Erwartungen an Kirill Petrenko: Das sagen Berliner Philharmoniker über ihren neuen Chef
Die Geigerin Anna Mehlin, der Schlagzeuger Raphael Haeger und der Solo-Oboist Albrecht Mayer erzählen von ihren ersten Erlebnissen mit Kirill Petrenko.
Anna Mehlin, geboren 1994 in Düsseldorf, kam 2015 als Stipendiatin zur Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker. Seit Januar 2017 spielt sie in der Gruppe der 2. Violinen.
Wir freuen uns riesig, wieder einen künstlerischen Leiter zu haben. Vor allem so einen wie ihn. Darum können wir es kaum abwarten, uns endlich mit Kirill Petrenko in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Seit seiner Wahl im Juni 2015 ist ja wirklich viel Zeit vergangen. Jetzt aber gehört er endlich wirklich zu uns!
Es gibt ja Dirigenten, die proben und proben, aber es kommt letztlich doch nicht an, was sie wollen. Bei Petrenko hat alles Hand und Fuß. Er kann gut erklären, aber er kann vor allem auch gut zeigen. Seine Proben sind definitiv sehr intensiv, ich bin danach wirklich geschafft, weil er bis zur letzten Sekunde dranbleibt, allen Beteiligten absolute Genauigkeit abverlangt. Er arbeitet so an den Details, dass alles aufeinander aufbaut. Wenn er dann im Konzert loslässt, entsteht die große Linie. Deswegen sind die Konzerte auch so toll. Dann passieren Sachen, bei denen man in den Proben vielleicht mal gedacht hat: Jetzt lass uns doch mal spielen! Aber bei ihm hat alles ein Konzept. Hinterher erklärt es sich, warum er in den Proben so hart gearbeitet hat.
Im Spätsommer 2018 haben wir ja bereits die alljährliche Tournee zu den großen Festivals mit ihm machen können. Schon da war eine große Vorfreude zu spüren auf die Saison 2019/20. Das hat uns auch gut über das Jahr ohne Chefdirigent gebracht.
Petrenkos Vertrauen muss noch wachsen
Kirill Petrenko hat uns gegenüber immer betont, dass er im Bereich des Sinfonischen nicht das größte Repertoire hat, weil er sich bislang vor allem auf die Oper konzentriert hat. Darum habe er Respekt vor der neuen Aufgabe. Wir hoffen aber, dass er sich irgendwann so wohlfühlt, dass es für ihn nicht mit großer Anspannung verbunden ist, Werke erstmals mit uns auszuprobieren. Wenn jemand nicht schon 20 Mal eine Beethoven-Sinfonie gemacht hat, bringt das eine Frische mit sich, etwas Aufregendes. Da liegt ein Zauber drin. Das ist für uns spannend, für ihn und auch fürs Publikum.
Sicher muss Petrenkos Vertrauen ins Orchester noch wachsen. Das ist eine Frage des Kennenlernens. Aber beide Seiten geben sich die größte Mühe. Das ist der Geist, den ich spüre. Wir wollen zusammen vorankommen, wir sind offen wie eine Blackbox, er gibt Input rein – und dann wissen wir irgendwann, wie er das Orchester geprägt hat. Das Bild, dass man Hand in Hand ein möglichst langes Wegstück zusammen geht, gefällt mir gut für die Ära Petrenko, wie ich sie mir erhoffe. Ein ganzes Berufsleben mit demselben Chefdirigenten kann ich mir persönlich aber nicht vorstellen. Ich glaube, Veränderungen bringen immer etwas Positives mit sich. In den meisten Ehen kommt ja irgendwann der Punkt, wo die schwierigen Seiten mehr thematisiert werden als am Anfang. Wenn wir 15 Jahre zusammen erleben, können wir sehr zufrieden sein.
Raphael Haeger, geboren 1971 in Spaichingen, wurde schon während seines Studiums vom Nationaltheater Mannheim engagiert, wo er elf Jahre arbeitete. 2004 kam er zur Schlagzeug-Gruppe der Berliner Philharmoniker.
Ich bin ja selber auch als freischaffender Dirigent tätig, aber ich bin bisher nicht dahintergekommen, wie Kirill Petrenko sein Klangergebnis erreicht. Ich könnte nicht aufschreiben, was er besser macht als andere. Aber man hört es! Egal ob ich im Orchester spiele oder als Zuhörer im Saal sitze, immer erlebe ich dieses sehr transparente Klangbild. Ich höre genau, was im Detail stattfindet, gleichzeitig aber ist dieser Klang auch energetisch, eruptiv oder auch explosiv, wenn es sein muss. Bei anderen Dirigenten schließt sich das oft gegenseitig aus. Normalerweise muss man die Klangwellen reduzieren, damit wir präziser spielen, weil wir uns dann gegenseitig besser hören können. Aber dass Petrenko beides hinbekommt, das ist fantastisch. Denn er hat ja keine einzige Probe mehr als andere Dirigenten.
Das Orchester hat sich in ihn verliebt
Der Schlüssel liegt, glaube ich, in dem, was er hören will. Dass er dieses transparente Klangbild hören will, überträgt sich auf seine Bewegungen. Und die sind äußerst präzise. Wir fangen mit ihm in der ersten Probe bereits auf einem Niveau an, wo wir mit manch anderen guten Dirigenten erst bei der Generalprobe landen.
Bei ihm sind die Unterschiede zwischen den drei Abenden, an denen wir ein Programm spielen, ganz stark. Ich habe ihn noch nicht gefragt, aber ich wette, dass er sich nach jedem Konzert die Aufnahme des Abends anhört. Und sich dabei Notizen macht, was er – darauf aufbauend – beim nächsten Konzert anders machen will. Ganz besonders war das auf unserer Tournee im vergangenen Spätsommer zu spüren: Spätestens da hat sich das Orchester in ihn verliebt.
Viele Dirigenten heben bei Korrekturproben auf die Dinge ab, die zuvor schief- gegangen sind. Das wissen die Musiker aber ohnehin. Petrenko geht nicht auf solche rein technischen Fragen ein, sondern er beleuchtet Dinge, für die vorher noch keine Zeit war. Dass er nicht lockerlässt, nötigt dem Orchester Respekt ab.
Die Zeit vor seiner Wahl war nicht angenehm. Weil das Thema Chefdirigent allen so wichtig ist, sind die Überzeugungen hart aufeinandergeprallt. Und so mancher hat mit missionarischen Attacken versucht, die Kollegen für seinen Wunschkandidaten zu gewinnen. Deshalb war es eine Erlösung, als die Würfel endlich gefallen waren. Auch für jene, die nicht für Petrenko gestimmt hatten.
Fokus auf die Musik, nicht auf andere Bereiche
Diese schöne, harmonische, positive Stimmung, die jetzt herrscht, wird nicht für alle Zeit so bleiben, so blauäugig bin ich nicht. Die Ausgangslage aber ist ideal. Es lässt sich nicht vermeiden in so einem großen Orchester, dass es auch eine Opposition gibt – und die Unzufriedenen melden sich dann laut zu Wort, während jene, für die alles okay ist, keine Plakate aufhängen, auf denen steht, wie toll sie ihren Chef finden.
Andererseits wird er nicht so omnipräsent sein wie Simon Rattle. Er möchte sich wirklich nur auf die Musik fokussieren, möglichst wenig Verantwortung für andere Bereiche übernehmen. Ich finde es sehr gut, dass er sich davon frei macht. Dadurch hat er den Kopf frei. Zwischen den Proben macht er gar nichts, da ist Rattle immer von einer Sitzung zur anderen geflitzt. Petrenko dagegen ist dann völlig ungreifbar. Es tut allen gut, wenn Kirill Petrenko nur so viel mit uns macht, dass wir uns immer wünschen, er möge noch öfter da sein.
Albrecht Mayer, geboren 1965 in Bamberg, war Solo-Oboist der Bamberger Symphoniker, bevor er 1992 dieselbe Position bei den Berliner Philharmonikern übernahm. Er ist auch als Solist weltweit gefragt.
Kirill Petrenko kenne ich schon ewig, seit seiner ersten Chefposition am Theater Meiningen. Um die Jahrtausendwende habe ich dort als Solist zwei verschiedene Programme mit ihm gemacht. Und sofort gemerkt, was für ein akribischer Arbeiter er ist. Mit was für einem Enthusiasmus er dabei ist! Dieses Feuer in den Augen! Gepaart mit einer extremen Bescheidenheit. Ich habe tatsächlich noch keine einzige schlechte Kritik über ihn gelesen. Wenn ich ihn nicht kennen würde, müsste ich da stutzig werden. Das kann doch gar nicht sein!
Dass Petrenko immer bis zur letzten Sekunde in der Probenarbeit dranbleibt, ist für mich etwas Wunderschönes. Was wir mit ihm machen durften, war großartig. Bei den Philharmonikern gibt es genügend Kräfte, die geradezu danach schreien, gefordert zu werden. Je besser ein Ensemble ist, desto mehr muss es gefordert werden. Das ist etwas sehr Gesundes. Für das Selbstverständnis des Orchesters ist es gut, wenn wir gemeinsam intensiv arbeiten.
Besteht die Gefahr, dass er irgendwann anfängt zu nerven durch seine spektakuläre Detailverliebtheit? Ja, natürlich. In München hat er nicht umsonst den liebevoll gemeinten Spitznamen „Pentrenko“. Aber es gibt Dirigenten, die nerven ohne Motivation, ohne ihren Enthusiasmus auf das Ensemble übertragen zu können. Dann wird es bitter und schwierig. Petrenko aber glüht für die Sache und hat eine sehr freundliche, liebenswürdige Art. Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass ich keine kritische Stimme im Orchester kenne. Wir freuen uns extrem auf die neue Zeit.
Es müssen nicht 18 oder 20 Programme sein
Oft hat man im Klassikbusiness das Gefühl, dass derjenige, der am lautesten schreit, am meisten belohnt wird. Petrenko ist ganz anders. Die Ernsthaftigkeit im Umgang mit der Musik bedeutet noch etwas bei ihm. Twittern oder Whatsappen ist ihm sicher nicht fremd, denn er ist ja noch ein relativ junger Mann – aber es bedeutet ihm nicht wirklich etwas.
Petrenko sagt ja von sich, dass er ein Opernmensch sei, ebenso wie übrigens sein Dirigentenkollege Christian Thielemann. Er will mit seinem Charisma, seiner Autorität und seinen dirigentischen Mitteln verschiedene Stränge zusammenführen in der Musik. Auf seine Werk-Debüts mit den Philharmonikern bin ich sehr gespannt. Denn auch mit diesen Werken wird er sich zuvor schon lange beschäftigt haben. Und noch etwas teilt er mit Thielemann: Beide gastieren nicht viel. Weil sie es nicht brauchen. Toll, wenn jemand nicht so getrieben ist, sich ständig selber beweisen zu müssen, dass er unverzichtbar ist.
Von Simon Rattle hatten wir uns bei seinem Amtsantritt gewünscht, dass er sehr präsent sein sollte. Letztlich war er es dann zu sehr. Bei Petrenko wird es dieses Problem nicht geben. Vielleicht reichen für einen Chefdirigenten ja zehn oder 12 Programme pro Saison aus, es müssen nicht zwingend 18 oder 20 sein. Bei Karajan gab es Jahre, wo es nur sechs Programme gab.