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© Renée Repotente

Comicfestival Thought Bubble: Von Bildern und Vorbildern

In diesem November ist Deutschland im englischen Leeds sehr präsent: Es gibt dort einen Christkindl-Markt, und am kürzlich zu Ende gegangenen Comicfestival Thought Bubble nahmen gar deutsche Künstler teil. Inspiration für die hiesige Szene gab es obendrein.

Leeds, industriell geprägte Großstadt in der englischen Grafschaft West Yorkshire, ist, ähnlich wie das den Comic-Salon beherbergende fränkische Erlangen, ein Ort, den man nicht automatisch auf der Liste der Veranstalter internationaler Comicfestivals hätte. Doch Jahr für Jahr veranstaltet hier ein rühriges Team aus ehrenamtlich Tätigen das Thought-Bubble-Festival, welches das größte des Landes darstellt und eine beeindruckende internationale Gästeliste aufweist. Und bei der diesjährigen neunten Auflage wurden gar deutsche Comiczeichner und -autoren gesichtet.

Nun ist das Verhältnis der Engländer zu Deutschland mittlerweile entspannter, als es das noch in den sechziger und siebziger Jahren war. Wohl erscheint die im Zweiten Weltkrieg spielende und voller Klischees steckende Serie „Commando“ des im schottischen Dundee ansässigen Verlags DC Thomson immer noch, jedoch wird das leicht revanchistische Druckwerk mittlerweile im deutschen und damit aus „Commando“-Sicht feindlichen Thüringen gedruckt. Innerhalb der Serie veröffentlicht man gelegentlich älteres Material, sodass einem mit etwas Glück eine von Garth Ennis („Hellblazer“, „Punisher“) verfasste oder von Cam Kennedy („Judge Dredd“, „Rogue Trooper“) gezeichnete Ausgabe in die Hände fällt. 

Living In A Magazine 

Die publizistischen Gepflogenheiten im britischen Comic werden aber nicht nur anhand des Taschenheftes „Commando“ ansichtig. Das sogenannte ‚Weekly’, ein wöchentlich erscheinendes Magazinformat mit Fortsetzungscomics, ist eine weitere traditionelle Veröffentlichungsform im Vereinigten Königreich. Die einst 1934 durch Reihen wie „Jingles“ oder „Tip Top“ begründete Tradition mündete letztlich im britische Comicidentität stiftenden „2000 AD“, welches nicht nur die außerhalb des Königreiches bekannte Serie „Judge Dredd“ hervorbrachte, sondern ebenso als internationales Sprungbrett für Autoren wie Alan Moore, Neil Gaiman und Grant Morrison oder Zeichner wie Brian Bolland und Simon Bisley fungierte.

Comic-Camping im Zelt.
Comic-Camping im Zelt.
© Renée Repotente

Eines der auf dem Festival zu erwerbenden Magazine namens „The Phoenix“ richtet sich an eine junge Leserschaft, kommt uneingeschweißt sowie ohne geschlechtergerechte Beilage daher, und der Untertitel „The Weekly Story Comic“ macht gleich zwei Dinge unmissverständlich klar: Das gibt es jede Woche zu kaufen, außerdem enthält es Geschichten! Letzteres ist besonders wichtig, weil der Comic allgemein und weltweit zu oft unter einem inhaltlichen Qualitätsdefizit leidet. Das Heft bietet die vielbeschworene Interaktion, die für einen Großteil der Medien scheinbar nur im Internet stattfinden kann, mühelos und klug konzipiert im Print an. Wer den frechen Ton auf der Seite mit Leserzuschriften der wesentlich betulicheren Ansprache in der deutschen „Micky Maus“ gegenüberstellt, versteht, warum Letztere mit stetig sinkenden Auflagenzahlen zu kämpfen hat. „If only we'd 'ad such a suit to protect us when we were in such terrible danger from ze antifun“, kommentiert beispielsweise eine der sich im Heft tummelnden Figuren die eingesandte Zeichnung eines Lesers. Die bunte Mischung aus Science Fiction und Abenteuerstoffen überzeugt, genau wie die vielfältigen Zeichenstile einheimischer Künstler. Dabei ragen die absurden Abenteuer um Looshkin, der verrücktesten Katze der Welt, und Saint Georgia, einer Coming-of-Age-Story, die traditionelle Geschlechterrollen frei von jeglicher ideologischer Verbissenheit hinterfragt, besonders heraus.

Eine vormals in „The Phoenix“ erschienene Serie, James Turners „Star Cat“, gewann dann auch verdientermaßen einen der ebenfalls jährlich im Rahmen von „Thought Bubble“ verliehenen „British Comic Awards“.

„Cindy And Biscuit“ war ebenfalls in der Kategorie „Young People’s Comic Award“ nominiert und stammt von Dan White. Der ist außerdem Mitglied des überproportional von launigen Schotten bevölkerten und überaus kritischen Comic-Kollektivs „The Mindless Ones“. Im Rahmen des Festivals veranstalteten diese mehrere Panels und verfassten vor Ort gegen Geld unter dem gar lieblichen Motto „Wanking For Coins“ von Besuchern in Auftrag gegebene Rezensionen oder Artikel. Was zugegebenermaßen eine brillante Idee ist und existenziellen Zwängen im Kritikergewerbe ein für alle Mal das Wasser abgraben könnte. Zudem hatte White den neuesten Band seiner Comicreihe, betitelt „The Bad Girl“ dabei, der vor vom Seinen-Manga beeinflussten Action-Sequenzen sowie beeindruckenden Monstren nur so strotzt. White bietet mit Cindy eine glaubhafte Heldin mit Tendenz zum Underdog auf, die sich aber trotzdem ihrer Haut zu wehren weiß und der überdies ein niedlicher Hund, nämlich Biscuit, zur Seite steht.

Es gibt nichts, was wir nicht haben.
Es gibt nichts, was wir nicht haben.
© Renée Repotente

Am Beispiel von Dan White und den Mindless Ones wird deutlich, welchen Stellenwert die Förderung des Nachwuchses und die kritische Selbstreflexion bei „Thought Bubble“ innehaben. Das wurde nicht bloß auf der mit Live-Musik und Zeichen-Battles bestückten „Young Guns Art Jam“ deutlich. Auch die zum Festival erscheinende Thought-Bubble-Anthologie bietet Gewinnern der Comic Art Competition einen komfortablen Raum für Veröffentlichungen im Umfeld bereits etablierter Comicschaffender, unter denen in diesem Jahr unter anderem Emi Lenox, Kate Beaton und Farel Dalrymple waren, die man natürlich alle persönlich auf dem Festival antreffen konnte. Wichtig: Die Gewinne aus dem Verkauf werden für wohltätige Zwecke verwendet.

 Das Schützenfest (German Version)

Einer der Beiträge in der diesjährigen Thought-Bubble-Anthologie stammt von der in Wilhelmshaven geborenen und inzwischen in London lebenden Julia Scheele, die am Stand der von ihr mitbegründeten One Beat Zines zugegen war. Eine Auswahl ihrer Geschichten trägt den Titel „I Wished I Was Married To The Sea“ und versammelt Kurzcomics neben Illustrationen, die sich zwischen Autobiografie, Feminismus und ironischer Beziehungsanalyse bewegen. In der titelgebenden Geschichte wird durch eine linienreiche Inszenierung des Wassers als unzuverlässigem Lebensabschnittspartner von inkonsistenter Form und in variierten Grüntönen das stetige Hadern der Hauptfigur mit Unwägbarkeiten humorvoll illustriert.

Tränen sind ebenso salzig wie Meerwasser: Julia Scheele.
Tränen sind ebenso salzig wie Meerwasser: Julia Scheele.
© Renée Repotente

Ebenfalls in der New Dock Hall residierte der Zwerchfall-Verlag, der mit Sarah Burrini und Tim Gaedke zwei engagierte Künstler vor Ort hatte. Die Flagge des deutschen Web-Comics hielt Kwimbi hoch, mit dem man sich praktischerweise einen Tisch teilte. Unter anderem wurde eine gelungene Auswahl von Sarah Burrinis Ponyhof-Strips angeboten, welche auch in England positiven Widerhall fand. Tim Gaedkes „Tesserakt“ war ebenfalls in einer Übersetzung vorrätig. Die mittels grafischer Reduktion ökonomisch angelegte Erzählung um ein die Gefühle veränderndes und unter der Oberfläche schwelende sexuelle Wunschträume beförderndes mysteriöses Objekt ist absolut lesenswert, egal in welcher Sprache.

Ein ähnliches Gefühl von faszinierender Befremdung rufen zuweilen die abstrakten Comics des Engländers Douglas Noble beim Leser hervor. Sein im CD-Booklet-Format produziertes „Don’t Be Fooled By The Rocks“ zeigt in schier unermüdlicher Abfolge Zeichnungen von Steinen. Das grafische Erscheinungsbild wird vorwiegend von dicken Tuschestrichen dominiert, gelegentlich aber auch von mit Kreide ausgeführten Zeichnungen unter Schraffureinsatz unterbrochen, wie „Bag Of Nails“ zum Beispiel. Die Aneinanderreihung von Menschenleben überdauernden Gesteinsformationen und deren poetische Betitelung bewirken das Paradoxon eines kontinuierlich fortschreitenden Zeitstillstands, der einem nicht nur die eigene Endlichkeit verdeutlicht, sondern auch die für gewöhnlich in der Comictheorie vertretene Auffassungen über die Darstellung von Zeit latent unterläuft.

 Stars (Everybody Is One)

Und dann waren da nicht nur die Young Guns, sondern auch die Big Guns. Das komfortabel klimatisierte Marquee-Zelt zwischen New Dock Hall und Royal Armouries Hall bot Entfaltungsmöglichkeiten für die bereits etwas arrivierteren Künstler. Da das Festival unter anderem von Image Comics unterstützt wird, die nebenher verlegerisches Heim für die bereits erwähnte und daher auch außerhalb des Festivals international erhältliche Thought-Bubble-Anthologie sind, konnte man hier natürlich viele Autoren und Zeichner antreffen, die bei Image veröffentlichen.

Zwerchfellas: Sarah Burrini, Stefan Dinter, Christopher Tauber und Tim Gaedke
Zwerchfellas: Sarah Burrini, Stefan Dinter, Christopher Tauber und Tim Gaedke
© Oliver Ristau

Ales Kot, US-Amerikaner mit tschechischen Wurzeln, und zuweilen als Grant Morrison-Epigone und Teilzeit-Mystiker unterwegs, jedoch zweifellos mit Talent gesegnet, saß mit dem für die Gestaltung der meisten von Kot verfassten Werke verantwortlichen Londoner Grafikdesign-As Tom Muller an einem Tisch und signierte seine Comics. Ob man nach Grant Morrison in „Animal Man“ (und ja, Cary Bates in „Flash“ etc pp) noch so ohne Weiteres in seinen eigenen Comics auftreten kann, sollen die Leser von „The Surface“ besser selbst entscheiden. Das fortwährende Umsichwerfen Kots mit Anspielungen und Zitaten aus den Untiefen der Undergroundkultur von Coil, Merzbow, Burroughs oder Ballard mag oft enervierend wirken, allerdings sind „Change“ oder „Zero“ durchaus Werke mit eigenem Charakter und eines Blickes würdig. Was freundliche Begrüßungen angeht, ist Herr Kot jedenfalls ein Solitär. Letztes Jahr gab es übrigens eine Zusammenarbeit von Kot mit Alison Sampson für die Thought-Bubble-Anthologie, die äußerst gelungen war.

Schulterfrei und Spaß dabei: Ales Kot und Tom Muller.
Schulterfrei und Spaß dabei: Ales Kot und Tom Muller.
© Renée Repotente

Denn die vormals als Architektin tätige Alison Sampson ist sicherlich eine der fähigsten britischen Zeichnerinnen; selbst wenn, wie bei „Genesis“ geschehen, Nathan Edmondson den Comic geschrieben hat. Ob ihrer beeindruckenden Strichführung kann man den Autor geflissentlich ignorieren. Sampson steht in einer zeichnerischen Tradition, die eher von europäischen Künstlern beeinflusst ist als von den gängigen angesagten US-Zeichnern. Der Versuch einer Annäherung an ihren ungewöhnlichen Zeichenstil ist hier nachlesbar. Frau Sampson hatte überdies einen der besten Anstecker an ihrem Stand vorrätig, auf diesem sind ein Bär und die Aufschrift „I Am Comics“ zu sehen.

Nicht im Zelt, aber in der New Docks Hall wie auch auf der Midcon-Party war der ebenfalls sporadisch bei Image veröffentlichende englische Comic-Autor David Hine anzutreffen. Seine mit dem auch aus Großbritannien stammenden Zeichner Shaky Kane geschaffene Serie „Bulletproof Coffin“, deren Inhalt in wenigen Worten nur schwer vermittelbar ist und die sich elegant zwischen Genreplünderei und Bastelbogen bewegt, soll nun doch einen Nachklapp in Form eines Specials erhalten, über deren Inhalt leider eine Verpflichtung zum Stillschweigen gegenüber Herrn Hine abgegeben werden musste. Verraten sei nur soviel: Wenn die Umsetzung tatsächlich so gelingt, wie von Hine beschrieben, wäre das die Meta-Erzählung, die alle anderen Meta-Erzählungen unrelevant machen könnte. Was ja auch irgendwie mal an der Zeit wäre.

 Living On An Island

 Natürlich sind dies alles nur Schlaglichter aus einem überbordenden Angebot und die Frage, die sich abschließend stellt, ist: Was kann die deutsche von der englischen Comicszene lernen?

Die alles zusammenhaltende Konzeption von Thought Bubble, die darauf beruht, sämtliche Arten von Comics, seien sie nun unterhaltender oder avantgardistischer Natur, ohne Standesdünkel unter einem Dach – oder drei und mehr Dächern; es gab diverse flankierende Satelliten-Ausstellungen – zu vereinen, nötigt dem außenstehenden Betrachter Respekt ab. Die damit verbundene einheimische Nachwuchsförderung, flankiert durch Portfolio-Sichtungen größerer Verlagshäuser wie Vertigo oder Publikationen wie „2000 AD“, bietet zudem eine reelle Chance auf eine für einen größeren Kreis verfügbare und vor allem eventuell kommerziell erfolgreiche Veröffentlichung. Natürlich stets vorausgesetzt, dass dies der Weg ist, den man einschlagen möchte.

Außen pfui, innen hui: Das Festivalareal.
Außen pfui, innen hui: Das Festivalareal.
© Renée Repotente

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der einer kritischen Bestandsaufnahme des Mediums sowie seiner Defizite. So scheint es keinen Widerspruch für die Veranstalter darzustellen, das Festival von „2000 AD“ unterstützen zu lassen, aber gleichzeitig Panels abzuhalten, die unter anderem die Reproduktion rassistischer Klischees in den „Judge-Dredd“-Comics von „2000 AD“ untersuchen.

Die deutsche Verlagslandschaft sollte sich eventuell fragen, warum immer noch so viel Material für an Kinder gerichtete Publikationen im Ausland eingekauft wird. Wieso nicht einmal ein deutsches Magazin, gestaltet von verschiedenen hier ansässigen Künstlern, anbieten? Mit „The Phoenix“ hätte man da eine geeignete Orientierungshilfe, wie solch ein Unterfangen zeitgemäß zu stemmen wäre.

Auch Deutschlands nach wie vor bestes Comicfestival, der Comic-Salon in Erlangen, könnte sich hier den einen oder anderen Kniff abschauen, vor allem, was den Bereich Comicforschung und Kritik angeht. Aber ein Anfang wurde ja bereits im vergangenen Jahr gemacht.

Thought Bubble kann jedem an Comics Interessierten ans Herz gelegt werden. Vor allem all denjenigen, die etwas mehr vom Comic erwarten, als nur Unterhaltung zu bieten oder als ein hippes Feigenblatt für Bildungsbürger zu fungieren.

Weitere Artikel unseres Autors Oliver Ristau finden Sie unter diesem Link.

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