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Mut zum Sentiment. Der 1984 geborene Isländer Vikingur Olafsson.
© Christoph Köstlin, Ari Magg

Víkingur Ólafsson im Kammermusiksaal: Das rare Erlebnis unverstellter Klavierkunst

Satte Farben, gute Schwerkraft: Publikumsliebling und Pianist Víkingur Ólafsson überzeugt im Kammermusiksaal mit seinen Bach-Interpretationen - und scheitert an Beethoven.

Ah, das Publikum wird die Rezensentin hassen. Hat es doch im ausverkauften Kammermusiksaal den Pianisten Víkingur Ólafsson bejubelt und beschreit, ihn sogar bedrängt, als seine Ansprache vor der Zugabe zu lange dauern will. Und gibt dieser Abend nicht das rare Bild einer unverstellten Klavierkunst, die in aller Ruhe an dem vorbeispielt, was man sonst so kennt vom Markt? Sicher. Ólafsson, mit gepflegt geschorenem Haar und im Understatement eines schwarzen Anzuges im 60er-Jahre-Stil, spielt nicht so konfektioniert wie Martin Stadtfeld, nicht so wässrig wie Alexandre Tharaud, nicht so virtuos wie Daniil Trifonov, nicht so bezwingend wie Igor Levit. Und auch nicht so skurril wie seinerzeit Glenn Gould.

Stattdessen scheint der Isländer jenen Faden der Bach-Interpretation wieder aufzunehmen, der die Gegenwart über die Liszt-Tradition erreichte: satte Farben, gute Schwerkraft, Mut zum Sentiment. Und weil er alles das mit einer ausgezeichneten Pedalkunst verbindet, weil er überdies mit der Aria variata alla maniera italiana, der Invention h-moll oder einer Bach-Bearbeitung von Alexander Siloti Werke ausgesucht hat, die noch nicht gänzlich abgehört sind, weil er wunderbar abschattierte Akkorde zu spielen vermag und sein Spiel ebenso klar (und nur eine winzige Spur tapsig) ist wie sein gesamtes Auftreten, so liebt ihn das Publikum sehr.

Allerdings fügt Ólafsson der herrlichen ersten Konzerthälfte zwei Beethoven-Sonaten zu, und zwar mit der dramaturgischen Bekurvung, dass es die erste und letzte dieser Kompositionen sein müssen. Da fällt der Abend auseinander. In die Sonate f-moll stürzt Ólafsson mit einer Hast, die sich immer wieder mit geradezu klangtoten Tönen und Akkorden rächt, wie überhaupt das Schnellspielen kurioserweise nicht seine Sache ist. Das scharfe Schneiden von Akkorden, das Wegschaffen von Klanggeröll liegt ihm aber auch nicht, dem ersten Satz der Sonate c-moll hilft er lieber seinen speziell eingefärbten Bach-Ton über. Das mag für Augenblicke funktionieren, in der Arietta mit ihren Variationen hält die Sache sogar etwas länger. Aber insgesamt geht das Stück unter seinen Händen verloren; während er ihm noch weiche Töne und schöne Akkorde nachwirft, verzieht es sich unversehens ins Nirgendwo.

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