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Neolithische Potenziale. Katja Novitskovas Installation im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR, mit Blick auf das vor der Tür sich vollendende Humboldt-Forum.
© Timo Ohler

Die neunte Berlin-Biennale: Fleißig, fleißig

Die 9. Berlin-Biennale spielt im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR Wirtschaft und Wirklichkeit. Heute residiert dort eine private Management-Schule.

Bisher hat sich jede Berlin-Biennale durch ihre Räume ausgezeichnet: Friedhöfe, leere Ladenlokale, Wohnungen, Kirchen, Kaufhäuser dienten als Adressen für die Ausstellung. Das war immer der Joker, wenn die Kunst nicht gefiel – dann hatte man wenigstens einen neuen verrückten Ort in Berlin entdeckt, und das Klischee von der Ruinenästhetik bestätigte sich ein weiteres Mal. Zwanzig Jahre nach Gründung der Biennale lässt sich diese Strategie nicht mehr fortsetzen, die maroden Plätze, die Brachen sind einer geschlossenen, zunehmend bereinigten Stadtlandschaft gewichen.

Das passt zum ernüchternden Bild der Gegenwart, das die Kuratoren der neunten Berlin-Biennale entwerfen: Irgendwie ist alles vorbei, selbst die Zukunft kann nur gestrig sein. Das ideale Setting für ein solches Lebensgefühl bildet das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR, in dem sich heute eine private Wirtschaftsschule befindet und die Deutsche Aktiengesellschaft ihre Börsenindexe präsentiert. Eifrige junge Menschen laufen kreuz und quer durch das Foyer, gerade lässt sich ein Kurs für das Abschlussbild fotografieren. Sie machen das alle sehr gekonnt, das perfekte Lächeln wird angeknipst.

Nur schade, dass die Truppe nicht auf der großen gewundenen Treppe Aufstellung nimmt, wo jetzt die Fotografin steht, um ihr Bild von oben herab zu machen. Umgekehrt wäre das im Gegenlicht erstrahlende Glasfenster von Walter Womacka draufgekommen – mit wehenden roten Fahnen, enthusiastischen Arbeitern und viel Maschinerie. Diese vom Sozialismus imaginierte Vision hat sich wahrhaftig erledigt.

Die Generation Post-Internet inkorporiert die Glätte

Während die Absolventen der European School of Management and Technology (ESMT) ihrer eigenen Zukunft entgegeneilen, dreht die für dreieinhalb Monate ebenfalls einquartierte Berlin-Biennale auf ihre Weise das Rad weiter. Sie schlüpft ins Kleid der Unternehmen, betreibt Mimikry, nicht um die Wirklichkeit zu persiflieren, sondern um die Methoden auszuprobieren. Künstler sind schließlich selber Unternehmer, auch sie müssen ein Produkt verkaufen, Personality bieten. Die Generation Post-Internet, die wie selbstverständlich mit den digitalen Möglichkeiten aufgewachsen ist, inkorporiert die Glätte, die Oberflächlichkeit, die Multiplizität in ihre Werke.

Der neuseeländische Künstler Simon Denny gehört noch zu ihren kritischsten Vertretern, von Affirmation ist er weit entfernt. Stattdessen baut er gewaltige Installationen, in denen die Vernetzungen der kapitalistischen Welt sichtbar werden. Der Ausstellungsbesucher geht staunend an seinen komplizierten Stellagen vorbei, in denen Fotos, Statistiken, Bildschirme arrangiert sind. Die große Aufklärung verpufft jedoch zumeist wie im Sitzungssaal des ehemaligen Staatsratsgebäudes, wo er die Geschäftsmodelle dreier realer Firmen darzustellen versucht, die mit der digitalen Währung Bitcoin operieren.

Als ironische Volte entwirft Simon Denny Briefmarken für sie und lässt auf diese Weise neue Technologie und überalterte Kommunikationswege miteinander kollidieren. Der Ort selbst führt die Widersprüche weitaus pointierter vor: Zum ursprünglichen Interieur des Saals gehört eine metallene Wand, auf der übergroße Ähren, der Meiler eines Kraftwerks und eine Friedenstaube zu sehen sind. Draußen vor dem Fenster drehen sich derweil die Kräne, das Humboldt-Forum – noch so eine Zeitmaschine mit Vorwärts- und Rückwärtsgang – geht seiner Vollendung entgegen, während die Friedrichwerdersche Kirche hinter den rundum aufwachsenden Wohn- und Bürohäusern verschwindet.

Das zweite große Thema: die voranschreitende Selbstoptimierung.

Das zweite große Thema der neunten Berlin-Biennale neben entfesselten Märkten, der totalen Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, ist die voranschreitende Selbstoptimierung des Individuums. Ein absurdes Bild hat dafür die vor drei Jahren in Dubai gegründete Künstlergruppe GCC gefunden, die in ihren Arbeiten die zunehmende Verschränkung von Konsum und Politik vorführt.

Mitten in einen weiteren Sitzungssaal wurde eine Laufstrecke mit roten Bahnen installiert, in deren Innerem eine Figurengruppe steht: eine arabische Mutter mit Sohn, die ihr Kind auf den großen Wettlauf einzustimmen scheint. Die Realität ist von diesem Sinnbild gar nicht allzu weit entfernt. Im nächsten Geschoss büffeln rund fünfzig Studenten für ihren „Master’s in Management“, die Hälfte von ihnen kommt aus außereuropäischen Ländern, 14 Prozent aus dem Mittleren Osten. Scheich Mohammed bin Rashid al Maktoum hat für Dubai eigens ein Graduiertenprogramm entwickelt, für das sich Absolventen der Berliner Eliteschule bewerben können.

Die Wirklichkeit schreibt eben die besseren Geschichten. Aber vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit, die Managementstudenten und die Berlin-Biennale glücklich zueinanderzubringen – nicht nur als ironisches Statement. Dafür würde sich ein gezielter Besuch der Akademie der Künste als weiterer Biennale-Standort anbieten. Zum regelmäßigen Programm des Kunstfestivals gehört dort ein samstägliches „Open Workout“.

Der US-Künstler Nik Kosmas hat auf einer Außenterrasse Fitnessgeräte aufstellen lassen. Was wie drei bunte Metallskulpturen, im besten Fall Klettergerüste für Kinder aussieht, sind ernst zu nehmende Stationen eines ausgetüftelten Fitnesstrainings. „Lote Deine physischen Möglichkeiten und Deinen persönlichen Ausdruck durch dieses allumfassendes Ganzkörpertraining aus“, wird das Workout beworben. Unerschrockene Künstler, künftige Führungskräfte und enthusiastische Ausstellungsbesucher sollten sich diese Chance nicht entgehen lassen.

European School of Management and Technology, bis 18. 9.; Schlossplatz 1, Mi bis Mo 11–19 Uhr, Do 11–21 Uhr.

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