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Eine Basilika für die Baukunst. Seine größten Bauten präsentiert David Chipperfield in Vicenza.
© Basilica Palladiana

Ausstellung David Chipperfield: Das unsichtbare Können

Architekt David Chipperfield stellt in Vicenza beim großen Kollegen Andrea Palladio aus.

Nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Tiefe vermag David Chipperfield zu bauen. In den Colli Berici, der nahe Vicenza ansteigenden Hügelkette, hat er in einen ausgekernten Steinbruch einen Veranstaltungsraum so hineingebaut, dass man meint, sich in einem Bühnenbild Schinkels für die „Zauberflöte“ zu bewegen. Es ist das i-Tüpfelchen zur Ausstellung, die Chipperfield derzeit in der Basilica Palladiana zu Vicenza veranstaltet. Den gewaltigen, stützenlosen Raum des nach dem Ortsheiligen Andrea Palladio benannten Kommunalpalasts hat der Londoner Weltbürger mit hölzernen Stellwänden nach Art einer Basilika in drei Schiffe geteilt. Darin sind nun knapp 20 Projekte des auf vier Standorte weltweit verteilten Büros zu sehen, alle entweder kürzlich fertiggestellt, im Bau und in Planung, also keine Übersicht über das immer noch wachsende Lebenswerk, sondern ein Einblick in die gegenwärtige Praxis.

Chipperfield betont stets, dass er keine wiedererkennbare Handschrift anstrebt, sondern jedes Projekt nach den besonderen Bedingungen ausrichtet. Und doch gibt es den gemeinsamen Nenner, unterstrichen durch die edle Architektur der Ausstellung: Es ist die Makellosigkeit der handwerklichen Ausführung, der Verzicht auf Überflüssiges; etwas, das Chipperfield selbst auf seine ersten Bauten zurückführt, die er in Japan errichtete.

Nicht zufällig machen Museumsbauten einen Gutteil seiner Tätigkeit aus. In Schanghai entsteht ein Großbau dieser Gattung, ohne dass der Bauherr West Bund Development Group schon wüsste, welche Sammlung im „West Bund Art Museum“ gezeigt werden soll. Das gilt auch für das ebenfalls in China inmitten von Reisfeldern und Bambuswäldern entstehende Zhejiang Museum of Natural History.

Chipperfield ist Schinkel als Berliner Museumsbaumeister gefolgt

In Slowenien hingegen wächst ein maßgeschneidertes Museum für einen Privatsammler. Dann die Erweiterung des Kunsthauses Zürich, die tatsächlich ein autonomer Neubau auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist; und, jüngst eingeweiht, der Umbau der Londoner Royal Academy, deren bislang disparate Bauten Chipperfield erstmals zu einer Einheit zusammenfügt. Kaum sichtbar sind die Eingriffe, darauf ist der Architekt stolz; längst kann er es sich leisten, gerade im Nicht-Sichtbaren sein Können zu zeigen (und wahrgenommen wird es dann ja doch und ganz besonders).

In Berlin, wo Chipperfield seit 25 Jahren seine zweite Heimat gefunden hat und dem bewunderten, aber niemals nachgeahmten Schinkel quasi als Museumsbaumeister gefolgt ist, wird in mehrjähriger Arbeit die Neue Nationalgalerie Mies van der Rohes saniert. Da wird am Ende erst recht keine Spur von diesem Eingriff bleiben, der doch auf einen Totalab- und -wiederaufbau der fünfzig Jahre alten, vernachlässigten Struktur des Kunsttempels hinausläuft.

Im Gegenzug darf sich Chipperfield als erster Architekt seit Alfred Messel und dessen Vollender Ludwig Hoffmann beim Bau des gigantischen Pergamonmuseums auf dem Unesco-Weltkulturerbe der Berliner Museumsinsel mit einem Neubau verewigen, dem James Simon Galerie genannten zentralen Eingangsgebäude zu den fünf Museen. Eins davon ist das Neue Museum, dessen hochartifizielle Restaurierung und Wiederherstellung Chipperfields Ruhm im Umgang mit historischer Substanz bei gleichzeitiger, selbstbewusster Ergänzung begründete.

Entspannung, so will es scheinen, finden Chipperfield und seine zahlreiche Mitarbeiterschaft bei Kommerzprojekten wie den beiden Wohntürmen für den Nordlondoner Stadtteil Hoxton, den schon vor Jahren mit der Welle des britischen Kunstbooms die Gentrifizierung erreicht hat, sodass auch diese beiden kommunalen Wohnhochhäuser beileibe nicht nur Sozialwohnungen enthalten werden, eigentlich sogar keine, sondern das, was im strikt marktwirtschaftlichen Britannien affordable housing heißt. Wie affordable, mag man sich angesichts der Chipperfield’schen Qualität der Bauten gar nicht erst ausrechnen.

Sogar einen Friedhof hat er in Japan gestaltet

Auch den letzten Dingen widmet sich Chipperfield, hat es schon früher getan, bei seiner Friedhofserweiterung auf der venezianischen Insel San Michele. Nun hat er einen Friedhof in Japan umgestaltet, gelegen an einem Berghang und entsprechend terrassiert. Da ist nun ein asymmetrischer, aber streng orthogonaler Gebäudekomplex für Versammlungshalle, Café und Verwaltung entstanden. Mitten hindurch führt eine monumentale Treppe hinauf zum Friedhof.

„Die Reduktion von Komplexität, die Freude an offensichtlich einfachen und wesentlichen Qualitäten, der Bezug zu Ort und Kontext und die überragende Bedeutung des Physischen haben unseren Zugang und unser Denken geformt“, heißt es zum Inagawa-Friedhof im Katalog der Ausstellung, und es gilt für alle Arbeiten von David Chipperfield, der sich mit der Vicentiner Ausstellung ein temporäres, in der Erinnerung jedoch fortlebendes Denkmal gesetzt hat.
Vicenza, Basilica Palladiana, bis 2. September. Katalog bei Koenig Books, London/Mondadori Electa, Mailand, 152 S., 29,80 €. www.davidchipperfield.com

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