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Die James-Simon-Galerie, das neue Eingangsgebäude der Berliner Museumsinsel.
© Thilo Rückeis

James-Simon-Galerie eröffnet: Das Entree für Berlins Museumsinsel ist fertig

An diesem Donnerstag werden die Schlüssel für die James-Simon-Galerie übergeben. Architekt David Chipperfield hat ein graziles, schlankes Bauwerk geschaffen.

Ganz hinten rechts, im Durchgang zum Neuen Museum, findet der Besucher das erste Ausstellungsstück des Hauses: einen von der Decke hängenden, schlanken Kiefernpfahl. Unten ist er angespitzt wie ein Bleistift, denn er ist einer der zahllosen Pfähle, die in den schlammigen Untergrund der Museumsinsel gerammt werden mussten, damit sich die Gebäude darauf erheben konnten. Der Pfahl hier gehörte einst zu jenen, die den Packhof trugen, ein Wirtschaftsgebäude, entworfen von Karl Friedrich Schinkel. Der hatte schräg gegenüber auch bald das „Alte“ Museum errichtet, den ersten jener Bauten, die dem Eiland in der Spree den Namen „Museumsinsel“ gaben.

Das Alltägliche neben dem Erhabenen, so stellte sich zu Schinkels Zeiten im ersten Drittel des 19. Jahrhundert die Nachbarschaft von Wirtschafts- und Kulturgebäude dar. Heute ist das anders. Es gibt längst keinen Gewerbebau mehr auf der Insel, dafür sind die Museen selbst zu wirtschaftlichen Größen geworden. Insofern hat es eine doppelte Bedeutung, dass Schinkels Pfahl jetzt in David Chipperfields Eingangsgebäude zu bestaunen ist. Zum einen, weil der englische Architekt in der Nachfolge des deutschen Baumeisters steht, zum anderen, weil die Ökonomie längst in die Sphäre der Kunst eingedrungen ist.

Das Eingangsgebäude, das am heutigen Donnerstag an die Staatlichen Museen als künftige Nutzer übergeben wird, soll den Strom der Museumsbesucher kanalisieren. In ihrer Mehrzahl werden sie von hier aus den Rundgang zu den Schätzen des Neuen Museums mit der Nofretete und des Pergamonmuseums mit dem Altarfries, später auch des Alten Museums mit der Klassischen Antike antreten. Und zuvor an der Kasse ihr Ticket lösen, an der Garderobe den Mantel abgeben und hinterher im Café verweilen oder im Shop einkaufen. Zweieinhalb Millionen Besucher jährlich, 8000 pro Tag zählt die Museumsinsel. Nicht alle werden durch die nach dem größten Mäzen der Berliner Museen benannte James-Simon-Galerie geschleust werden, denn die separaten Eingänge der einzelnen Häuser bleiben erhalten. Doch die Mehrheit, vor allem die Touristengruppen bedürfen dringend einer zentralen Anlaufstelle.

Soll man noch Eintritt erheben?

Nun ist das Gebäude also fertig. Die Dachorganisation der Staatlichen Museen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wird sehr bald entscheiden, ob die Voraussetzungen des Galerieneubaus noch stimmen, ob Eintritt erhoben werden soll. Das ab Ende 2019 um die Gunst des Publikums konkurrierende Humboldt Forum will mindestens in seiner Anlaufphase freien Eintritt anbieten – ein Sog, dem sich die Museen vis-à-vis kaum werden entziehen können.

Dann fiele die Notwendigkeit eines Kassentresens weg; und bald wohl auch der raumgreifende Tresen für Audio-Guides, an deren Stelle zunehmend die Nutzung des eigenen Smartphones tritt. Die Wegeführung, die der Tagesspiegel schon in früheren Berichten als kompliziert charakterisierte, könnte sich gewissermaßen in Wohlgefallen auflösen, sehr zum Gewinn der Besucher wie des Gebäudes.

Denn die James-Simon-Galerie ist ein wunderschönes Bauwerk, viel zu schade, um als Ort des Gedränges vor Kassen und Kopfhörerstationen unterfordert zu werden. Wenn das Publikum nicht mehr den Kassen- und Guide-Parcours absolvieren muss, ist der Weg frei zum absichtslosen Flanieren, zum Auf und Ab auf der Freitreppe, die von der Bodestraße aufs Obergeschoss führt. Oder auf jener Treppe, die im Gebäudeinneren die beiden Hauptgeschosse verbindet; oder hinein ins Café und bei warmer Witterung hinaus auf die Loggia, die Pfeilerhalle hoch über dem Kupfergraben.

Überdies gibt es einen Sonderausstellungsraum, er ist im tageslichtlosen Sockel des Gebäudes verborgen. Wenn er im leeren Zustand allzu lang und schmal erscheint, so wird er mit Hilfe von Stellwänden oder auch durch Zweiteilung bald jene ersehnte Möglichkeit bieten, thematische Ausstellungen zu veranstalten. Die Museen der Insel sollten sie vorrangig aus eigenen Beständen zusammenstellen, um ihre Anziehungskraft zu steigern. Und schließlich ist da noch, geschickt unter die Schräge der großen Freitreppe geschoben, ein Auditorium mit rund 230 Plätzen, angeordnet in 13 Reihen ohne Armlehnen; was im Bedarfsfall das Zusammenrücken ermöglicht, auf Kosten des Komforts.

Respektvoller Abstand zum Neuen Museum

Da ist wohl ein gewisser Puritanismus am Werk, der die klare Form, das reine Material, die strenge Ästhetik höher bewertet als die Bequemlichkeit. David Chipperfield verteidigt seinen Ruf, was Material und Ausführung angeht. Der Sichtbeton ist glatt und gleichförmig, in den Außenbereichen als schlanke Pfeiler mit glitzerndem Marmorzuschlag; Handläufe und Beschläge sind aus Bronze, Böden aus Crailsheimer Muschelkalk, dunkelbraunes Walnussholz gibt es für die Einrichtung von Garderobe und Shop sowie als Akustikdecke im Auditorium. Die Qualität der handwerklichen Ausführung ist überall ohne Fehl. Sie muss es auch sein, denn eine derart reduzierte, geradewegs auf die von Adolf Loos verfochtene Ornamentlosigkeit weisende Formensprache sähe beim geringsten Schludern billig aus. Hier aber ist sie kostbar.

Es war nicht leicht, in das extrem längliche Grundstück ein Gebäude einzufügen, das respektvoll Abstand hält zum breit gelagerten Neuen Museum – das es gleichwohl vollständig verdeckt – und zudem eine breite Freitreppe aufweist. Neben ihr bleibt nur ein schmaler Riegel übrig. Dieser Riegel muss Aufgaben erfüllen, eben die Servicefunktionen, um derentwillen eine Investition von rund 135 Millionen Euro vorgenommen wurde.

Die große Freitreppe von der Bodestraße zum Obergeschoss der Galerie.
Die große Freitreppe von der Bodestraße zum Obergeschoss der Galerie.
© Kai-Uwe Heinrich

David Chipperfield bestreitet, sein Gebäude aus den Funktionen heraus entwickelt zu haben, form follows function ist für ihn ein Irrglaube. Das Gebäude sei „ein öffentlicher Ort“, sagt er. Sein Mitentwerfer Alexander Schwarz fügt hinzu, es handele sich um „eine gebaute Topographie“, die unmittelbar Bezug nehme auf die frühe Zeichnung des preußischen Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV., der hier eine Akropolis herbeigeträumt hatte und sie 1841 als „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“ zum konkreten Vorhaben machte.

Höhe und Grazilität

So wuchs über ein Jahrhundert hinweg die Museumsinsel als eine Ansammlung von Solitärbauten heran. Chipperfield gibt ihr mit dem Eingangsgebäude einen wie selbstverständlich erscheinenden Zusammenhalt. Die Kolonnade rings um die Insel, die bereits Schinkel-Nachfolger Friedrich August Stüler ersann und die inzwischen wiederhergestellt worden ist, führt Chipperfield in seinen schlanken Pfeilern mühelos fort und steigert sie auf der Empore der James-Simon-Galerie in Höhe und Grazilität. Andererseits greift er das Motiv des mächtigen Sockels auf, der nebenan das Pergamon-Museum aus dem Wasser herausragen lässt.

Nun ist das Eingangsgebäude, ist gar seine Loggia viel zu leicht, um einen derart mächtigen Sockel zu verlangen. Glücklicherweise hat Chipperfield zwei große Fenster hineingeschnitten, die seine Massivität aufbrechen. Links, ans Pergamon-Museum anschließend, hat er eine zauberhaft leichte, von einem gläsernen Geländer begleitete Treppe hinunter zum Wasser angesetzt. Leichtigkeit ist überhaupt ein Schlüsselwort für das, was da weniger als einheitliches Gebäude denn als Ensemble von Bauformen emporgewachsen ist. Aus der Ferne von der Schlossbrücke aus gesehen verdeckt der Pfeilerwald mit flachem Dach den ungegliederten Baukörper des Pergamon-Museums, der aus dieser Perspektive immer wie eine Art Fabrikhalle wirkte und jedenfalls nichts über seinen Inhalt verriet.

Jetzt wird der Neubau übergeben, werden festliche Reden gehalten, die Räume erkundet und das Café auf eine erste Probe gestellt. Im Juli 2019, so heißt es, soll die James-Simon-Galerie dann ihren Dienst aufnehmen. Wer sie über die Freitreppe betritt und sich nach links wendet, findet in die Wand eingelassen eine Inschrift, die den Namensgeber vorstellt. Sie schließt mit den Worten: „Die Staatlichen Museen zu Berlin sind James Simon zu größtem und ewigem Dank verpflichtet“. In solch’ festlichem Geist ist das Bauwerk entstanden.

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