Komödie "Marry me" von Neleesha Barthel: Bollywood in Kreuzberg
Sari-Folklore, ein Elefant und ein Hochzeitszug durch Kreuzberg: die Berliner Regisseurin Neleesha Barthel zelebriert in ihrer Komödie "Marry me" deutsch-indischen Kulturen-Clash.
Auch schön. Kulturelle Zuordnungen eigentlich nicht mehr zeitgemäß finden, aber dann als Tochter eines Deutschen und einer Inderin ausgerechnet eine nach eigener Aussage stark autobiografisch befeuerte deutsch-indische Culture-Clash-Komödie ins Kino bringen. Neelesha Barthel, die sich selbst nicht Deutsch-Inderin, sondern Berlinerin nennt, prustet los. Das sei beim Schreiben irgendwie so gekommen, sagt sie. Ihr eigenes Leben ähnelt dem ihrer Filmheldin. „Ich lebe auch in Kreuzberg, bin nicht verheiratet, wohne mit meiner Patchworkfamilie in einem Haus und finde, es geht gar nicht, dass einem die indische Oma ins Leben reinquatscht.“ In ihrem Fall war es allerdings der strenge indische Opa. Immerhin, durch die Arbeit an ihrem Spielfilmdebüt „Marry me“ ist die Regisseurin und Drehbuchautorin jetzt auch mit der eigenen Identitätsfindung auf Indisch durch.
Schade eigentlich. Wo die indische Kultur in „Marry me“ doch so eine schöne bunte Folie für die in Kreuzberg spielende Familien-, Mietshaus- und Liebeswirren abgibt. Inklusive Sari-Folklore und Elefant, einem Hochzeitszug durch Kreuzberger Straßen und von Bollywood-Filmen inspirierten Tanzszenen, die im „Klunkerkranich“, dem Ex-Parkdeck auf dem Dach der Neukölln Arkaden, gedreht wurden.
Das Burn-out wird mit Yoga kuriert
Heldin der gut besetzten und zumindest in der ersten Hälfte flott durchstartenden Komödie ist Kissy (Maryam Zarée), die das Andenken an ihre tote, immer auf weibliche Unabhängigkeit pochende indische Mutter hochhält, indem sie ein Café samt Mietshaus in deren Sinne führt – mit unkonventionellem Laissez-faire. Der von Steffen Groth als Superschlaffi gespielte Ex-Freund und Vater ihrer Tochter darf seinen Burn-out mit der Yogalehrerin kurieren. Die Pleite-Ossis Uschi (Renate Krößner) und Manfred (Wolfgang Stumph) zahlen eh keine Miete. Und die vierschrötige Küchenhilfe Fatma (Idil Baydar) kommt grundsätzlich zu spät.
Hoch lebe das antikapitalistische Idyll! Doch dann kommt die Hausbesitzerin zu Besuch, Großmutter Sujata aus Mumbai. Die hat Haare auf den Zähnen und will die runtergerockte Hütte verkaufen. Nur eine in Kissys Lebensplanung niemals vorgesehene, doch in Omas Augen dringend fällige Heirat kann sie davon abhalten. Und ab geht der mit Berlin-Musik von Miss Platnum über Peter Fox bis zu Celina Bostic beschallte Großalarm.
Barthel stammt aus der HFF-, nicht aus der Bollywood-Dynastie
In Sachen Tanz hat die Regisseurin sich mehr von traditionellen indischen Film-Choreografien der siebziger und achtziger Jahre inspirieren lassen. „Jetzt ist das Bollywood-Kino doch total überkommerzialisiert.“ Sie selbst stamme sowieso aus einer HFF-, nicht aus einer Bollywood-Dynastie, womit sie die Filmhochschule Konrad Wolf in ihrer Geburtsstadt Potsdam meint. „Da bin ich unterm Schneidetisch groß geworden. Mit Kisten voller Filmspulen als Spielzeug.“
Neelesha Barthel ist die 1977 geborene Tochter der Regisseurin Chetna Vora und des Dokumentarfilmkameramanns Lars Barthel, die sich in Babelsberg beim Studium kennenlernten. Anfang der Achtziger gingen sie mit der kleinen Tochter nach Indien, um sich eine Existenz als Filmemacher aufzubauen. Sie scheiterten und kehrten, der Enge der DDR für immer entwöhnt, nach West-Berlin zurück. Für die in Indien als Tochter eines Kommunisten aufgewachsene und in der DDR ausgebildete Chetna Vora endete das in Auftragslosigkeit, Depressionen und einem frühen Tod.
„Ich lebe das Leben, das sie gern gelebt hätte“, glaubt die Tochter, die regelmäßig zu den Großeltern nach Indien gereist ist, nach einigen Schauspieljobs ebenfalls Regie in Babelsberg studiert und mehrere Dokumentarfilme gedreht hat. Darunter einen als „Kleines Fernsehspiel“ im ZDF, das auch den ersten Kinofilm mitfinanziert hat.
Die Freiheit und ihre Grenzen
„Marry me“ als Mainstream-Komödie zu bezeichnen, nimmt die Filmemacherin, die sich im Verein Pro Quote Regie engagiert, nicht krumm. Intellektuelle Selbstreflektion ist erklärtermaßen nicht ihr künstlerisches Ziel. „Ich will Entertainment machen, am liebsten Unterhaltung mit Tiefsinn.“ Oha, gerade die ist schwer. Ihr Lachen bestätigt, dass sie das selber weiß. Ihr Film jedenfalls flachst nicht nur herum, sondern kontrastiert traditionelle indische mit modernen westlichen Werten. In Indien ist dieser existenzielle Konflikt noch Tragödien-, in Deutschland schon lange Komödienstoff.
Die Freiheit und ihre Grenzen, das sei das große Thema, findet Barthel. Und genauso ein Ort der Freiheit wie das Café im Film ist in ihren Augen der Rumhänger-Treff „Bateau Ivre“ am Heinrichplatz. Da führt die temperamentvolle Mutter zweier Kinder gerade die Rhabarberschorle zum Munde. Es ist ihr Stammladen, hier hat sie schon mit 16 nach der Schule mit Freunden abgehangen. Künstler, Skater, die Freundin aus der Hausbesetzer-WG. Da war sie schon im Fernsehgeschäft, hatte eine Rolle in der Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, sich dort aber fremd gefühlt. „Ein bisschen Haschisch in der Wagenburg am Mariannenplatz zu kaufen, war meine Gegenwelt.“ Logisch, dass sie die erste eigene Wohnung dann in Kreuzberg sucht. Logischer, dass der Görlitzer Park in ihrer filmisch idealisierten Bezirksvision sogar Heimstatt fröhlicher indischer Gaukler ist.
Kein süßes indisches Mädchen
Den Subkontinent an sich nennt sie ein widersprüchliches Land, geprägt von extremer Menschlichkeit bei enormer Unmenschlichkeit. „Ich sollte auch ein braves, süßes indisches Mädchen werden, wenn es nach meinen Großeltern gegangen wäre.“ Deswegen hat sie, als sie mit 18 auf Besuch zur Verwandtschaft fuhr, ihren damaligen Freund auch auf Geheiß des Opas als Ehemann ausgeben und die Trennung beim nächsten Besuch verheimlichen müssen. Eine Erfahrung, die sie nicht davon abhält, ihre Figur Kissy, die dem seit Shakespeares Zeiten etablierten Komödienmotiv der Zähmung einer Kratzbürste entspricht, als „überemanzipiert“ zu bezeichnen. Was, bitte schön, soll das sein? „Dass eine starke Frau emotional verhärtet, wenn sie sich unabhängig von allem machen will. Das unterstellt ihr die Gesellschaft ja auch.“ Eben.
Ihre wirkliche indische Großmutter, mit der Neelesha Barthel wöchentlich telefoniert, kommt übrigens extra zur Premiere angereist. Dass deren Weltbild gefestigt ist, beweist eine Mail, die sie kürzlich an die Enkelin schickte, als die ihr von ihrer Aufregung vor dem anstehenden Filmstart schrieb. Erwiderung Oma: „You don’t have to worry anything as long as you have a husband.“
„Marry me“ läuft ab Donnerstag in den Kinos
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