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Wahnsinnstheater: Michael Keaton und Edward Norton schenken sich in "Birdman" nichts.
© 20th Century Fox/dpa

Michael Keaton in "Birdman": Helden in Unterhosen

Alejandro Iñárritus "Birdman" war der große Sieger der diesjährigen Oscar-Verleihung. Was macht den Film, in dem Michael Keaton sich selbst spielt, so besonders? Lesen Sie hier eine Rezension.

Was ist mehr wert, Ruhm oder Publicity? Ein Lob der „New York Times“ oder eine Million Klicks in zwei Stunden? Michael Keaton war mal „Batman“, er war ein Superheld, jedes Kind kannte ihn. Eines Tages machte er nicht mehr mit, und sein Stern sank. Jetzt spielt Keaton „Birdman“, einen fast vergessenen Popcorn-Kinostar namens Riggan Thomson, der am Broadway sein Comeback versucht, als Regisseur und Hauptdarsteller eines RaymondCarver-Stücks, ausgerechnet.

Der große Carver sah ihn vor Menschengedenken auf der Bühne und schrieb ihm etwas Nettes auf eine Serviette. Den Wisch trägt Riggan immer bei sich, auch bei den letzten Proben vor der Premiere. „Es ist eine Cocktail-Serviette“, sagt sein Bühnen-Sparringspartner Mike (Edward Norton) knapp, „Carver war betrunken.“ Und spielt ihn mal eben an die Wand. Die zwei führen Krieg, wie sich hier überhaupt alle einen Wolf spielen und einander den Krieg erklären, mit Sottisen, Demütigungen, Lügen, spitzen Bemerkungen. Auch ein Halbsatz kann vernichten, wozu ist man schließlich Schauspieler.

Alejandro Iñárritu mit Pointenfeuerwerk

Ein Trommelwirbel – und los geht’s, mit Jazz, Mahler, Tschaikowsky und der sonor-stichelnden Stimme von Birdmans Vogelkostüm-Alter-Ego aus dem Off. Ob wildes Solo (Schlagzeug: Antonio Sanchez) oder volles Orchester: Dieser Film ist ein Höllenritt in eigener Sache, eine virtuose Jongliernummer über die Fragen des Kinos im Youtube-Zeitalter –Realismus oder Fiktion, Kunst oder Kommerz, Aura oder Hype, Instinkt oder Method Acting. Eine große Ensemble-Show mit Naomi Watts, Andrea Riseborough, Amy Ryan, Zach Galifianakis und einer atemberaubenden Emma Stone als Riggans Ex-Junkie-Tochter. Und Wahnsinnstheater, hektisch, hysterisch, apokalyptisch: Zwischen Charakterdarsteller und Knallcharge liegt nur ein Wimpernschlag. Rastlos kurvt die Kamera durch die Theaterflure und verirrt sich im Labyrinth der Eitelkeiten, während Regisseur und Ko-Autor Alejandro Iñárritu ein Pointenfeuerwerk abfackelt, derart rasant, dass man gar nicht mehr nachkommt.

Das Schönste daran: Inárritu setzt beide ins Recht, die Autorenkunst und das Actionspektakel, das altehrwürdige analoge Theater und die hippen Twitter-Follower. Man wird glatt neidisch hier in Deutschland, wo E und U so strikt getrennt sind und humorlose ideologische Gefechte um analog und digital geführt werden. Birdman, ein Superheld? Aber klar, die Garderoben-Utensilien kann Riggan locker zum Schweben bringen. Guckt halt nur keiner.

Michael Keaton in Unterhosen auf dem Times Square

Zwei, drei Mal spuckt der Film seine Helden vom geschützten Raum der Imagination raus auf den Broadway. Realitätsschock! Birdman in Unterhosen auf dem Times Square! Iñárritu ist so raffiniert, genau hier die Fantasie zu entfesseln und ein paar Sekunden das Genre zu wechseln. Wirklichkeit ist, was wir draus machen.

„Sie sind kein Schauspieler, sie sind eine Celebrity“, sagt die „Times“-Kritikerin zu Riggan – noch so eine vernichtende Bemerkung. Birdmans Alptraum: Er sitzt im Flugzeug, vor ihm sitzt George Clooney, das Flugzeug stürzt ab. Keine Chance auf eine Schlagzeile am nächsten Tag. Auch im Film stürzt Birdman ab. Inárritu macht einen Höhenflug daraus.

Christiane Peitz

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