18. Internationaler Comic-Salon Erlangen: Das letzte Röhren
Natürlich blieb alles anders beim 18. Erlanger Comic-Salon – wie auch sonst?
Es wäre vermessen zu behaupten, dass im Rahmen der Nachberichterstattung jeder Aspekt einer Großveranstaltung minutiös erfasst werden könnte – zumal das Rechtschreibkorrekturprogramm gerade „Nachtberichterstattung“ als Alternative vorschlägt, die für sich genommen den Einsatz mehrerer Kilogramm Amphetamine erforderlich machen würde.
Kein Wunder bei einer Veranstaltung, die auf Grund eines umbaubedingten Umzugs eine logistische Herkulina-Aufgabe zu bewältigen hatte und trotz dieses Schwierigkeitsgrades nach Auskunft des Pressebüros der Stadt Erlangen eine Steigerung der Besucherzahlen von 25.000 auf 30.000 erreichte.
Das mag der idyllischen Lage im Stadtkern unter Einbindung des Schlossgartens und dem Bilderbuchwetter geschuldet sein, aber eventuell ebenso der Tatsache, dass der Comic-Salon die einzige hiesige Comicgroßveranstaltung ist, die den Anspruch erhebt, alle im Comic vertretenen Richtungen zusammenzubringen und überdies kritische Fragen zu stellen. Insofern ist er, Umbau hin oder her, eine fortwährende Dauerbaustelle. Und das kann man erfahren, wenn man die Ohren spitzt, auch abseits offizieller Veranstaltungen.
Gesalzene Preise
Deren Gliederung blieb wie gehabt: Am Donnerstagabend die Verleihung der ICOM-Preise, welche sich als Alternative zu den stets vieldiskutierten Max-und-Moritz-Preisen verstehen, am Freitagabend dann die festivaleigene Show im Markgrafentheater.
Im Vorfeld der ICOM-Verleihung kam es zu internen Turbulenzen bezüglich der Geschlechterverteilung innerhalb der Jury-Besetzung, deren Genese und Ausgang Sie hier detaillierter und an dieser Stelle noch einmal blumiger formuliert nachlesen können, als es innerhalb dieses begrenzten Rahmens zu vermitteln wäre.
Nur so viel: Der Preis Paula Bullings für ihre bemerkenswerte Lektion in abstrakter Erzählweise mittels Form und Farbe, „Lichtpause“, wurde durch Äußerungen des ICOM-Platzhirschs Burkhard Ihme – wenngleich nicht Mitglied der Preise vergebenden Jury – anlässlich der Debatte über sogenannte Kartoffeldruck- und Krakelcomics am Sonntagmittag nicht gerade in ein vorteilhaftes Licht gerückt. Aber dazu später mehr.
Die gern zum wichtigsten deutschen Comic-Preis verklärte Max-und-Moritz-Preisverleihung bekleckerte sich am darauffolgenden Abend allerdings auch nicht mit Ruhm: Neben Äußerungen im Stil von „herrlich politisch unkorrekt“ durch Moderator Christian Gasser anlässlich der Vorstellung eines zu prämierenden Werkes war neben der sich wie üblich unendlich lang dahinziehenden Show deren Abschlussbild frappierend und warf ungewollt einen entlarvenden Blick auf den Ist-Zustand der Machtverhältnisse im deutschen Comic: Abzüglich von Moderatorin Hella von Sinnen befanden sich ganze zwei Preisträgerinnen, nämlich Sarah Burrini und Ulli Lust, auf der Bühne. Gut, auf Grund von Irritationen verblieben die beiden ebenfalls im Markgrafentheater anwesenden und für die Anthologie „Paradies“ der Hochschule der Bildenden Künste Saar im Rahmen der besten studentischen Publikation ausgezeichneten Valérie Minelli und Hanna Gressnich auf ihren Plätzen, aber das hätte den Kohl auch nicht wesentlich fetter gemacht. Der auf dem „Paradies“-Cover prangende Hirsch lächelte trotzdem verzückt, dabei zielt die Flinte des auf der Cover-Rückseite auszumachenden Jägers bereits auf ihn.
Den Hauptpreis als bester deutschsprachiger Künstler sahnt jedoch der bereits vielfach ausgezeichnete Reinhard Kleist ab; es ist unbegreiflich, dass nach den Entwicklungen der letzten Jahre einer Jury nichts Besseres, oder anders, keine Bessere einfällt. Als ob Kleist diesen Preis noch nötig hätte. Ganz zu schweigen von der diskutablen Qualität seiner Arbeit, die sich mittlerweile ganz und gar dem Auf-Nummer-Sicher-Prinzip verschreibt und daher Biografien favorisiert – das kauft im Zweifelsfall der Fan des porträtierten Künstlers. Ist auch nicht verwerflich, aber bestenfalls Kunsthandwerk, sei es noch so gut gezeichnet. Was es übrigens auch nicht immer ist – die Intensität oder den Wagemut seines „Bettgeschichten“-Beitrages erreicht Kleists Nick-Cave-Biografie keinesfalls.
Die Laudationen tragen ebenfalls nicht zur Aufwertung der Show bei – wirklich fundierte Begründungen, wie sie jeder halbwegs engagierte Comic-Kritiker draufhaben sollte, und welche die Spezifika des prämierten Werkes nachvollziehbar in erfrischender Kürze erklären, werden schmerzlich vermisst. Aber die Jury besteht eben nicht nur aus Kritikern, man integriert zudem den Fachhandel und die Künstler selbst. Leider sind dies die denkbar ungeeignetsten Professionen für eine reelle Bestandsaufnahme, da es in beiden Fällen eine Interessenkollision zu verzeichnen gibt – der Händler, bei aller wohlwollend angenommenen Kritikfähigkeit, wird unbewusst stets kommerzielle, und in seinem Fall natürlich durchaus legitime Interessen verfolgen. Der Künstler glaubt leider zu oft, dass, weil firm in technischen Belangen, diese für eine Beurteilung genügen würden. Leider ein Trugschluss, weil zum einen ein zu eingeengter Blickwinkel vorherrscht und überdies der notwendige Abstand fehlt. Vergleichen Sie die Situation mit der von pflegenden Familienangehörigen, und Sie verstehen, warum die Mehrheit der Betroffenen professionelle Distanz wahrendes Personal verpflichtet.
Und was die Länge der Laudationen betrifft: Man kann sich durchaus substanziell sowie pointiert kurz fassen, das trainieren Kritiker in Kurzrezensionen von 600 Zeichen Länge immer wieder. Noch einmal: Es gibt Comic-Kritikerinnen in diesem Land, man muss sie lediglich anfragen. Annika Gloystein vom Comic-Salon besäße übrigens ebenfalls Erfahrung als Jurorin.
Welche Realität, Papa?
Das eigentlich auserkorene Thema war dieses Jahr der Comic-Journalismus, auch wenn sie bei der Comic Solidarity den Braten bereits gerochen hatten und sich in ihrer Veranstaltungsplanung mehr auf die Kluft zwischen den Geschlechtern fokussierten, aber dazu kommen wir ebenfalls später.
Verwirrend erscheint jedenfalls beim Hauptthema, dass niemand so ganz genau zu wissen scheint, wovon er da eigentlich redet.
Geschweige denn wie: Es wurde bereits anlässlich des letzten Salons angemerkt, aber die Medienkompetenz lässt bei einigen Panels stark zu wünschen übrig. So strahlte das Salon-Logo auf dem ansonsten ungenutzt bleibenden Monitor hinter den Diskutierenden, während von diesen während der Diskussion angesprochene Beispiele hochgehalten wurden, was spätestens ab der zweiten Reihe für überanstrengte Augen sorgte.
Unter der Leitung von Nathalie Frank diskutierte eine Herrenrunde bestehend aus Thomas Greven von der Freien Universität Berlin, Autor Olivier Kugler, Christoph Schuler vom Schweizer Comic-Magazin „Strapazin“ und Lars von Törne vom Tagesspiegel.
Als Macher einer gedruckten Tageszeitung kann von Törne mit Beiträgen, die eine Länge von zwei Seiten überschreiten, allein aus Platzgründen nicht viel anfangen. Zudem wären auf Grund zeitnaher Produktionszyklen längere Reportagen durch den Zeitaufwand während der Entstehung schwerer im tagesaktuellen Kontext zu platzieren. Nachdem sich über die Vor- und Nachteile diverser Publikationsformate ausgetauscht wurde, näherte man sich dem Kern der Sache: Nämlich wodurch zeichnet sich Comic-Journalismus nun genau aus, wie wird er definiert?
Die Meinungen gingen auseinander; der Anspruch auf Orientierung an Fakten wurde mit dem Hinweis auf die bewusst gewählte Subjektivität des New Journalism der Sechziger- und Siebzigerjahre begegnet, und Joe Sacco, einer der Pioniere des Genres, wurde mit seiner Aussage zur Objektivität auf der Seite des Schwächeren zitiert. Also doch eher „Alles kann, nichts muss“?
Es stellte sich daher die Frage nach den Spezifika eines Hybrids aus Comic und Journalismus – was kann dieser, was andere Reportageformen nicht können? Auch hier fiel eine klare Antwort eher schwer. Thomas Greven definiert diesen beispielsweise als den sich ergebenden Mehrwert gegenüber der simplen Illustration eines Textes, aber dieser ergibt sich ebenso in mit Fiktion befassten Comics.
Interessanter, wenn auch rein monetärer Natur, war da schon die Auskunft von Christoph Schuler, dass „Strapazin“ für eine Comic-Reportage pro Seite fünfzig Euro Honorar zahlt. Bei dem Zeitaufwand ist das für Olivier Kugler und seine Langzeitreportagen, die er unter anderem für die britische Zeitung Guardian anfertigt, sicherlich keine vergnügliche Vorstellung.
Am Ende der Diskussion entstand der Eindruck, als wäre Comic-Journalismus mehr neues Etikett als wirkliche Novität. Verwiesen sei wieder einmal auf den Sachcomic der Siebzigerjahre, oder auf Comics wie „Essai“, bei dem sich sein Verfasser Nicolas Debon gar nicht erst auf eine Einordnung festlegen lassen möchte. Von den vielen sich mit der Lebenssituation von Ausgegrenzten und Unterdrückten beschäftigenden Comics im DDR-Jugendmagazin „Frösi“ ganz zu schweigen.
Polle-näse Blank-enese
Geld war ebenso ein wichtiger Punkt in der Gesprächsrunde über das Kindercomic-Magazin „Polle“. Auf der Bühne saßen die Redaktionsmitglieder Ferdinand Lutz, Jakob Hoffmann und Dominik Müller, die Moderation oblag Alex Jakubowski.
Auch hier wurde erst über das Format betreffende Fragen diskutiert: Ist das Heft zu klein? Sind die Comics zu kurz? Ist es kindgerecht, wenn rammelnde Hasen abgebildet werden? Nehmen junge Leser das überhaupt wahr? Kinder könnten Geschichten ja nicht lang genug sein, merkte Jakubowski an, der Vater von zwei Kindern im Alter von sieben und zwölf Jahren ist. Da hat er recht – es gab Zeiten, in denen in den „Lustigen Taschenbüchern“ des Ehapa-Verlags durch Vorgeschichten und Intermezzi zwischen Einzelstorys eine einzige zusammenhängende Geschichte suggeriert wurde, also in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Aber vielleicht ist prägnante Kürze in Anpassung an ein verändertes Tempo beim Informationsfluss heutzutage vielleicht sogar zeitgemäß?
Die wichtigste Frage aber war: Wie geht es weiter mit „Polle“? 9000 Euro würden zum Überleben benötigt, was nach der Rechnung, die „Polle“-Finanzminister Jakob Hoffmann aufmachte, bei einem Heftpreis von sechs Euro pro Ausgabe – ein stolzer Preis für ein Heft von sechsunddreißig Seiten – 1500 Abonnenten erforderlich machen würde. Was bedeutet diese Kalkulation für die beteiligten Kreativen? Nun, für jede erste Seite 120 Euro, für die nachfolgenden etwas weniger.
Das klingt alles nach einem Unternehmen mit hohen Ambitionen, aber wenig Chancen auf Erfolg. Erhältlich ist „Polle“ über eine Website oder auf Festivals, von einem Vertrieb über das Presse-Grosso war nicht die Rede. Man denke über Kooperationen nach, aber wolle sich seine Unabhängigkeit bewahren und zudem möglichst werbefrei bleiben. Bei der Qualität der einzelnen Künstler und Beiträge, unter anderem von Anke Kuhl, Nadia Budde oder Paul Paetzel bedeutete ein Scheitern einen Verlust, und es wäre daher zu begrüßen, wenn sich in Deutschland ein Magazin ähnlich dem in England sehr erfolgreichen „Phoenix“ etablieren könnte.
Ausstellungscharakter zeigen
Mit Geldfragen muss Jeff Lemire sich vermutlich weniger beschäftigen. Als erfolgreicher Autor bei Marvel und DC, der einst mit Independent-Comics seinen Erfolgszug antrat, zählt er heute zu den großen Namen im aktuellen Comicbusiness.
So wurde ihm eine große Ausstellung im Redoutensaal gewidmet, in der man seinen Werdegang beobachten konnte: Angefangen bei einem seiner Frühwerke, dem in dicken Tuschestrichen angelegten „Lost Dogs“ von 2005, über sein nach wie vor herausragendes und 2007 erschienenes Werk „Essex County“, bei dem er auf einen das Setting in seiner Kargheit wiedergebenden skizzenhaften Strich setzt, bis hin zu späteren Werken. Mit Ausnahme vielleicht von „Trillium“ (2013), geht die Lockerheit im Lauf der Zeit allerdings etwas verloren – oft erscheint es, als würde die Routine, entstanden aus der Vielzahl von gleichzeitig von ihm verfassten und/oder gezeichneten Titeln in einer bleiernen Schwere und Stromlinienförmigkeit in seinen späten Zeichnungen erkennbar. Jedenfalls war das eine sehr erschöpfend Auskunft gebende Präsentation seines Werkes, flankiert von Katalog und den Bildern zugeordneten Erklärungen. Aber mit Förderung durch die kanadische Botschaft ist das wohl ein Klacks.
Ganz anders die Self-made Men von Zwerchfell, die auf dem Comic-Salon ihr dreißigjähriges Bestehen feierten. In deren Ausstellung war ein Konzept zunächst schwer erkennbar, und erst dank einer kleinen Führung seitens des frischgebackenen Max-und-Moritz-Preisträgers Christopher Tauber wurde der Versuch einer chronologischen Abbildung sichtbar, welcher, wie der sich die Verlagsleitung mit Stefan Dinter teilende Autor und Zeichner freimütig mitteilte, unter eklatantem Zeitmangel bei der Vorbereitung litt.
Trotzdem gab es viel zu entdecken, und immer wieder ertappte der Besucher sich bei dem Gedanken, was Zwerchfell unter schwierigen Bedingungen schon so alles auf die Beine gestellt hat: Beispielsweise Isabel Kreitz' „Schlechte Laune“ in den frühen Neunzigerjahren oder die „Grimm“-Reihe, deren Idee von freizügigen Adaptionen altdeutscher Märchenkunst zumindest US-amerikanischen Verlagen bis heute nette Umsätze bescheren. Weitere Höhepunkte: „Punchdrunk“ von Tim Gaedke, und natürlich „Die Toten“ mit beitragenden Künstlern wie Ingo Römling. Letztere wurden so erfolgreich, dass Zwerchfell sie, wie auch Sarah Burrinis „Das Leben ist kein Ponyhof“ an Panini verkaufte. Mit Kreitz bei Carlsen und Tauber beim Kosmos-Verlag erscheint Zwerchfell als Entdecker und Talentschmiede, die Ernte fahren aber andere ein. Eines der besten von Zwerchfell verlegten Werke, die ein beeindruckendes Ensemble von deutschen Künstlern versammelnden „Bettgeschichten“, in denen sich an pornografischen Comics versucht wurde, sind, vermutlich auf Grund des jugendgefährdenden Inhalts denn auch leider unterrepräsentiert, was aus ästhetischer Sicht ein schmerzlicher Verlust ist.
Ein Gewinn hingegen ist das anlässlich des Jubiläums von Aike Arndt verfasste und als Sonderheft für Besucher der Ausstellung erhältliche „Rise of the Black Swan“, in dem die Verlagsgeschichte etwas eigenwillig nacherzählt wird. Herausgegeben vom Bundesministerium für Wirtschaft und visuelles Storytelling weist dieses fiktive Amt durch einen gewissen Peter Altmaier bereits im Titel auf Zwerchfells Verdienste und entgangene Einnahmen gleichermaßen hin. Und der Blauäugigkeit des verblasenen Bildungsbürgers wird im exzellenten Vorwort Altmaiers ebenso Paroli geboten: „Als besonderes Bonbon wählte die Redaktion die noch junge Erzählform „Graphic Novel“, die ja bekanntlich eine formalistische Nähe zum „Comic“ aufweist.“ Da jauchzt das Zwerchfell.
Männerwirtschaft
Die Comic Solidarity, welche sich der Aufgabe verschrieben hat, Raum für Comics zu schaffen, bot einige der interessantesten Programmpunkte – was dem Comic-Salon letztlich einen großen Anteil an Relevanz verschaffte. In einem prall mit Zuschauern gefüllten Panel wurde sich zum Wohle der „Leidtragenden des Feminismus“ dem Thema „Was darf ich im Comic noch geil finden“ gewidmet. Eigentlich sollte der Vortrag von Lisa Frühbeis und Lea Wegner gemeinsam gehalten werden, Wegner war jedoch leider verhindert.
Frühbeis zeigte sich gut vorbereitet und medienkompetent und startete flugs ihren Vortrag, der mit vielen Bildbeispielen gespickt war. So veranschaulichte sie übliche Geschlechtsklischees reproduzierende Darstellungen anhand eines Vergleiches von „Ranma 1/2“ mit den Disney-Prinzessinnen. Ebenso wurden die Schlümpfe thematisiert, bei denen jeder einzelne der blauen Zwerge eine Eigenschaft wie schlau, verfressen oder stark besitzt, nur die einzige Frau in Schlumpfhausen ist eben – bloß weiblich.
Auch der Einsatz der in der Superhelden-Comic-Szene so beliebten wie exhibitionistischen Broken-Back-Pose, eine Körperhaltung, bei der der weibliche Körper so positioniert ist, dass man sowohl Busen als auch Po sehen kann, fand Erwähnung. Was störte, war die fortwährende Vermengung von Comic und Comic-Verfilmung, das braucht es eigentlich nicht auf einer dieser stets unterrepräsentierten Kunstform gewidmeten Veranstaltung durch eine Raum für Comics schaffende Initiative. Ebenso war Frühbeis oft zu schnell, ungeübte oder nicht so themenaffine Zuhörer fühlten sich so schnell überfordert – das gilt übrigens genauso für das Einflechten von aktuellen Schlagwörtern aus der politischen Aktivistenszene, die, weil größtenteils aus dem Amerikanischen übernommen, bestenfalls nachtaktiven Twitter-Nutzern geläufig sind.
Will Eisner zu kritisieren, dass er Frauen auch als attraktives Beiwerk in seinen Zeichnungen verwendete, ist eine Sache. Dass diese Frauen durchaus Charakter in den Geschichten beweisen, eine andere, die leider unter den Tisch fiel. Der direkte Übergang zu den klischeebehafteten Darstellungen nicht-weißer Personen war folgerichtig, vermengte allerdings verschiedene Themenbereiche. Angesichts Eisners Eingeständnis des Unbehagens über seine rassistischen Karikaturen, was von Frühbeis auch erwähnt wurde, äußerte sie dennoch Verwunderung über die Tatsache, dass dieser später selbst einen Comic über die Verwendung jüdischer Klischees im Werk von Charles Dickens in seinem Werk „Fagin, the Jew“ aufgriff. Dass Eisner die als rassistisch kritisierte Figur des Ebony ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr verwendete, oder dass vielleicht so etwas wie Einsicht und Lernfähigkeit existieren könnten, wurde hier jedenfalls nicht vermittelt.
Mit der sich anschließenden Publikumsfragerunde verhielt es sich, wie mit Kommentarspalten: besser ignorieren. Ob der Weltkonzern Disney durch den Einsatz weiblicher Figuren in „Star Wars“ den Feminismus voranbringt, mag für einige diskutabel und existenziell sein, mit Comics hat es in dem Fall nichts zu tun. Wohl aber mit der gesellschaftlichen Gesamtstruktur, was einem Comic-Solidarity-Mitarbeiter auffiel, und der dies beherzt in die Debatte einwarf, die sich inzwischen vehement an einzelnen Franchises der Populärkultur abarbeitenden Nerds als Nebenkriegsschauplatz anbot. Das ist schade, denn trotz einiger Schönheitsfehler war dies mit Sicherheit eines der notwendigsten und besten Panels auf dem Comic-Salon.
Stille Tage im Klischee
Es war also sehr politisch, kein Wunder in diesen Zeiten. Zum krönenden Abschluss fand am Sonntagmittag ein Panel statt, in dem auf Grund eines Facebook-Postings (!) von Sascha Wüstefeld wieder einmal der Vorwurf von Kartoffeldruck- und Krakelcomics erhoben wurde, der sich gegen von der Max-und-Moritz-Jury prämierte Werke richtete. Das ist zwar ein alter Hut, vermutlich war der eingeladene Wüstefeld auch deshalb nicht erschienen, jedoch nicht für Burkhard Ihme von der ICOM. Der ließ sich in der Debatte um die zeichnerische Qualität sogenannter Graphic Novels zu folgender Äußerung hinreißen, nämlich dass auf Grund der Länge einer Graphic Novel und des damit verbundenen Zeitaufwands die zeichnerische Qualität zwingend schlechter sein müsse, als die eines achtundvierzig-seitigen klassischen franko-belgischen Albums. „Dan Cooper“-Erfinder und Vielzeichner Albert Weinberg bekam just nach dieser brillanten Bestandsaufnahme vermutlich einen postmortalen Lachkrampf, aber wer weiß das schon so genau.
Die Runde der Diskutierenden – bestehend aus Annette Köhn vom Jaja-Verlag, Horst Gotta von Splitter, Journalist Lutz Göllner, Salon-Leiter Bodo Birk und Comic-Autor Sascha Hommer – die auf dem Podium hockte, und scheinbar auch nicht so recht wusste, was sie dort sollte, hatte dem wenig hinzuzufügen, außer dass die deutsche Comicszene eben zu klein sei – so Gotta – um sich überhaupt zu irgendwas zu positionieren (ich) , man schmort halt im eigenen Saft (nochmal ich). Brigitte Helbling, die das ganze moderierte, schien ebenfalls nicht so recht am Thema interessiert, also beendete man das Ganze nach ein paar Wortmeldungen aus dem Publikum von unterschiedlicher Intensität und verschwand wieder im sonnigen Schlosspark.
Viel wichtiger ist ja eh, was hinten rauskommt.
Risse in der Megastruktur
Und zwar, dass alle jetzt Kindercomics machen, nachdem man jegliche Verbindung zum Kinde jahrelang gemieden hat wie eine kontaminierte Wasserstelle in der Sahel-Zone. Die Graphic Novel ist tot, soviel steht fest, keiner mag sie mehr so richtig liebhaben. Der röhrende Hirsch, liebgewonnenes Lästerorgan vieler Comic-Salons, hört aus altersbedingten Gründen auf. Andere Platzhirsche sollten es ihm gleichtun, bevor der Altersstarrsinn weiter voranschreitet oder der Jäger vom Backcover der „Paradies“-Anthologie auf sie anlegt.
Die Megastruktur, die der Salon der vielfältigen Szene bietet, ist brüchig geworden – wie die in Tsutomu Niheis „Blame“, das wurde dieses Jahr ansichtig wie selten zuvor. Es stehen Umbrüche an, und die werden nicht durch plakatives Posten von angesagten Meinungen oder Verständnisheuchelei erreicht, sondern nur durch bei sich selbst anfangen und durch die eigene Aufgabe von Privilegien, beziehungsweise den freiwilligen Rücktritt ins zweite Glied. Daher würde ich gern Kritiker-Kollegin und Comicforscherin Marie Schröer an meiner Stelle als Berichterstatterin vom 19. Comic-Salon in Erlangen im Jahr 2020 vorschlagen, falls sie Lust und Zeit hat. Ich wüsste kaum jemanden, der besser für diesen Job qualifiziert wäre.
Was fehlt (Bonus Track)
Der vierzigminütige Wutausbruch einer semiprominenten Künstlerin angesichts reaktionärer Tendenzen und sexistischer Kackscheiße bei der Max-und-Moritz-Preisverleihung morgens um vier im E-Werk.
Ein spontan angesetztes Comic-Kritik-Symposium des Verfassers dieses Berichts um drei Uhr nachts am Hugenottenplatz unter Teilnahme einer genehmen Person.
Ein ausufernder Streifzug durch die polnische Comic-Szene um zwei in der Früh schon wieder im E-Werk.
Lutz Göllner auf dem Planet der Affen.
Ein Dargaud-Mitarbeiter im Kaufrausch in Nürnberger Antiquariaten und seine überaus inkompetente, weil ortsunkundige Begleitung (C'est moi).
Wer für das Honorar von Marvin Clifford als Kolorist von Flix bei Carlsen verantwortlich ist.
Welcher berühmte Franzose denn nun dabei war.
Wo es für selbstverliebte Kritiker Freiexemplare gibt.
Warum das Igeltelefon defekt war.
Ketamine dreams.
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