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Gärtnern ist anstrengend. „Opening Ceremony“ von Toshiki Okada im Münchner Olympiastadion.
© Julian Baumann

Theater im Münchner Olympiastadion: Bitte juchzen Sie

In München endet Matthias Lilienthals wechselvolle Intendanz der Kammerspiele mit Toshiki Okada „Opening Ceremony“. Es ist eine kleine Rasenshow im monumental leeren Olympiastadion.

Das Stück beginnt als Groteske. Die Schauspieler stehen auf dem weiten, sattgrünen Rasen des Münchner Olympiastadions und pflegen ihn. Wässern mit Plastik-Gießkannen, schnippeln und rupfen Unkraut raus.

Die Lage ist konfus, irgendwann soll in dem Stadion ein „globales Event“ stattfinden. Sie diskutieren, wann die Eröffnungszeremonie wohl sein wird – nächstes Jahr, übernächstes oder überhaupt nicht? „Keiner weiß, wie die Zukunft wird“, sagt eine Gärtnerin.

Toshiki Okada hätte eigentlich bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Tokio mitgewirkt

Das Wort „Corona“ fällt nicht bei dieser Rasen-Instandhaltung und auch sonst nicht in dem einstündigen Stück „Opening Ceremony“. Aber es ist klar, dass der japanische Autor und Regisseur Toshiki Okada auf die Olympischen Spiele in Tokio anspielt, die nach derzeitigem Stand auf 2021 verlegt wurden.

Okada hatte an einem Beitrag zur Eröffnungszeremonie im dortigen Neuen Nationalstadion gearbeitet. Nun hat er für das Münchner Olympiastadion, die Kammerspiele und zum Ende der fünfjährigen Intendanz von Matthias Lilienthal dieses Stück geschrieben. Für die Inszenierung hatte er – aus Japan eingeflogen – ganze fünf Tage Zeit mit dem Ensemble. Am Samstagnachmittag wurde das Stück einmal gegeben – und nie wieder.

Die Ära Lilienthal an der Maximilianstraße ist vorbei. Ein furioses Ende konnte aufgrund der Pandemie nicht gefeiert werden, Inszenierungen mussten wie überall ausfallen oder auf Zwergengröße zusammenschrumpeln. Der 60 Jahre alte Theatermacher aus Berlin, in der Hauptstadt gut bekannt aufgrund seiner Arbeiten an der Volksbühne und als Leiter des HAU (Hebbel am Ufer), hatte in München nach anfänglich teils massiver Kritik viel an Boden gutgemacht. 2019 wurden die Kammerspiele „Theater des Jahres“.

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Lilienthal und München – war das ein großes beidseitiges Missverständnis, wie etwa der Deutschlandfunk Kultur mutmaßt? Die erste Begegnung war traumhaft. Da kam dieser Mann im September 2015 in der Kluft eines Edel-Punks und stellte im ganzen Stadtgebiet kleine künstlerische Shabbyshabby-Appartements auf. Das waren Behausungen unterschiedlichster Formen im öffentlichen Raum, viele an edlen Straßen, in denen die Gentrifizierung zugeschlagen hat und oft obszöner Reichtum präsentiert wird.

Die Stoff-, Holz- oder Blechkonstruktionen konnte man nächteweise mieten und somit das veredelte München einmal aus einer ganz anderen Perspektive erleben. Es waren wundervolle Tupfer und Widerhaken in der Stadt, eine Art Beduinenzelt etwa auf dem Gehweg vor dem Luxus-Juwelier und gegenüber dem Hotel „Vier Jahreszeiten“, wo Sportwagen mit Nummernschild aus Katar parkten.

400 Besucherinnen und Besucher dürfen live dabei sein

Am Samstag steht Lilienthal am Eingang Nord des Olympiastadions und plaudert mit Besuchern. Er trägt schwarze Trekkingschuhe, ausgebeulte Jeans, rotes T-Shirt und einen blauen Anorak. Irgendwie wie immer. Auf die Idee, das Olympiastadion als größtmögliche Spielstätte mit 69.250 Plätzen in der Corona-Zeit anzumieten, muss man erst einmal kommen. Er erzählt, dass das Kulturreferat geholfen hat.

Das gegenwärtig verwaiste Stadion wird von der Olympiapark München GmbH betrieben und damit von der Stadt. Coronabedingt waren für die Aufführung von „Opening Ceremony“ zuerst 200 Besucher zugelassen, sagt die Kammerspiele- Pressesprecherin Katrin Dod, später wurde die Zahl auf 400 erhöht.

Der Berliner Matthias Lilienthal war fünf Jahre Intendant der Münchner Kammerspiele.
Der Berliner Matthias Lilienthal war fünf Jahre Intendant der Münchner Kammerspiele.
© Peter Kneffel/dpa

Die ursprüngliche Idee konnte nicht realisiert werden, sie ist eine Geschichte im Konjunktiv II Vergangenheit, einer sehr häufigen Corona-Zeitform: Über 24 Stunden hinweg wollten Lilienthal und die Kammerspiele die ganze Stadt München bespielen unter dem Titel „Olympia 2666“ nach dem Roman „2666“ von Roberto Bolaño. Regisseure und Regisseurinnen aus vielen Ländern wären gekommen, auch Toshiki Okada hätte einen Beitrag gehabt im VIP-Bereich des Olympia-Stadions.

Nun wollen die Kammerspiele und Okada nicht „einem nie stattgefundenen Ende Tränen nachweinen“, wie es im Programmzettel für die „Opening Ceremony“ heißt, sondern sich „an einem Neuanfang“ versuchen. Ein Neuanfang also als Ende der Intendanz. Die Lilienthal-Nachfolgerin Barbara Mundel, elf Jahre lang Intendantin des Theaters Freiburg, arbeitet derweil schon mit ihrem Team in den Räumen der Kammerspiele.

Mario ist der Chef und gibt den Gärtnern Anweisungen

Die 400 Zuschauerinnen und Zuschauer tröpfeln in das riesige Stadion, es ist zunächst ein gehöriger Fußweg zu bewältigen, vorbei an geschlossenen Kiosken, an denen Werbebanner Getränke, Bratwurst und Burger anpreisen. Mit Abstand werden die Gäste auf ein paar Blöcke verteilt, drum herum bleiben 68.850 grüne Sitzplätze leer. In diesem absurd anmutenden Setting fragen sich die Gärtner, was Mario wohl mit ihnen und dem Stadion vorhat, ob er etwas plant und was.

Oder ob er genauso ahnungslos ist wie sie und nur so tut, als ob er von der künftigen Eröffnungszeremonie wüsste. Mario ist eine Art Chef, im Blaumann fährt er auf einem Mini-Kettcar vor und appelliert an die Gärtner: „Halten Sie den derzeitigen Zustand aufrecht.“ Rasenpflege trotz Ungewissheit.

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Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte im November 2016 zum großen Schlag gegen Lilienthal ausgeholt – eine Premiere war gestrichen worden, drei Schauspielerinnen hatten frustriert das Haus verlassen, die Zuschauerzahlen im Keller. Tenor: Lilienthal lege keinen Wert auf qualitativ hochwertiges Sprechtheater, er betreibe nur „Performance“.

Freie Gruppen würden von überall her eingeladen, egal ob sie spielen könnten oder nicht. Die Kammerspiele seien zu „einer Art Gastspielbetrieb mit angeschlossener Partyzone“ geworden, geboten werde nur mehr harmloses, oberflächliches „Pipifax-Theater“.

Nach drei Jahren wurde München mit Lilienthal warm - zu spät

Hat Lilienthal etwas bewegt? Ja, er kam als dezidiert politischer Intendant an die Isar. Er hat sich um das Thema Geflüchtete gekümmert, hat Konferenzen dazu in seinem Haus abgehalten. Er hat die gnadenlose Preisentwicklung bei Mieten und Wohneigentum thematisiert. Er hat München einen Spiegel vorgehalten, wie sich viele Teile der Stadt selbst noch nicht gesehen hatten.

Nach drei Jahren überzeugten die Kammerspiele und Matthias Lilienthal die Münchner mehr und mehr. Doch da war es zu spät. Der Intendant hatte nie einen Hehl aus seiner Anti-CSU-Haltung gemacht.

Deren Fraktion im Stadtrat hatte im Frühjahr 2018 beschlossen – da war die CSU Teil des Münchner Regierungsbündnisses –, seinen Vertrag nach 2020 nicht zu verlängern. Kurz darauf verkündete Lilienthal, dass er nicht weiter zur Verfügung steht. In einem Interview sagte er kürzlich: „Lieber fünf aufregende Theaterjahre als zehn, die sich ausläppern.“

Im Olympiastadion sagt Mario, dass man den „Stand-by-Modus“ aufrechterhalten müsse – für den Fall, dass das globale Event doch einmal stattfindet. Er animiert die Zuschauer zu Gymnastik: alle aufstehen, in die Hocke gehen, sich beugen und „Juchzer von sich geben“. Zum Ende wird aus der Groteske ein Märchen. Die bisher so folgsamen Gärtner fragen sich, was wäre, wenn sie Klee auf den Rasen säen würden. Eine Kriechpflanze, die Insekten wie etwa Bienen anzieht. Sie fabulieren von mehr und mehr verschiedenen Samen und Pollen, von Honig.

Eine Darstellerin sagt: „Es wimmelt hier so von Bienen und Insekten.“ Ein anderer meint: „Die Luft ist auch richtig gut, wir betreiben hier Photosynthese.“ Der Rasen des Olympiastadions wird zur Wiese.

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