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Ausgezeichnet. Carolin Emcke.
© dpa

Journalistin und Publizistin: Carolin Emcke erhält den Friedenspreis des deutschen Buchhandels

Seit 1950 werden Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. In diesem Jahr geht der Preis an die Journalistin Carolin Emcke.

Ihr persönlichstes Buch, der 2012 erschienene autobiografische Essay „Wie wir begehren“, schmückt ein Motto von Michel de Montaigne: „Il y a autant de différence de nous à nous-même que de nous à autrui.“ Die Möglichkeit, sich selbst als Fremder gegenüberzutreten und sich in der eigenen Vielheit wahrzunehmen, datiert also über 400 Jahre zurück. Diese Vielheit fruchtbar zu machen und daraus einen Umgang mit anderen Menschen zu entwickeln, der sie in ihrer noch sehr viel radikaleren Verschiedenheit respektiert, ist aber bis heute eine Aufgabe: für jede Person, für jede Zeit, für jede Kultur von Neuem.

Carolin Emcke, die im Oktober zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den mit 25 000 Euro dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten wird, hat darin ihr Thema gefunden – im Gelingen wie im kriegerischen Misslingen. „Es gibt unendliche Eigenschaften, aus denen sich ein Individuum bildet“, schreibt sie: „Ich bin Philosophin und Journalistin, ich schreibe über Landschaften der Gewalt und bin Borussia-Dortmund-Fan, gebratene Zwiebeln und Antisemiten verursachen mir Brechreiz, ich mag Bars, vor allem, wenn sie düster und abgefuckt sind, ich stromere gern durch verlassene Gegenden, am liebsten an Bahngleisen entlang, ich verstehe nichts von Wein, aber von Tee.“ So geht das noch eine Weile weiter und ergänzt doch nur das große Thema dieses Buches über das homosexuelle Begehren und den hart erkämpften Mut, damit offen umzugehen: „Ich bin schwul geworden, ich sage immer noch ,schwul‘. Vielleicht weil es so daneben klingt, weil es nicht ganz zutreffend ist, weil es das Etikett, das meins sein soll, vertauscht mit einem anderen.“

Zwölf Jahre zuvor, in ihrer sozialphilosophischen Dissertation über „Kollektive Identitäten“, die, ausgehend vom Begriff der Anerkennung, auch auf Probleme der Ausgrenzung und der daraus entstehenden Konflikte eingeht, schwang das vielleicht schon alles mit. Aber es waren die zahllosen Reisen, die sie – bis 2007 für den „Spiegel“ und danach bis 2014 für die „Zeit“ – als Reporterin in fast alle Krisengebiete dieser Welt führten und ihr jene unendliche Verquickung des Privaten mit dem Politischen aufgehen ließen, das ihre Texte stets zugleich verhandeln. Die Briefe, die sie aus dem Kosovo, aus Afghanistan oder dem Gaza-Streifen an ihre Freunde sandte, bildeten 2004 die Grundlage ihrer ersten nichtakademischen Publikation „Von den Kriegen“.

Emckes Aufmerksamkeit, lobt die Jury in ihrer Preisbegründung, gelte „besonders jenen Momenten, Situationen und Themen, in denen das Gespräch abzubrechen droht, ja nicht mehr möglich erscheint. Carolin Emcke setzt sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibt auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können. Mit analytischer Empathie appelliert sie an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden.“

Emcke, 1967 in Mülheim an der Ruhr geboren und in Berlin zu Hause, hat die Bedingungen eines gedeihlichen Miteinanders auf den verschiedensten Feldern untersucht: als Gastdozentin mit Seminaren über Gewalttheorien und die Zeugenschaft von Kriegsverbrechen in Yale, als Moderatorin des monatlichen „Streitraums“ in der Berliner Schaubühne und als unermüdliche Essayistin und Kolumnistin, die seit Oktober 2014 jeden Samstag in der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt. Unter den zahlreichen Preisen, die ihr in den letzten Jahren zugesprochen wurden, ist der Friedenspreis der bedeutendste – und der erste mit internationaler Ausstrahlung. Zuvor aber wird mit „Gegen den Hass“ ihr essayistisches Lob des Vielstimmigen erscheinen – ihre Antwort auf Rassismus sowie nationalen und religiösen Fanatismus. Gregor Dotzauer

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