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Michael Keaton ist "Birdman".
© Twentieth Century Fox

Oscar-Nacht 2015: Boyhood, Birdman, Grand Budapest Hotel - wer macht das Rennen?

Bei der Verleihung der Academy Awards in Los Angeles gibt es drei ganz große Favoriten: Richard Linklaters "Boyhood", Alejandro Iñárritus "Birdman" sowie Wes Andersons "Grand Budapest Hotel". Aber vielleicht kommt auch alles ganz anders...

In den Wettbüros setzen sie auf „Boyhood“, Richard Linklaters Familien-Langzeitbeobachtung in Spielfilmformat.Der Publikumsliebling der Berlinale 2014 hat seit dem Silbernen Regie-Bären viele Festival- und Kritikerpreise gewonnen, zuletzt den Golden Globe. Schon 2013 („Argo“) und 2014 („12 Years a Slave“) waren Globe- und Oscar-Sieger identisch – warum nicht auch diesmal, bei der Oscar-Gala am Sonntagabend?

Linklaters sechsfach nominiertes Drama, bei dem man Patricia Arquette, Ethan Hawke und ihren Filmfamilienkindern Ellar Coltrane und Lorelei Linklater beim Älterwerden, ach was: beim Leben zugucken kann, dürfte sich ein Kopf-an- Kopf-Rennen mit „Birdman“ liefern. Zwei Ensemble-Filme, der eine leiser, der andere lauter, beide virtuos.

Alejandro G. Iñárritus „Birdman“ legt eine rasante Jongliernummer zu den Fragen der Unterhaltungsindustrie in Zeiten von Facebook und Twitter hin, mit Michael Keaton als abgehalftertem Superhelden-Star. Was ist wichtiger, Begabung oder Bekanntheit, Ruhm oder Klicks, Aura oder Hype? Wenn die gut 6000 wählenden Mitglieder der Academy, von denen die Schauspieler ein knappes Viertel stellen, sich angesichts ihrer über zwölf Jahre real alternden Kollegen in „Boyhood“ davon haben anrühren lassen, dass das Leben in all seiner Vergänglichkeit sich in die Fiktion einmischt, dann gewinnt Linklater. Wenn die Filmbranche Vergnügen an der Selbstreflexion hat, dann wird es „Birdman“.

Was auch insofern passen würde, als Filme mit Schauspielern, die Schauspieler spielen, sich neuerdings häufen – von Cronenbergs „Maps to the Stars“ bis zu den „Wolken von Sils Maria“ mit Juliette Binoche. „Birdman“ wäre der mutigere Oscar, ein selbstkritisches Votum in eigener Sache. Und Michael Keaton gewinnt bitte die Darsteller-Trophäe! Er verdient sie schon deshalb, weil er sich zwischendurch von Edward Norton mit Aplomb an die Wand spielen lässt (weshalb dem der Nebendarsteller-Preis gebührt!).

Iñárritus Film teilt sich mit neun Nominierungen die quantitative Spitzenposition mit „The Grand Budapest Hotel“. Chancen auf den Hauptgewinn hat Wes Andersons Zwischenkriegsfarce allerdings kaum. Zwar ist die schrille Story vom Vorabend des Faschismus mindestens so europäisch wie die Oscarsieger von 2012 („The Artist“) und 2011 („The King’s Speech“). Aber die Zeiten sind ernst, Komödien gewinnen nicht in der Königsdisziplin. Umso mehr hoffen die Babelsberg-Koproduzenten auf die eine oder andere Siegerehrung in den technischen Kategorien. Berlin und Brandenburg drücken die Daumen – und ganz Deutschland für Wim Wenders’ „Salz der Erde“ bei den Dokumentarfilmen.

Aber wer weiß, vielleicht kommt alles ganz anders. 2013 zum Beispiel diskutierte alle Welt über Tarantinos „Django Unchained“ versus Spielbergs „Lincoln“ – und dann gewann „Argo“.

Wird es also eine der melodramatischen, soziopolitisch korrekten Produktionen, „The Imitation Game“ mit Benedict Cumberbatch (acht Nominierungen) oder „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ mit Eddie Redmayne als Stephen Hawking?

Lauter tapfere Kerle – siegt gar Eastwoods patriotischer Streifen „American Sniper“ (siehe Kritik)? Hat Ava DuVernays Martin-Luther-King-Film „Selma“ wirklich gar keine Chance, weil alte, weiße Männer über die Oscars entscheiden, wie es in der hitzigen Debatte in den USA hieß? Kann nach Steve McQueens Sklavenfilm 2014 partout nicht wieder eine Schwarze mit einem „schwarzen“ Stoff gewinnen? Oder zieht der Jazzfilm „Whiplash“ am Ende cool an allen vorbei? Trommeln, bis der Arzt kommt: auch eine Heldentat, die hart arbeitende Filmkünstler bestimmt zu schätzen wissen.

Christiane Peitz

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