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Versöhnung unter Schmerzen. Die Darstellung von Christus in der Kelter in der Kreuzkapelle von Ediger-Eller.
©  Wikipedia

Christus und der Wein: Das ist sein Blut

Passion unter Druck: Fromme, volkstümliche Bildmotive zeigen den Heiland in der Presse. Der gekelterte Jesus spendet seinen Lebenssaft – den tröstenden, göttlichen Wein. Eine kleine Kulturgeschichte.

Es ist ein beherzter Aufstieg, der von der Pfarrkirche St. Martin hinaufführt durch die Weinberge von Ediger-Eller. Einer der ältesten Kreuzwege Deutschlands erhebt sich hier hoch über der funkelnden Mosel und endet bei einer Anhöhe, auf der die Kreuzkapelle die spektakuläre Landschaft überblickt. In der Nähe ragt mit dem Calmont der steilste Weinberg Europas auf. Seinen kargen Schieferboden zu bewirtschaften, führt auch heute noch zu tödlichen Unfällen – ein Ort zwischen Himmel und Erde, der schwindlig machen kann.

In der 1488 errichteten Kapelle stößt man auf ein bunt bemaltes Steinrelief, auf dem Blut tropft. Die verstörende Komposition zeigt Christus, der in gebeugter Haltung dem Betrachter entgegen zu wanken scheint. Von seinen Wundmalen rinnt der Lebenssaft herab und sammelt sich in einem steinernen Becken, das Teil einer großen Weinkelter ist. In ihr werden aber keine Trauben ausgepresst. Es ist der Erlöser selbst, der hier ausblutet. Das Kreuz ersetzt den Querbalken der Presse, eine Spindel drückt den Leib ohne Erbarmen nieder.

Was in der Kreuzkapelle von Ediger-Eller wirkt wie eine drastische Verquickung von regionalem Winzerbrauch und volkstümlicher Religiosität offenbart eines der mächtigsten Bildmotive, in denen der Tod am Kreuz fortwirkt. Ein Erzählstrom aus Blut, der vom Alten Testament bis in den Kelch des Abendmahls fließt, eine Verwandlung von göttlichem Zorn in ein friedliches Bündnis mit den Menschen, das immer wieder aufs Neue mit Wein bekräftigt werden will. Eine Passionsgeschichte unter Druck, eine Versöhnung unter Schmerzen: Christus in der Kelter.

Der erste Weinbauer war Noah. Nach der Sintflut pflanzte er Reben, wo seine Arche gestrandet war, am Berg Ararat – in einer Gegend, die auch Archäologen für die Wiege des Weinbaus halten. Der Wein macht Noah trunken, und er verschwindet aus der weiteren Erzählung, obwohl er noch Jahrhunderte zu leben hat. Das Volk Israel findet nach dem Auszug aus Ägypten Gefallen am Wein. Es pflanzt Reben, genießt die Trauben und deren vergorenen Saft. Fortan durchzieht Wein das Alte Testament mit über 140 Erwähnungen und hat einen wuchtigen Auftritt von symbolischer Bedeutung in den Aufzeichnungen des Propheten Jesaja. Er berichtet vom Kommen des Erlösers, dessen Gewand rot gefärbt ist wie das eines Winzers, der die Trauben mit den Füßen gestampft hat. „Ich trete die Kelter allein und niemand unter den Völkern mit mir. Ich habe sie gekeltert in meinem Zorn und zertreten in meinem Grimm.“

Jesus' erstes Weinwunder ereignet sich bei der Hochzeit zu Kana

Wieder rinnt Blut, wo Most fließen sollte: das Blut von Ungläubigen. Der Erlöser als gewalttätiger Keltertreter taucht in der Offenbarung des Johannes zum letzten Gericht wieder auf: „Da schleuderte der Engel seine Sichel auf die Erde, erntete den Weinstock der Erde ab und warf die Trauben in die große Kelter des Zornes Gottes. Die Kelter wurde draußen vor der Stadt getreten, und Blut strömte aus der Kelter; es stieg an, bis an die Zügel der Pferde, 1600 Stadien weit.“ In diesen Visionen des Schreckens wird die Menschheit mit reifen Trauben gleichgesetzt, deren Saft allerdings nicht geschätzt, sondern vergossen werden muss, um zu strafen.

Das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk, zwischen dem Keltertreter und seinen Früchten verändert sich grundlegend, als Christus beginnt, in der Öffentlichkeit zu wirken. Das erste der Wunder, das er mit Gottes Hilfe bewirkt, gilt nicht etwa einem Aussätzigen oder gar einem Verstorbenen. Jesus statuiert ein Exempel bei der Hochzeit zu Kana. Den Feiernden geht der Wein aus, seine Mutter Maria bittet Jesus um Hilfe, er weist sie zunächst schroff ab. Dann lässt er die großen Wasserkrüge, die zur rituellen Reinigung bestimmt sind, neu füllen. Als der Koch aus ihnen trinkt, stellt er fest, dass es sich um den besten Wein des Abends handelt. Die Verwandlung von Wasser in Wein soll auch einen Begriff von der Fülle des Lebens geben, die Gott den Menschen seines Wohlgefallens zu schenken bereit ist.

Das Leben Jesu wird mit einer weiteren Wandlung enden. Beim letzten Abendmahl rüstet er seine Jünger für die Zeit nach seinem Tod. Er hebt den Krug voll Wein und spricht: „Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird.“ Jesus nimmt die gesammelten Sünden auf sich und liefert sich stellvertretend dem großen Kelterer aus. Es scheint ihn sehr bewegt zu haben, dass seine Liebestat vergessen werden und das Opfer damit ohne Wirkung bleiben könnte. Er fordert seine Jünger dazu auf, seiner zu gedenken, wenn sie zusammenkommen und Wein trinken.

Christus ist in den Darstellungen oft zugleich aktiv und passiv

Versöhnung unter Schmerzen. Die Darstellung von Christus in der Kelter in der Kreuzkapelle von Ediger-Eller.
Versöhnung unter Schmerzen. Die Darstellung von Christus in der Kelter in der Kreuzkapelle von Ediger-Eller.
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Das ist zugegeben eine sehr einfache Beschreibung für den Vorgang der Transsubstantiation, der die Kirche später viel theologische Mühe gekostet hat und ihre Priester noch heute dazu auffordert, die Wandlung von Wein zu Christi Blut immer wieder aufs Neue zu vollziehen. Ähnlich wie in Richard Wagners „Parsifal“, wo die Lebensgeister der Gralsritter hinschwinden, wenn über ihnen nicht das Blut des Heilands leuchtet, in dessen Widerschein der Wein in den Krügen abermals zum Blut Christi wird.

Der neue Bund zwischen dem blutvergießenden Gott des Alten Testaments und den seinen Zorn fürchtenden Menschen vollzieht sich im Bild von Christus in der Kelter. Es wirkt beinahe, als sei der qualvolle Tod am Kreuz kaum zu fassen gewesen und die Gleichsetzung von Wein und Blut beim letzten Abendmahl alles andere als eingängig. Also kommt im 12. Jahrhundert ein Bildprogramm auf, das alle Elemente in einen sinnlichen Zusammenhang stellt: die drohende Kelter, Christus, das Kreuz als Teil des Pressmechanismus, mit dem die Römer die Weinherstellung revolutioniert haben. Die Trauben, die zertreten werden müssen, um die Verwandlung von Frucht zu Wein in Gang zu setzen.

Christus verhält sich in den Darstellungen nicht immer eindeutig. Oft ist er gleichzeitig passiv und aktiv, tritt Trauben mit den Füßen und wird dabei selbst ausgequetscht. Hier mischen sich Säfte und Bilder – jenes des strafenden Erlösers, der aus der Gnade Gefallene zertritt, und das des zum letzten Opfer bereiten Christus. Manchmal zieht er selbst die Spindel an, die ihn niederdrückt, manchmal wird sie von Engeln oder Gottvater bewegt, oder Kirchenleute und Volk drängen zum Ausquetschen heran. Mal liegt auch ein Lamm um den Hals Christi, der gleichzeitig einen Kelch füllt mit dem, was ihm aus der Seitenwunde rinnt.

Der Wein tilgt das Racheblut

Der Kelch erinnert an das Abendmahl, das die Gemeinde feiert. Er wird im Laufe der Motiventwicklung im 15. Jahrhundert immer wichtiger, weil er die Kirche als Hüterin von Blut und Wein in Szene setzt. Auf einigen Gemälden kann gar nicht genug aus den Wundmalen rinnen, die Apostel sitzen schon mit Krügen bereit, um es in die Welt zu tragen. Oder der Strom aus dem Kelterbecken spritzt direkt auf die verdammten Seelen im Fegefeuer, die so erlöst werden können. Der gesammelte Keltersaft kann auch in große Fässer münden, die in einer Art Weinkeller eingelagert oder auf Wagen verladen werden. „Ich trete die Kelter allein“, der Jesaja- Spruch, findet sich in Spruchbändern oder Inschriften noch immer als Mahnung an den zürnenden Gott, dessen Sohn unter sichtbaren Qualen ausblutet, um zu spenden, was zur Erinnerung an ihn dient.

Gerade in den wirren, heillosen Zeiten von Pesthauch, Wunderheilern und Hexenprozessen muss das Bild von Christus in der Kelter die Menschen bewegt haben. Den Darstellungen selbst werden Wunderkräfte nachgesagt. Sie ermöglichen, das sühnende Blut des Heilands selbst zu berühren, auch wenn es nur gemalt ist. „So oft einer ein solches Bild küsse, könne durch das Blut Jesu eine Seele aus dem Fegefeuer erlöst werden“, steht in einer zeitgenössischen Chronik. In abgeschiedenen ländlichen Regionen, etwa in den Weinbergen der Steiermark, nahm die Verehrung derartige Ausmaße an, dass sich die katholische Obrigkeit nur noch mit der Verbrennung der Kelterbilder zu helfen wusste.

Denn darin liegt der unerhörte Reiz der bizarren Darstellung: Am Ende des martialischen Vorgangs ist es der Wein, der das Racheblut tilgt – und bleibt. Oder wie Béla Hamvas es seiner „Philosophie des Weins“ voranstellt: „Zwei bleiben schließlich übrig, Gott und der Wein.“ Christus, der auch als Edelrebe dargestellt wird, aus deren Wundmalen neue Fruchtruten wachsen, hat ihn in der Kelter gespendet. Die unmittelbare sinnliche Wirkung des Weins, den die Bibel den Herzen der Menschen zur Freude verspricht, lässt sich im Ritual des Abendmahls kaum bändigen. In der Vorstellung, der tröstende Wein sei göttlichen Ursprungs, umarmen sich griechische Antike und Christentum.

Der alte Kreuzweg von Ediger-Eller hat nicht nur zwölf, er hat 15 Stationen. Wer wollte hier inmitten der steil in den Himmel aufragenden Weinberge hoch über der Mosel noch an der Auferstehung zweifeln.

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