Leonardo da Vinci und seine "Mona Lisa": Das Lächeln, das aus dem Rahmen fiel
Sie war bestellt und wurde nie ausgeliefert, wurde gestohlen und wie ein Staatsgast geehrt. Leonardo da Vincis „Mona Lisa“, seit 1914 zurück im Louvre, ist das berühmteste Bild der Welt. Warum eigentlich?
Als Andy Warhol eine Fotografie der „Mona Lisa“ zur Vorlage für ein Siebdruckbild nahm, meinte der Meister der Pop-Art nicht das ursprüngliche Gemälde als vielmehr die Ikone. Eine Ikone ist ein Symbol, das keiner Erklärung bedarf; etwas, das sich ins allgemeine Bewusstsein eingeprägt hat, ohne dass damit eine in Worten fassbare Aussage zwingend verbunden wäre.
Wie konnte das Gemälde zu einer solchen Bedeutung gelangen? Noch dazu eines, das nur eine einzelne, nicht geläufige Person zeigt, nicht etwa eine biblische oder weltliche „Historia“?
Wie konnte es dazu kommen, dass das mit 77 mal 53 Zentimetern eher bescheiden dimensionierte Bildnis einen eigenen Saal im Pariser Louvre beansprucht – Denon-Flügel, erstes Obergeschoss –, um die Besuchermengen fassen zu können, die tagein, tagaus in gebührendem Abstand vor dem Bild stehen, staunen und – filmen und knipsen?
Die „Mona Lisa“ gilt vielen heute, wie es der Leonardo-Experte Frank Zöllner von der Universität Leipzig in seinem Werkverzeichnis aller Gemälde bündig ausdrückt, als „das berühmteste Gemälde der Welt“. Zöllner: „Die ,Mona Lisa‘ wurde zum Inbegriff des neuzeitlichen Porträts.“
Leonardo da Vincis Bild ist eine Ikone
Das Bild, von Leonardo da Vinci um 1503 geschaffen, ist eine Ikone – und zwar der Kunst und des Künstlergenies schlechthin. Leonardos Lebenszeit von 1452 bis 1519 überdeckt sich genau mit der Renaissance, ihrem Siegeszug und ihrer Hochblüte um 1500 wie auch schon ihrem Übergang in manieristische Übersteigerung. Die eigentliche Aussage des Porträts jedoch ist völlig in Vergessenheit geraten, zumal der heutige Betrachter komplexe Altmeistergemälde nicht mehr „lesen“ kann. Die „Mona Lisa“, so die gängige und gewiss nicht falsche Auffassung, huldige der weiblichen Tugend – immerhin war die Dargestellte die Ehefrau eines wohl beleumundeten Florentiner Kaufmanns. Aus ihrem Namen Lisa del Giocondo leitet sich die im romanischen Sprachraum übliche Bezeichnung als „La Gioconda“ ab, was zugleich „die Heitere“ bedeutet – und so auch auf ihr alle Welt faszinierendes Lächeln anspielt.
Zu seiner Entstehungszeit freilich zählte das Porträt nicht zu den Werken, mit denen Leonardo das größte Aufsehen der Öffentlichkeit erregte. Andere Arbeiten standen stärker im Fokus und wurden Teil des damaligen kollektiven Bildgedächtnisses. Neben dem Mailänder „Abendmahl“ war dies vor allem die „Anghiari-Schlacht“, sein frühes Florentiner Hauptwerk, ein Fresko im Regierungssitz Palazzo Vecchio, der Machtzentrale der zwischen Republik und Fürstenherrschaft hin- und hergerissenen Stadt.
Künstlerkollegen schätzen "Mona Lisa" sofort
Leonardos Künstlerkollegen indessen schätzten die „Mona Lisa“ sofort, und blitzschnell wurden die malerischen Neuerungen, die Leonardo mit ihr einführte, zum Gemeingut der Renaissance: die Ansicht des zum Betrachter hingedrehten, plastisch hervortretenden Körpers statt der zuvor üblichen Profilansicht, die Ausmalung eines Landschaftshintergrundes, schließlich die Luftperspektive, die Farbveränderung hin ins Blau mit der zunehmenden Entfernung entsprechenden Landschaftsteilen. Mit Leonardo wird die perspektivische Darstellung der Welt, diese große Revolution der Renaissance, über die bloße geometrische Richtigkeit hinaus vollkommen und entspricht nun der menschlichen Sinneswahrnehmung. Das „Sfumato“ allerdings, dieser leichte Dunstschleier über allen Dingen, blieb Leonardos ganz eigene Leistung.
Dabei ist, was heute als „Sfumato“ gilt, eher das Ergebnis jahrhundertelangen Vergilbens der obersten Firnis. Dem Gemälde wurde das Geheimnisvolle umso lieber zugeschrieben, als es von vorneherein rätselhaft erschien und sein Geheimnis unter einer kaum noch durchdringlichen Malschicht verbarg.
Die durchaus eigenwillige Lebensweise Leonardos, dem die Malerei nur eine unter vielen Beschäftigungen bedeutete und der sich weit intensiver mit den gerade erst im Entstehen begriffenen Naturwissenschaften befasste, verstärkte den Eindruck des Geheimnisvoll-Genialischen, den seine Gemälde hervorriefen.
Leonardo erhielt eine Ausbildung in Florenz
Leonardo, 1452 als uneheliches Kind geboren, doch von seinem Vater adoptiert, wuchs in Florenz auf und erhielt eine gediegene Ausbildung bei einem der führenden Künstler der damaligen Metropole. Das Bildnis der „Mona Lisa“ malte er als reifer Mann zwischen 1503 und 1506, als er nach langjährigem Dienst am Hof der Mailänder Fürstenfamilie der Sforza nach Florenz zurückgekehrt war. Ohne feste Anstellung, beschäftigte er sich mit wechselnden Auftragsarbeiten – mal mehr, mal weniger, wie denn auch Zeitgenossen beklagten: „Um ein ganzes Werk zu meistern, fehlt ihm das feste Band der Disziplin“, lästerte beispielsweise Gaspare Visconti 1499.
Die „Mona Lisa“ zählt zu jenen drei Gemälden, die Leonardo 1517 auf dem Weg zu seinem letzten und großzügigsten Auftraggeber mit sich führte, zu Franz I., dem zwei Jahre zuvor gekrönten französischen König. Die beiden anderen Werke waren die Darstellung Johannes des Täufers sowie, als schwierigste Komposition, das Gemälde der „Anna selbdritt“, also der Darstellung Mariens mit ihrer Mutter Anna und dem Jesuskind. So erklärt sich, warum alle drei Werke heute im Louvre bewahrt werden, dem französischen Nationalmuseum: François I. erwarb sie nach Leonardos Tod von dessen als Erben eingesetzten Schüler Salai.
Plötzlich war sie weg: Am 21. August 1911 nimmt der Italiener Vincenzo Peruggia die „Mona Lisa“ von der Wand.
Abgesehen vom Bild des Johannes, der ein der „Mona Lisa“ ähnliches, rätselhaftes Lächeln zeigt, waren die anderen beiden Gemälde langjährige Begleiter Leonardos. Denn wie die „Mona Lisa“ hatte er die Anna-Komposition bereits in Florenz angelegt, sogar noch vor dieser im Jahr 1501, jedoch das Gemälde selbst nicht vollendet und abgeliefert. Solche bei Leonardo mehrfachen Vertragsverletzungen – auch das Anna-Gemälde war eine Auftragsarbeit – hat viel zu dem Mythos vom freien und unabhängigen Künstler Leonardo beigetragen, der er in Wahrheit nicht war und unter den damaligen Verhältnissen der Fürsten- und Kirchenpatronage auch noch nicht sein konnte.
König Franz I. öffnete das zuvor noch spätmittelalterliche Frankreich der italienischen Renaissance, die so in das nationale Kulturerbe Frankreichs einfloss. Ab 1804 hing das Gemälde der „Mona Lisa“ im Louvre, damals als Musée Napoléon die Sammelstätte für die von den napoleonischen Truppen in ganz Europa beschlagnahmten Kulturgüter. Die französische Eigentümerschaft an der „Mona Lisa“ stand nie infrage. Doch die Popularität musste sich das Porträtbild mit den zahlreichen weiteren Werken der Renaissance teilen, die der Louvre besaß und im Falle napoleonischer Beute teils nach 1815 sogar behalten durfte.
Das änderte sich schlagartig mit dem 21. August 1911. An diesem Tag nahm der 29-jährige Italiener Vincenzo Peruggia die „Mona Lisa“ von der Wand, wo sie dicht an dicht zwischen zwei anderen Gemälden gehangen hatte. Gesichert oder auch nur befestigt war das Bild nicht; ein Foto des leeren Wandstücks zeigt vier Haken, an denen das Bild lose aufgelegen hatte. Erst am nächsten Tag fiel das Fehlen des Gemäldes auf. Dann aber brach in der Öffentlichkeit ein Sturm der Entrüstung los. Wochenlang beherrschte der Diebstahl die Schlagzeilen. Der Louvre blieb eine volle Woche lang geschlossen, sein Direktor wurde gefeuert – das Museum unterstand damals wie heute der französischen Regierung.
Die "Mona Lisa" wurde als unverzichtbarer Teil des französischen Kulturerbes betrachtet
Wie so oft brachte erst der Verlust das Werk so richtig zu Bewusstsein. Die „Mona Lisa“ wurde in dieser Hoch-Zeit des Nationalismus als unverzichtbarer Teil des patrimoine, des französischen Kulturerbes, betrachtet. Und genau in diesem Denkschema war auch der Dieb befangen, ein in Paris beschäftigter Handwerker, nach heutigen Begriffen ein Arbeitsmigrant. Er habe, wie er nach seiner Festnahme erklärte, das Gemälde nach Italien „heimbringen“ wollen. Erst zwei Jahre nach dem unaufgeklärt gebliebenen Diebstahl hatte er es einem Florentiner Kunsthändler angeboten, der zum Schein darauf einging und so die Festnahme Peruggias ermöglichte.
Da brach sich nun der Nationalismus auf italienischer Seite Bahn. In der Öffentlichkeit wurde verlangt, das Gemälde in Italien zu belassen. Die Zusicherung der italienischen Regierung, das Werk an den zweifelsfreien Eigentümer, den französischen Staat, zurückzugeben, führte beinahe zur politischen Krise. Immerhin wurde das Bild zunächst in Italien auf Tournee geschickt, ehe es, eskortiert wie ein Staatsgast, nach Paris zurückging. Seit 1914 hängt es wieder im Louvre, und mit ihm hat die französische Kulturnation seine spezielle Ikone.
Die „Mona Lisa“ überstrahlt alle anderen emblematischen Kunstwerke dieses Universalmuseums, wie etwa die griechische Skulptur der „Nike von Samothrake“, die wie ein Herrscherstandbild am Kopf der Haupttreppe thront. Nicht mehr die Verkörperung des antiken Ideals war Identifikationsfigur für die in der Institution des Louvre vollzogene Verschmelzung von Kultur und Nation, sondern das Bildnis einer konkreten Person. Das ist durchaus bemerkenswert.
Das Gemälde taugt eigentlich nicht zur nationalen Identifikation
Gerade das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter der Nationalkultur. Zur Nationalkultur wurden mit einem Mal auch Kunstwerke gezählt, die in ganz anderen Kulturkreisen entstanden waren, aber dann irgendwie „dazugehörten“. So konnten die als „Elgin Marbles“ verehrten Friesplatten, ab 1801 vom Athener Parthenon abgelöst und nach London verfrachtet, Teil des britischen Nationalbesitzes werden. Die „Mona Lisa“ trat bildhaft-konkret an die Stelle der eher abstrakten französischen Symbolfigur der „Marianne“, und der vermeintlich von Rembrandts Hand stammende „Mann mit dem Goldhelm“ wurde, wie gleich der ganze Künstler, der deutschen Nation eingemeindet.
Doch gerade die „Mona Lisa“ taugt am wenigsten zur nationalen Identifikation. Weder zeigt sie eine Person der Geschichte noch verkörpert sie das Ideal klassischer Bildung wie der Parthenon-Fries oder dessen Berliner Gegenstück, der hellenistische Pergamon-Altar. Das Porträt stellt nichts weiter als die Gattin eines Florentiner Kaufmanns dar und wurde vom Ehemann im Frühjahr 1503 anlässlich der glücklichen Geburt eines Kindes – damals wahrlich keine Selbstverständlichkeit – in Auftrag gegeben. Das berichtet bereits Giorgio Vasari in seiner Lebensbeschreibung Leonardos von 1550; bestätigt wurde dieser immer wieder angezweifelte Hinweis durch den sensationellen Fund einer Notiz vom Herbst 1503, in der ein hochgebildeter Florentiner Gemälde und Auftraggeber erwähnt. Entdeckt wurde die Notiz 2005 in einem Renaissancebuch der Heidelberger Bibliothek. Warum das Bildnis nicht beim Auftraggeber ankam, bleibt jedoch weiterhin im Dunkeln.
Dass sich der Maler der Besonderheit seiner Bild-Erfindung bewusst war, kann man aus dem Umstand ableiten, dass auch spätere Darstellungen von seiner Hand ein ähnlich rätselhaftes, zwischen Freude und Ironie oszillierendes Lächeln zeigen. Und natürlich wusste Leonardo, dass jüngere Maler wie vor allem der 31 Jahre jüngere Raffael seine Komposition sofort übernahmen und geradezu in Serie nachahmten.
Im Madrider Prado wird eine Zweitversion der "Mona Lisa" entdeckt.
Neue Forschungen, die sich insbesondere am Auftauchen einer Zweitversion der „Mona Lisa“ im Depot des Madrider Prado vor drei Jahren entzündeten, haben den Mythos des Bildes nicht mindern können. Die Entzauberung beschränkte sich auf den engeren Kreis der Kunstkenner, für die an die Stelle des singulären Malergenies nunmehr der tatsächliche Werkstattbetrieb trat, den Leonardo wie alle Meister der Renaissance leitete. Leonardo, so stellte sich heraus, malte die „Mona Lisa“ eigenhändig, doch zu gleicher Zeit war ein begabter Mitarbeiter damit beschäftigt, die „Invenzione“, die Erfindung des Meisters, in ein zweites Bild zu übertragen – das aber, und dies war die Überraschung des Prado-Fundes, einen ursprünglicheren Zustand des von Leonardo während des Malens beständig veränderten Gemäldes bewahrt.
Leonardo hat ein nur schmales malerisches Oeuvre hinterlassen; einschließlich verlorener, aber gesicherter Arbeiten kommt das Werkverzeichnis Zöllners auf gerade einmal 34 Kompositionen. In den Jahrhunderten nach seinem Tod galten zahlreiche Nachschöpfungen als Werke eigener Hand, ehe wissenschaftliche Methodik die Zahl der Werke stark reduzierte. Seither werden gelegentlich Arbeiten vorgestellt, angeblich von Leonardos Hand, darunter auch eine zweite „Mona Lisa“ aus englischem Privatbesitz.
Zuletzt machte das Gemälde „Salvator Mundi“, ein Bild mit dem Antlitz Jesu als Erretter der Welt, Furore. Immerhin wurde es Ende 2011 im Rahmen der großen Leonardo-Ausstellung der Londoner National Gallery der Öffentlichkeit präsentiert. Auch bei diesem Bild, mit dem sich der Maler – ob nun Leonardo oder jemand aus seinem Umkreis – an die schwierigste Aufgabe gewagt hat, nämlich die Darstellung des Göttlichen, ist jenes merkwürdig verhaltene Lächeln zu beobachten, das so gar nicht im Einklang steht mit den geradezu melancholischen Augen. Aber das ist schon zu viel der Interpretation.
Leonardo selbst wollte den Betrachter gar nicht in Stimmungen versetzen, sondern ihm zeigen, dass der Künstler in seinen Werken den Schöpfungen der Natur gleichkommen kann. Kunst als Schöpfung parallel zur Natur, aber ihren Gesetzen gehorchend – das war Leonardos Ideal, dem er seine lebenslange, in zahllosen Notizen und Zeichnungen festgehaltene Naturbeobachtung widmete.
Von Sigmund Freud stammt der bekannte Satz über Leonardo: „Er glich einem Menschen, der in der Finsternis zu früh erwacht war, während die anderen alle noch schliefen.“ Dieses Erwachen, gleichzusetzen mit der Renaissance als Wiedererweckung der Antike, macht die Faszination der „Mona Lisa“ aus. Wer sie mit heutigen Augen betrachtet, steht mit Leonardo an der Wiege des seiner selbst bewussten Menschseins.
Bernhard Schulz
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