Verhältnis von Museum und Publikum anregen, dann hätte diese Aufnahme den Parcours der Jubiläumsausstellung beschließen müssen. Denn diese üppige, wundersame Ausstellung aus Anlass des 450-jährigen Bestehens der Kunstkammer als der Keimzelle der Dresdner Museen will mehr sein als eine Bestandsauswahl, sie will unter dem programmatischen Titel „Zukunft seit 1560“ bewirken, über ebendiese Zukunft immer wieder nachzudenken. Die Zukunft – das ist die Frage nach dem künftigen Verhältnis von Kunstwerken und jenem Massenpublikum, das Dresden die trügerische Sicherheit gibt, immer so weitermachen zu können wie bisher, als immerwährendes Elb-Florenz.
Wie auch immer, das Jubiläum kommt zu einem Zeitpunkt, da in der Tat über die Zukunft der Dresdner Museen nachzudenken ist. Denn die Wiederaufbauphase nach der fast vollständigen Zerstörung der Gebäude am Ende des Zweiten Weltkriegs neigt sich ihrem Ende entgegen. Die Ausstellung in den Paraderäumen des Residenzschlosses ist die letzte vor der Wiederherstellung dieser einzigen noch immer kriegsversehrten Raumflucht.
Die auf sieben Monate angelegte Ausstellung, so will sie Kuratorin Karin Kolb verstanden wissen, „visualisiert den Zukunftsgedanken als treibende Kraft der Entwicklung“, und Museumsgeneraldirektor Martin Roth präzisiert, mit der Einrichtung der Kunstkammer habe „das systematische, von Erkenntnisgewinn und Repräsentationsinteressen bestimmte Sammeln begonnen“. Das sind nun aber doch zwei unterschiedliche Motive. Die Dresdner Sammlungen folgen nicht der wissenschaftlichen Systematik, wie sie später für die Preußischen Museen wegweisend war. Gerade das macht ihren Charme aus. Dresden ist die Sammlung eines von höfischem Glanz berauschten, zum Glück eher kunst- als kriegsgeneigten Herrscherhauses, das Preziosen begehrte und nicht Ländereien.
Insofern ist die Ausstellung einseitig. Sie zeigt die Einheit von Kunst und Wissenschaft an Objekten, die die Jahrhunderte in staunenswerter Vollständigkeit überstanden haben. Sie zeigt jedoch nicht, dass die von ihrer Sammelwut bis zum Staatsbankrott getriebenen Herrscher August der Starke und sein Sohn August III., die polnischen Könige aus dem Hause der Wettiner, auch anderes sammelten, sofern es nur kostbar und selten war – Juwelen, Waffen und allerliebsten Schnickschnack, wie sie in Rüstkammer und Grünem Gewölbe bewahrt werden.
Die barocke Kunstkammer ist in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Gegenstand der Forschung und Modell der Ausstellungsgestaltung geworden. Ein Glück, dass Karin Kolb und das Stuttgarter Architekturbüro HG Merz als Gestalter sich davon ferngehalten haben. So überwältigend die Ausstellung beim ersten Durchwandern auch wirkt, so stringent zeigt sie sich bei vertiefter Betrachtung. Ausdrücklich will sie nicht der Chronologie der sächsischen Kurfürsten folgen, sondern fünf thematischen Kapiteln. Am Beginn steht eine Drahtziehbank, die Kurfürst August 1565 in Nürnberg fertigen ließ und auf der er selbst Silberdraht gezogen haben soll. Staunenswerter noch ist die Planetenuhr, die er zur selben Zeit in Kassel in Auftrag gab. Dieser August war ein Renaissancemensch durch und durch, ein Handelnder, nicht bloß ein Genießer, der sein Territorium selbst vermessen und Karten gezeichnet hat. Die Quelle des sächsischen Reichtums, den Silberbergbau im Erzgebirge, organisierte er mit straffer Hand.
Welcher Rang dem Kurfürsten zukam, unterstreichen die vier Jahreszeitengemälde Giuseppe Arcimboldos, die Kaiser Maximilian dem Kurfürsten 1573 in Wien verehrte. Sie kommen als Leihgabe aus dem Louvre – wohl Mitte des 19. Jahrhunderts verkauft. „Wir weinen heute bittere Tränen über die Dinge, die weggegangen sind“, bedauert Kuratorin Kolb. Das sächsische Herrscherhaus befand sich, gelinde gesagt, nicht immer auf der Höhe seiner Schätze.
Mit den beiden Augusts erreicht der Dresdner Sammlungsbetrieb seine Glanzzeit. Litt August der Starke unter der Sucht nach dem „weißen Gold“ – wovon die neugestaltete Porzellansammlung im Zwinger allerdings weit besser zeugt als die chinesische „Dragonervase“ in der Jubiläumsausstellung –, so gelang es August III., Dresden mit dem Ankauf von 100 Meisterwerken aus der Sammlung des finanzknapp gewordenen Herzogs d’Este 1745 an die Spitze europäischer Gemäldesammlungen zu führen. Bereits während der geheimen Ankaufsverhandlungen wurde das Stallgebäude zur Bildergalerie umgebaut und 1648 geöffnet – gegen Entgelt auch für interessierte Kunstfreunde, wovon das Besucherbuch zeugt.
August der Starke ließ die Sammlungen neu ordnen, „zur besseren Aufnahme der Wissenschaften und Künste, und dem Publico zum Besten“. Dafür wurde der Zwinger hergerichtet, bis heute ein wichtiger Teil des Museumsgefüges. Der Siebenjährige Krieg beendete die Glanzzeit Sachsens. Das 19. Jahrhundert dann wurde vollends restaurativ. Die Naturwissenschaften fanden im Sammlungsbestand keinen Platz mehr. Nochmals hundert Jahre später wurde die bildende Kunst zum Spielball der Politik. Dresdens verdienstvoller Museumsdirektor der Weimarer Zeit, Hans Posse, wandelt sich zum Exekutor der Nazi-Politik – und baut bis zu seinem Tod 1942 die Sammlung für Hitlers geplantes Museum in Linz auf. Noch immer gibt es einen ungeklärten Restbestand davon in Dresden, kein Spitzenkonvolut, aber eine drückende Altlast, auch in der Ausstellung gezeigt, die zur Gegenwart hin ihre Eindrücklichkeit verliert. Schade – und kein guter Anstoß, die Zukunft zu begrüßen.
Ein Glück, dass es sie überhaupt gibt. Was wäre aus Dresden geworden, wenn die Sowjetunion die 1945 konfiszierten Sammlungen nicht zurückgegeben hätte? „In diesem Fall“, so konstatierte Louis Aragon 1956 im Gespräch mit Jean Cocteau – abgedruckt im Katalag –, „hat der Sieger das Fortbestehen der Dresdener Galerie gesichert“. Das ist in Elb-Florenz nicht vergessen. Die Zukunft der Staatlichen Kunstsammlungen hing mehr als einmal am seidenen Faden.
Dresden, Residenzschloss, bis 7. November. 3-bändiger Katalog im Deutschen Kunstverlag, 48 €, im Buchhandel 58 €. Beiprogramm unter www.skd.museum