Regisseurin Ruth Beckermann zur Waldheim-Affäre: "Das war die Wende für Österreich"
Die Waldheim-Affäre entlarvte 1986 die NS-Verstrickungen Österreichs. Eine Doku von Ruth Beckermann rollt den Fall neu auf. Auf der Berlinale feiert sie Premiere.
Auf dem Forum der Berlinale feiert Ruth Beckermanns Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ Premiere. Die österreichische Regisseurin, 1952 in Wien geboren, hat sich mit Dokumentarfilmen wie „Jenseits des Krieges“ und „Die Geträumten“ einen Namen gemacht und war schon häufig Gast bei den Filmfestspielen. In „Waldheims Walzer“ rollt sie mit eigenen Filmaufnahmen und Fernseharchivbildern die Affäre um die NS-Vergangenheit des ehemaligen UN-Generalsekretärs und Bundespräsidentschafts-Kandidaten Kurt Waldheim noch einmal auf. Ein politischer Skandal aus dem Jahr 1986, der die Alpenrepublik veränderte – und in Zeiten des neuen Rechtspopulismus längst nicht Geschichte ist.
Frau Beckermann, Sie haben vor einigen Jahren eine VHS-Kopie Ihrer eigenen Aufnahmen von den Protesten während der Waldheim-Affäre von 1986 wiedergefunden und zusammen mit TV-Archivmaterial den Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ daraus montiert. Wie war es für Sie, das alte Material wiederzusehen?
Einiges davon hatte mit dem Abstand von 30 Jahren eine schockierendere Wirkung als damals. Vor allem der offen auf der Straße zu Tage tretende Antisemitismus. 1986 war ich unmittelbar dabei, das Gefilmte war Teil der analogen Wirklichkeit. Heute findet so etwas mehr in den sozialen Netzwerken statt. Mein Cutter war in den 80er Jahren im Schulalter, mein Sohn ist noch jünger, beide waren ebenfalls schockiert. Sie dachten sofort an Trump, an den Populismus von heute. Waldheim nutzte den Antisemitismus, um die Wahl zum Bundespräsidenten zu gewinnen, heute wird mit Rassismus, Ausländerhetze und ebenfalls mit Antisemitismus Wahlkampf gemacht und die Gesellschaft gespalten. In Österreich hat das letztes Jahr jedenfalls eine große Rolle gespielt.
Wie präsent ist die Waldheim-Affäre mit dem Bekanntwerden der NS-Vergangenheit von Kurt Waldheim denn heute in Österreich?
Sie war der entscheidende Wendepunkt in der österreichischen Nachkriegsgeschichte, das ist bis heute präsent. Sie markierte das Ende der Lüge, dass Österreich Hitlers erstes Opfer gewesen sei, und den Beginn einer Zivilgesellschaft, einer offeneren Auseinandersetzung und Enttabuisierung der NS-Verstrickungen Österreichs. Es hat dann zwar noch fünf Jahre gedauert, bis der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky 1991 die Mitschuld Österreichs auch im Parlament eingestand. Aber immerhin. Es klingt paradox: Dank Waldheim hat sich etwas geändert. Anders als damals sorgen die neuen Rechtspopulisten heute durchaus für Proteste, auch von Richtern oder Universitätsprofessoren.
Gibt es eigentlich einen speziell österreichischen Antisemitismus?
Adolf Eichmann hat seine Ideen bekanntlich in Wien erprobt, Wien war die Weltstadt des Antisemitismus. Schwer zu sagen, wie es heute ist, in jedem Fall hat es sich verschoben, zum Rassismus, zur Ausländerfeindlichkeit.
Was war beim Wiedersehen Ihres Materials und der TV-Dokumente denn anders als in Ihrer Erinnerung?
Mir war nicht klar, wie wenig im Fernsehen über die Waldheim-Gegner berichtet wurde. Ich habe beim ORF alles Archivmaterial aus der Zeit gesichtet: Elfriede Jelinek, Peter Turrini, die wichtigen Protagonistinnen und Protagonisten des Protests kamen nicht vor. Es gab einen patriotischen Schulterschluss. Der ORF, damals noch Monopolfernsehen, schützte Waldheim und übernahm die Version, die Kritik komme aus dem „bösen“ Ausland, vom „bösen“ Jüdischen Weltkongress in New York. Es hat lange gedauert, bis sich diese Auffassung in Österreich geändert hat. Wobei das staatliche Fernsehen sich jetzt gerade wieder umfärbt und seit der letzten Wahl dazu neigt, regierungskritische Töne auszusparen. Es gibt Ausnahmen wie den kritischen, zum Glück sehr beliebten „ZiB2“-Moderator Armin Wolf, die man sich als Alibi-Figuren leistet.
Sie haben zahllose Bilddokumente in Archiven gesichtet, auch bei der BBC. Sie sagen: Befragt man das Material lange genug, dann beginnt es langsam zu antworten.
Mir war von Anfang an klar, dass ich keine Erinnerungsinterviews drehen wollte. Ich fand es viel spannender, das Geschehen aus der Zeit heraus aufzurollen, ausschließlich Bilder von damals zu verwenden und es dem Zuschauer zu überlassen, Rückschlüsse für heute daraus zu ziehen. Es war ein schwieriger Prozess, denn ich habe noch nie einen Film ausschließlich aus Archivmaterial erarbeitet. Wenn man selber dreht, dauert es lange, bis man Distanz zu den eigenen Bildern bekommt und es schafft, sich in der Überfülle des Materials auch von Aufnahmen zu trennen. Hier war es umgekehrt. Ich musste mit kurzen Stücken arbeiten, mit meist aus dem Zusammenhang gerissenen TV-Schnipseln und mir das kalte, meist anonyme Material erst aneignen. Aber wenn man es einmal durchgearbeitet hat, dann spricht aus den Bildern das, was ich gerne das optisch Unbewusste nenne. Scheinbar nebensächliche Dinge, über die damals keiner nachdachte, wie Kleidung, Mimik, die beredten Hände von Waldheim oder der Augenaufschlag, an dem man sieht, wenn jemand nicht die Wahrheit sagt.
Sie waren damals mit einer der ersten tragbaren Videokameras bei den Protesten unterwegs. Heute sind bei Demonstrationen überall die Smartphones dabei. Verändert das demokratische Willensbildung, die öffentliche Meinung?
Ich habe auch letztes Jahr in Österreich demonstriert, und viele filmten und fotografierten mit ihren Mobiltelefonen. Meist wird kaum mehr daraus als ein Selfie oder Youtube-Clip: Schaut her, ich war dabei! Trotzdem halte ich es weiter mit dem Fotografen Henri Cartier-Bresson: Es kommt nicht auf die Kamera an, sondern darauf, wer sie hält. Wenn der, der filmt, etwas im Kopf hat, ein Ziel, einen Fokus, dann ist das Medium egal.
Würden Sie sagen: Der Mensch lernt nicht aus der Geschichte?
Die Menschen schreiben die Geschichte immer um und neu, je nachdem, wie sie sie brauchen. Es ist Zufall, dass der Film jetzt fertig geworden ist. Als ich anfing mit dem Projekt, war von Donald Trump noch nicht die Rede, auch nicht von einer österreichischen Regierungsbeteiligung der FPÖ. Jetzt ist er hochaktuell. Aus der Waldheim-Affäre lernen wir aber auch, dass die Gegenöffentlichkeit zwar seine Wahl nicht verhinderte, aber doch einen Bewusstseinswandel in Österreich bewirkt hat. Heute findet Gegenöffentlichkeit viel über die sozialen Netzwerke statt, ebenso wie populistische Strömungen. Was wir aber in jedem Fall mehr brauchen, sind reale Orte der Debatte, des lebendigen Austauschs über Politik, Filme, unsere Gesellschaft. In „Waldheims Walzer“ spreche ich den Text selbst, ich liefere keine objektive Wahrheit. Ich habe das Material analysiert, zeige meine Perspektive darauf, und jeder Zuschauer kann seine eigenen Schlüsse ziehen. Das Mitdenken, Selberdenken, auch das ist Dokumentarfilm.
Wie geht es denn dem Dokumentarfilm in Österreich? In Deutschland hat er es wegen des Rückzugs der TV-Sender nicht leicht.
Wir haben zum Glück eine gute, vom Fernsehen weitgehend unabhängige Filmförderung, auch für den Dokumentarfilm. Das Film-Fernseh-Abkommen verpflichtet den ORF, eine bestimmte Summe zum Fördertopf beizusteuern – ohne dass Redakteure das Recht haben, sich im Schneideraum einzumischen. Das gibt uns Freiheit, wir müssen uns nicht unbedingt um internationale Koproduzenten bemühen. Wobei der ORF die Filme in der Regel dann erst um Mitternacht ausstrahlt.
Das Gespräch führte Christiane Peitz.